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Für eine andere Entwicklungspolitik!

Beitrag vom 11.09.2018

FAZ

Aufruhr in der Perle Afrikas

Die Ugander rebellieren gegen den betagten Machthaber Yoweri Museveni. Ihr Idol ist der Rapmusiker Bobi Wine. Der wurde verhaftet und gefoltert – und steht nun vor einer schweren Entscheidung.

Von Thilo Thielke

KAMPALA, im September
Hey Folks, da draußen auf Ugandas Straßen, hört mal alle her“, brüllt der Radiomoderator James Peterson in eines der vier Mikrofone vor sich, „heute machen wir Radau, heute erheben wir unsere Stimme, heute hören wir Bobi Wine – und zwar ohne Ende.“ Dann dreht der 36 Jahre alte Discjockey mit den raspelkurzen Haaren den Regler hoch und spielt den Gassenhauer „Dembe“.

Das Wort Dembe stammt aus der Stammessprache Luganda und bedeutet Freiheit. Aber in dem Lied, das sich in der letzten Zeit geradezu zur Hymne der ugandischen Jugend entwickelt hat, geht es vor allem auch gegen die im Land grassierende Gewalt: „We no proud of the violence/ We condemn the violence/ Rasta no pride in the violence“. Und während das Lied des Rastarappers läuft, schaut DJ Peterson aus seinem Studio im vierten Stock des Gebäudes von Radio KFM 93,3 auf die Straße hinunter und sieht einen Lastwagen der Bereitschaftspolizei nach dem anderen vorbeirumpeln. Die Männer, die in ihren violetten Tarnanzügen auf den Ladeflächen hocken, wirken angespannt. Sie tragen Knüppel, Schilde und Schnellfeuergewehre bei sich. In den vergangenen Tagen wurde scharf geschossen auf den Straßen der Hauptstadt Kampala. „Es herrscht kein Krieg“, beruhigt Peterson, „aber das kann sich ändern.“ In seiner Sendung wird er an diesem Tag nur die Lieder Bobi Wines spielen, vier Stunden lang. Dazu gehört derzeit schon etwas Mut in Uganda. Bobi Wine, der bürgerlich Robert Kyagulanyi Ssentamu heißt, ist Staatsfeind Nummer eins.

Vor rund drei Wochen wurde Ssentamus Fahrer erschossen, aber der Sänger ist sicher, dass die Schüsse ihm selbst galten. Dann wurde er tagelang von der Polizei eingekerkert und gefoltert und nachher des Hochverrats angeklagt. Nur auf Kaution kam er aus dem Gefängnis frei. Auf einer Trage schließlich durfte der übel zugerichtete Mann, der zu diesem Zeitpunkt weder stehen noch laufen konnte, in die Vereinigten Staaten gebracht werden, um sich medizinisch behandeln zu lassen. Seine Anwälte befürchten, dass er bleibende Schäden davontragen wird. „Sie haben mich überall geschlagen, wo man einen Menschen nur schlagen kann; sie haben mich geboxt und getreten, und ich habe immer wieder Spritzen mit irgendwelchen Medikamenten bekommen“, berichtete der Sänger. Unaussprechliche Dinge seien ihm angetan worden, er sei mit dickem Stoff umwickelt worden, man habe seine Hoden gequetscht, und immer wieder sei er mit Gegenständen malträtiert worden, die er nicht habe sehen können. Die Aufnahmen von Bobi Wine zeigen einen hageren Mann mit eingefallenem Gesicht, der sich mühsam an seine Krücken klammern muss und sich immer noch kaum aufrecht halten kann.

„Sie haben ihn fast totgeschlagen, seine Nieren sind schwer beschädigt“, sagt Robert Amsterdam, ein bekannter kanadischer Menschenrechtsanwalt, der weltweit die Opfer staatlicher Willkür vertritt: „Was mit ihm geschah, ist reiner Staatsterror.“ Amsterdam kann nur am Telefon sprechen. Die ugandische Regierung hat ihm die Einreise verweigert. In den Tagen, in denen sich sein Mandant in Polizeigewalt befand, sei dieser systematisch misshandelt worden. „Neben den Übeltätern stand immer ein Arzt, der kontrollierte, wie sie ihn zurichteten“, sagt Amsterdam, „außerdem bekam er ständig Spritzen mit Sedativa, über weite Strecken war er gar nicht bei Bewusstsein.“ Hinter allem stecke Staatspräsident Yoweri Museveni persönlich, ein Diktator, der sich mit aller Kraft an die Macht klammere, so Amsterdam. Der Anwalt kann nicht verstehen, wie „das Ausland, das diesen Mann und seine Regierung seit Jahrzehnten subventioniert, zusehen kann, wie Uganda vor die Hunde geht“.

Es scheint, als sei Bobi Wine dem greisen Herrscher Ugandas zu gefährlich geworden. Bobi Wine ist 35 Jahre alt und seit einem Jahr als Parteiloser Mitglied des ugandischen Parlaments. Aufgewachsen ist er im Kamwookya-Slum in Kampala. Doch der junge Mann boxte sich durch und studierte später an der Makerere-Universität in der Hauptstadt Musik, Tanz und Schauspiel und machte einen Bachelor-Abschluss in Kunst. Seine Musikkarriere begann vor etwa 18 Jahren mit der Gruppe „Fire Base Crew“, deren Chef er war. Nach der Auflösung der Band gründete er „Ghetto Republic of Uganja“. Später trat er als Berufsboxer auf und hatte Rollen in kleineren Filmproduktionen. Zum Popstar wurde er in Uganda schließlich durch seinen Rap. Als Parlamentarier fiel Bobi Wine durch seinen Mut und seine Unbekümmertheit auf – zum Beispiel, als er vor zwei Monaten den Protest gegen eine neue Steuer anführte. Mit dieser, so der Verdacht der Opposition, wolle die Regierung die Macht der sozialen Medien begrenzen und Kritiker mundtot machen.

Vor allem aber ist Bobi Wine die Stimme die Jugend. Und das verleiht ihm Macht. 78 Prozent der ugandischen Bevölkerung sind jünger als 30 Jahre, und von diesen sind 83 Prozent arbeitslos. Es gärt im jungen Volk. Und das scheint endlich einen Anführer gefunden zu haben, der zwar von Politik wenig Ahnung hat, dafür aber glaubwürdig wirkt. „Ghetto President“ nennen die jungen Leute ihren Mann im Parlament, auf Twitter, Facebook oder Whatsapp verfolgen sie fast jeden seiner Schritte.

Der 74 Jahre alte Museveni, der seit 1986 regiert, kann damit nicht viel anfangen. Er kommt aus einer anderen Zeit. Museveni ist ein ehemaliger Guerrillakämpfer, der mit seiner Rebellentruppe National Resistance Army jahrelang gegen die Präsidenten Idi Amin, Milton Obote und Tito Okello kämpfte. Amin und Obote waren Tyrannen, an deren Händen das Blut Hunderttausender klebte. Als Museveni schließlich an die Macht kam, war die Erleichterung groß. Zudem wusste der neue Mann, was die Politiker in jenen Staaten, die in Afrika der Einfachheit halber nur Geberländer genannt werden, gerne hören. „Afrikas Problem sind Politiker, die nicht von der Macht lassen können“, sagte der Hirtensohn vom Stamm der Hima.

Das war vor 32 Jahren. In der Zwischenzeit ließ er die Verfassung ändern, um länger regieren zu können als jene zwei Amtszeiten, die einem ugandischen Politiker bis dahin zustanden. Ende des vergangenen Jahres war dann eine abermalige Verfassungsänderung nötig. Bislang durfte nur Präsident werden, wer jünger als 75 Jahre ist. Damit hätte Museveni bei der nächsten Wahl 2021 nicht mehr kandidieren können. Das ist nun vom Tisch. Gleichzeitig wurde beschlossen, das Volk nur noch alle sieben statt wie bisher alle fünf Jahre abstimmen zu lassen, wer es führen soll. Bisweilen droht Museveni damit, das Abgeordnetenhaus ganz aufzulösen. „Ich brauche gar kein Parlament“, sagt er dann, „meine Vorgänger brauchten ja auch kein Parlament.“ Museveni, den man selten ohne Hut sieht, hat also vorgesorgt, und so könnte wahr werden, was seine Parteianhänger gerne singen: „Museveni paka last – Museveni für immer!“

Sarah Bireete kommt gerade aus der anglikanischen St.-Luke-Kirche in Kampalas Stadtteil Ntinda. Überall habe es von Soldaten gewimmelt, berichtet sie, ein enger Kordon sei um das Gotteshaus gezogen worden, als hätten sich dort Terroristen versammelt. Dabei waren nur ein gutes Dutzend Frauen zusammengekommen, um für gefolterte Geschlechtsgenossinnen zu beten.

An jenem Tag, als Bobi Wines Fahrer erschossen und er selbst verhaftet worden war, waren auch mehrere Uganderinnen verschleppt und misshandelt worden. „Sie hatten in der Stadt Arua im Nordosten des Landes demonstriert, als sie plötzlich angegriffen wurden“, sagt die Direktorin der Menschenrechtsorganisation Center for Constitutional Governance. Mitte August fanden in Arua Wahlen statt. Der bisherige Abgeordnete, Ibrahim Abiriga, war zwei Monate zuvor von Kugeln buchstäblich durchsiebt worden, während er in seinem gelben VW-Käfer saß. Nun war die Prominenz aus Kampala herbeigeströmt, um die unterschiedlichen Kandidaten im Kampf um die notwendigen Stimmen zu unterstützen.

Bobi Wine und seine jugendlichen Freunde von der People-Power- Bewegung zogen in roter Kluft durch die Straßen und skandierten ihren Kampfruf „Macht des Volks, unsere Macht“. Dazu stießen sie zornig die Fäuste in die Höhe und schwenkten ihre Barette. Yoweri Museveni ließ sich hingegen in der von seinen Prätorianern begleiteten Limousine durch die Straßen chauffieren. 40000 Menschen waren auf den Beinen, und irgendwann sollen die verschiedenen Züge kollidiert sein. Es sollen Steine geflogen sein und die präsidiale Kolonne getroffen haben.

„Auf so etwas hatten Museveni und seine Leute nur gewartet“, ist Bireete sicher, „nun glaubten sie, losschlagen und sich nebenbei des schärfsten Rivalen entledigen zu können – das ist nicht ungewöhnlich in diesem Land.“ Bireete, 42 Jahre alt, hat die Organisation, der sie vorsteht, im Jahr 2011 gegründet. Die ugandische Verfassung sei gut, sagt sie, sie müsse aber vor dem Missbrauch durch die Politik geschützt werden. „Das Militär und Museveni als sein oberster Befehlshaber haben hier die Macht“, sagt sie, „die Armee hat in der Vergangenheit schon das Parlament besetzt, Abgeordnete verprügelt und politische Gegner erschossen, als seien die Ugander alle Freiwild.“ Mittlerweile fühle sich kaum noch jemand sicher im Land. Bireete: „Wir hatten acht Präsidenten in diesem Land, alle wurden irgendwann von der Macht geputscht, nicht einen einzigen friedlichen Wandel hat es gegeben – und auch Museveni wird irgendwann gestürzt werden.“

Als liege ein Fluch auf dem Land, das Winston Churchill einst die „Perle Afrikas“ nannte. „Unsere Führer scheinen geradezu den Drang zu verspüren, diese Perle zu ruinieren“, meint Bireete und erzählt eine Fabel. