Beitrag vom 05.08.2018
F.A.S.
Kaffee rösten können die Äthiopier selbst
Der beste Kaffee der Welt kommt aus Äthiopien. Das soll sich für das arme Land nun endlich auszahlen. Von
Thilo Thielke
Felix Ahlers inhaliert genießerisch den Duft frisch gerösteter Kaffeebohnen. Es ist der beste Kaffee der Welt, sagt man: Arabica aus Äthiopien, und so riecht er auch. Sonst hat der Mann eher seine Tiefkühlkost vor der Nase: Fertiggerichte wie Pappardelle Crème Spinaci oder Bio-Sommergemüse, denn Ahlers ist Chef des deutschen Nahrungsmittelherstellers Frosta. Aber gerade befindet er sich im Herzen des Kaffeekosmos: Er steht, gekleidet in einen weißen Kittel, in den Hallen der Kaffeefirma Solino, direkt neben dem aus Italien importierten Trommelröster, mitten in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba. Für Freunde der Bohne muss es das Paradies sein. Für Ahlers ist es Freude und Verpflichtung zugleich.
Der 51 Jahre alte Unternehmer, seit 2010 Vorstandsvorsitzender des Familienunternehmens aus Norddeutschland mit Werk in Bremerhaven und Büro in Hamburg, hat in Ostafrika eine Nebenbeschäftigung aus Leidenschaft gefunden: Vor zehn Jahren hat er mit einer Anschubfinanzierung Solino, was übersetzt „Kleine Sonne“ bedeutet, aus der Taufe gehoben, seitdem steht er dem kleinen Unternehmen mit Rat und Tat zur Seite und kommt regelmäßig zu Besuch.
Im Jahr 2008 war Ahlers auf Einladung der deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit zum ersten Mal nach Äthiopien gekommen. Er sollte an einem Workshop teilnehmen, es ging darum, der maladen Wirtschaft des Riesenreichs am Horn von Afrika auf die Beine zu helfen. In der Gruppe saßen viele Kaffeeleute, man kam ins Gespräch. Und Ahlers, der Profi aus der Tiefkühlbranche, erkannte schnell die Probleme.
„Bis zu diesem Zeitpunkt hatten die Äthiopier, größte Rohkaffeeproduzenten Afrikas, nahezu ausschließlich die rohen Kaffeebohnen exportiert“, sagt Ahlers, „veredelt wurde der Kaffee aber erst in Europa, so dass plötzlich Deutschland einer der größten Kaffeeexporteure der Welt wurde.“ Dabei werde richtig Geld erst mit der Weiterverarbeitung verdient, erst die Röstung der rohen Bohne gibt dem Kaffee seinen Wert. Ahlers findet das absurd. Nach seiner Schätzung könne durch den Export gerösteten Kaffees 60 Prozent mehr Umsatz erwirtschaftet werden, und es könnten viele Arbeitsplätze im Land geschaffen werden.
Hinzu kamen noch andere Faktoren: Die EU ließ ungefähr zeitgleich mit Ahlers’ Äthiopien-Reise die Importzölle auf gerösteten Kaffee fallen, das gab der Idee zusätzlichen Auftrieb. Außerdem ist Ahlers ein Mann der Tat, und so konnte Solino aus der Taufe gehoben werden. Der Frosta-Mann besorgte die Maschinen, bildete das Personal aus, kümmerte sich um die Genehmigungen in Äthiopien und die Handelskontakte in Deutschland. Dann ging es los. Mittlerweile wird Solino-Kaffee in den Filialen von Edeka und Karstadt verkauft, versehen mit dem Hinweis: „handgeröstet in Addis Abeba“. Nach Angaben des Unternehmens ist es der erste Kaffe, der zu 100 Prozent in Äthiopien hergestellt wird.
Sechs 20-Fuß-Container schickte Solino im vergangenen Jahr über den Hafen von Dschibuti auf die Reise nach Deutschland, jeder gefüllt mit sechs bis acht Tonnen Kaffee – verglichen mit den 200000 Tonnen Rohkaffee, den Äthiopien jedes Jahr exportiert, ist das ein Tropfen auf den heißen Stein. Aber es ist ein Anfang. Und als Marathonläufer weiß Ahlers, dass man auch mit kleinen Schritten ins Ziel kommt.
Was insgesamt in Äthiopien durch eine Umstellung erreicht werden könnte, kann man auf der Homepage von Solino nachlesen: „Äthiopien exportiert rund 190000 Tonnen Arabica Rohkaffee pro Jahr. Dafür bekommen die Äthiopier im Durchschnitt 560 Millionen Euro“, heißt es auf der Seite des Unternehmens, „wenn wir nur noch gerösteten und verarbeiteten Kaffee kaufen würden, hätte Äthiopien mindestens 60 Prozent mehr Geld, also 340 Millionen Euro zusätzlich.“ Bei einem Jahreseinkommen von 1200 Euro für jeden qualifizierten Arbeitsplatz, was ungefähr dem Dreifachen eines durchschnittlichen Arbeitslohns in Äthiopien entspreche, könnten so über 280000 Jobs geschaffen werden. Ahlers’ Ansicht nach weist das den Weg aus einem Dilemma: Er möchte Afrika gerne helfen, hält aber Entwicklungshilfe für unsinnig – genauso wie eine wachsende Zahl afrikanischer Experten. „Rechnet man die Familienmitglieder hinzu, könnte eine ganze Großstadt davon leben“, sagt Ahlers. „Dies würde sicher mehr bringen als alle klassischen Entwicklungshilfeprojekte.“
Kritiker an der klassischen Entwicklungshilfe gibt es inzwischen viele: So ist die sambische Harvard-Ökonomin Dambisa Moyo zum Beispiel dagegen, „jedes Jahr Milliarden Dollar an Billigkrediten und Budgethilfen nach Afrika zu pumpen“. Diese vermeintliche Hilfe, so die Autorin des Buches „Dead Aid“, hätten „Abhängigkeit und Inflation“ erzeugt: „Das Geld lässt die Menschen in Afrika gar nicht erst produktiv werden; seit 40 Jahren kommt zuverlässig Hilfe, und trotzdem stehen wir immer noch mit einer miesen Infrastruktur, schlechter Ausbildung und einem lausigen Gesundheitssystem da.“ Die Armut, kritisiert Moyo westliche Entwicklungspolitiker, nehme sogar zu, seit Entwicklungshilfe gezahlt wird. Felix Ahlers hingegen hofft auf die Segnungen der Marktwirtschaft. „Wir können nicht so weitermachen wie bisher“, sagt er.
