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Für eine andere Entwicklungspolitik!

Beitrag vom 26.08.2016

weltneuvermessung.wordpress.com

Die Bevölkerung wächst stark an: Afrika in der malthusianischen Falle?

Robert Kappel

Fluchtursachen lassen sich nicht wirksam bekämpfen, weder kurz- noch mittelfristig. Es wird immer wieder neue Flüchtlingsströme geben. Flüchtlinge lassen sich nicht aufhalten, wenn Kriege, Gewalt, Umweltkrisen und Perspektivlosigkeit in ihren Heimatländern sie vertreiben.

Was noch viel gravierender ist: Das Bevölkerungswachstum in Afrika ist extrem hoch, d.h. in Zukunft werden noch mehr Menschen fliehen. Zahlen des Berliner Instituts für Bevölkerung und Entwicklung und der UN verdeutlichen, dass die Menschen wegen der stark ansteigenden afrikanischen Bevölkerungen innerhalb Afrikas flüchten und/oder den Weg nach Europa (und nicht nach Saudi Arabien, China oder Russland) gehen. Franziska Woellert und Rainer Klingholz schreiben: „Das Hauptproblem ist, dass das Bevölkerungswachstum viel schneller ist als das Jobwachstum“.[1]

Es ist hilfreich, sich erneut auf eine alte und doch sehr aktuelle Diskussion zur Bevölkerungsentwicklung und –politik zu besinnen. Der Ökonom und Pastor Thomas Robert Malthus stellte in seinem „Principle of Population“ (ursprünglich 1798)[2] die These auf, dass die Bevölkerungszahl geometrisch wachse, die Nahrungsmittelproduktion aber nur arithmetisch. Das habe zur Folge, dass das Nahrungsmittelangebot und die -nachfrage sich auseinanderentwickelten. Nahrungsmittelpreise müssten daher steigen und die Reallöhne auf ein Subsistenzniveau sinken. Fehlen preventive checks zur Senkung der Geburtenrate (z. B. durch Verhütungsmaßnahmen), seien positive checks zur Steigerung der Sterblichkeit (z. B. Hungerkatastrophen) unvermeidlich. Dieses „Bevölkerungsgesetz“ hat sich weltweit betrachtet als relativ ungültig erwiesen. Für Afrika (und auch den Nahen Osten) hat das Malthusische Gesetz jedoch Bedeutung, neben vielen anderen Faktoren, die in der Entwicklungsökonomie immer wieder debattiert werden (struktureller Wandel, Rolle von Institutionen, Wachstumsmodell usw usf).

Malthus plädierte für Enthaltsamkeit, späte Heirat und für Investitionen in die Bildung als Instrumente zur Senkung der Geburtenrate. Die Hebung des allgemeinen Bildungsstandes sei ein besonders wichtiger Beitrag zur Reduzierung des Bevölkerungswachstums. Bildungsoffensiven für die unteren Schichten der Gesellschaft würden die größten Erträge bringen.

Das afrikanische Bevölkerungswachstum ist in den meisten Ländern im Durchschnitt der letzten dreißig Jahre nur wenig geringer als das Wirtschaftswachstum und das Wachstum der Nahrungsmittelproduktion. Die meist unproduktive Landwirtschaft kann die arme Bevölkerung Afrikas nicht ausreichend ernähren, die Böden sind ausgelaugt, die meisten Farmer sind von den Märkten abgekoppelt. Daher steigen die Nahrungsmittelimporte nach Afrika stark an.

Die afrikanischen Gesellschaften sind in der malthusianischen Falle steckengeblieben, in der technologischer Fortschritt (bspw. durch Medikamente, Ausbau der Gesundheitssysteme) für mehr Bevölkerungswachstum sorgte, der Lebensstandard aber gering blieb. Erst in den letzten Jahren ist dieser gestiegen, aber manch ein Land hat trotz des Wachstums des letzten Jahrzehnts noch nicht einmal das Durchschnittseinkommen der 1960er Jahre erreicht. Erfolgsmeldungen über die relative Reduktion der Armut täuschen über die wachsende absolute Zahl der Armen hinweg, die von weniger als 2 USD überleben müssen.

In Afrika verzeichnen nur wenige Länder eine demografische Transition mit einem Sinken der Geburtenrate, bspw. die Kap Verden oder Mauritius. In den meisten Ländern liegt das Bevölkerungswachstum über 2,7%. In 28 afrikanischen Ländern wird sich die Bevölkerung von 2010 bis 2050 verdoppeln (vgl. eine Auswahl von afrikanischen Ländern in Tabelle 1). Im Jahr 2050 dürfte die Zahl der Menschen bei zwei Milliarden liegen. Diese Entwicklung ist auch mit großen Umweltzerstörungen verbunden.

Unruhen und bewaffnete Konflikte

Das Hauptproblem Afrikas ist, so Woellner/Klingholz 2016: „dass sich bis 2050 die Bevölkerung verdoppelt, aber nicht annähernd so viele neue Arbeitsplätze auf die Menschen warten.“ Daher leide der Kontinent unter zwei besonderen Defiziten: „Erstens können sich die meisten der afrikanischen Länder nicht selbst ernähren und sind von Nahrungsmitteleinfuhren abhängig. Zweitens müssen viele Staaten Afrikas Energie importieren … Allein zwischen 2010 und 2020 werden rund 120 Millionen junge Menschen zusätzlich auf den ohnehin überfüllten Arbeitsmarkt drängen… Ein großer Bevölkerungsanteil junger Menschen ist ein Segen für eine Volkswirtschaft, wenn diese Menschen eine angemessene Beschäftigung finden. Gelingt dies nicht, ist die Gefahr groß, dass der Jugendüberhang zu Unruhen und bewaffneten Konflikten führt.“

... haben viele Länder bereits etliche Bürgerkriege erlebt bzw. befinden sich in sehr konfliktiven Auseinandersetzungen (Burundi, Uganda, Somalia, DR Kongo, Mali, Angola und auch die nicht aufgelisteten Länder Liberia, Sierra Leone, Mosambik, die ebenfalls ein hohes Bevölkerungswachstum aufweisen). Die Wahrscheinlichkeit neuer interner Konflikte und Kriege zwischen den Ländern ist extrem hoch, und gerade Länder, die bereits Bürgerkriege durchgemacht haben, sind besonders anfällig für neue gewalttätige Auseinandersetzungen. Hier funktionieren die Institutionen schlechter und hier haben neo-patrimoniale Regime ihre Macht für ihren eigenen Vorteil gesucht. Und hier ist der Anteil der jungen Menschen an der Bevölkerung extrem hoch. Sie bekommen keine Jobs und organisieren sich neu, sie flüchten, sie überleben im informellen Sektor, sie bilden Gangs, bewegen sich in kriminellen Milieus oder schließen sich terroristischen oder radikalen Gruppen an, sei es im Niger-Delta, sei es Boko Haram, Al Shabab. Die Gefahren für innerstaatliche Konflikte und Bürgerkriege werden durch die extrem ansteigenden Bevölkerungen größer. Besonders wahrscheinlich sind gegenwärtig Auseinandersetzungen in Uganda, Somalia, Liberia und Äthiopien.

Es ist vor allem die Aufgabe der einzelnen afrikanischen Länder, das hohe Bevölkerungswachstum zu reduzieren. Ein Vergleich mit dem Aufstieg Chinas während der letzten 30 Jahre bzw. mit dem Vietnams oder auch lateinamerikanischen Ländern zeigt, dass Entwicklung von innen kommen muss, einschließlich einer austarierten Bevölkerungspolitik. Die meisten Länder in Afrika verfolgen keine Politik der konsequenten Familien- und Geburtenplanung, sofern sie überhaupt eine haben. Die Ausbildungssysteme sind unzureichend, und es gibt jeweils ein christlich-muslemisches Umfeld, das Diskussionen zum Thema Bevölkerungspolitik, Familien- und Geburtenplanung unterläuft.

Erforderlich sind massive Investitionen in die Bildung, vor allem Investitionen in die Bildung von Mädchen, verbunden mit einer Familienplanungs- und Geburtenpolitik. Ferner stellt sich die Aufgabe, Jobs für Junge zu schaffen. Die Kirchen und die anderen religiösen Gemeinschaften müssen sich dem Dialog zum Bevölkerungswachstum dringender denn je stellen. Nur mit ihnen wird sich der deutliche Anstieg der afrikanischen Bevölkerungen verringern lassen, und nur mit ihnen wird es gelingen, die Gefahr von Bürgerkriegen zu mildern.