Dass der Unternehmer auf Kaffee setzt, ist nachvollziehbar. Kaffee ist Äthiopiens wichtigstes Exportgut und sorgt für rund 60 Prozent der Deviseneinnahmen des Landes. Nach allem, was man weiß, ist Äthiopien auch die Heimat des Kaffeestrauchs, genau genommen die Provinz Kaffa im abessinischen Hochland. Um die erste Tasse ranken sich unzählige Legenden. So soll ein Hirtenjunge nach dem Verzehr der roten Beeren besonders munter geworden sein. Eine andere Erzählung handelt davon, dass der Erzengel Gabriel dem Propheten Mohammed eine Schale mit einer braunen Flüssigkeit reichte, dadurch dessen Lebensgeister wieder weckte und ihn in die Lage versetzte, sein islamisches Reich zu gründen. In Äthiopien jedenfalls kamen sie wohl auf die Idee, dass man, statt immer nur die Kaffeekirschen zu kauen, diese auch rösten, mahlen und mit kochendem Wasser aufbrühen könne.
Durch den Handel mit Arabern auf der anderen Seite des Roten Meeres begann der Trank seinen Siegeszug um den Erdball. Vom Jemen wanderte das Wissen um die Kunst der Kaffeezubereitung zunächst in die Türkei und von dort nach Europa. Der Komponist Johann Sebastian Bach war von dem Sud derart begeistert, dass er ihm eine Kaffeekantate widmete, während der Preußische König Friedrich der Große den „Türkentrank“ verbieten ließ und seine Untertanen zwang, mehr Bier zu konsumieren: „Das ist ein Getränk, das für unser Klima passt.“ Natürlich blieb der Alte Fritz bei seinem Versuch, dem Kaffee den Garaus zu machen, erfolglos, und irgendwann wurden die Bohnen zur begehrten Handelsware. Holländer, Portugiesen und Franzosen exportierten den Kaffee schließlich in ihre Kolonien, nach Sumatra, Südamerika, in die Karibik.
Die kleine Rösterei in Addis Abeba beschäftigt mittlerweile dreißig Menschen, und einhundert sind in der Verpackung tätig. Doch es war ein mühsamer Beginn. Erst seit anderthalb Jahren, sagt Felix Ahlers, vertraue er seinen Leuten blind. So lange habe es gedauert, die Äthiopier mit den hohen Ansprüchen vertraut zu machen, die deutsche Supermarktketten hätten. „Es geht ja nicht nur darum, dass der Kaffee von guter Qualität ist“, sagt Ahlers. Auch die Verpackung muss gut aussehen und einheitlich sein, die Barcodes müssen korrekt und einwandfrei zu lesen sein, und die Lieferungen müssen pünktlich den Empfänger erreichen. Nicht selten machten auch die äthiopischen Zöllner dem kleinen Kaffee-Start-up das Leben schwer, weil sie ein gewaltiges Geschäft witterten und absurd hohe Abgaben verlangten.
Überhaupt gebe es im Land noch viel zu viele Hemmnisse, beklagt Ahlers. Obwohl Äthiopien mit rund 105 Millionen Einwohnern einen gewaltigen Binnenmarkt biete, würden vom Salzstreuer bis zum Mangosaft Güter importiert, die auch im Land selbst hergestellt werden könnten. Ausländische Unternehmer aber täten sich schwer, in Äthiopien zu investieren, weil sie ihre Gewinne praktisch nicht ins Ausland ausführen können. Das Land leidet unter Devisenknappheit und tut deshalb alles, um den Abfluss des Geldes zu verhindern. Das sei verständlich, verhindere aber nötiges Investment aus dem Ausland. Außerdem gehörten Grund und Boden immer noch ausschließlich dem Staat. Bauern bekommen deshalb von den Banken keine Kredite, was die Entwicklung von kommerzieller Landwirtschaft nahezu unmöglich macht.
Seit April hat Äthiopien, das immer noch zu den ärmsten Ländern der Erde zählt, mit dem erst 41 Jahre alten Abiy Ahmed einen neuen Ministerpräsidenten. Auf ihm ruhen nun alle Hoffnungen. Innerhalb kürzester Zeit hat er zwischen Äthiopien und Eritrea den Frieden ausgerufen, er hat politische Gefangene aus den Gefängnissen entlassen, und er wirbt um Investoren, die sich an großen Staatsfirmen wie der Fluglinie Ethiopian Airlines, dem Stromanbieter Ethio Power oder der Telefongesellschaft Ethio Telekom beteiligen.
„Es ist eine spannende Zeit in Äthiopien“, sagt Ahlers. Gerade hat er ein einjähriges Sabbatical in Addis Abeba hinter sich gebracht, jetzt wird er wieder mehr Zeit mit Frosta verbringen. Aber er wird wiederkommen. „Es geht doch gerade erst los.“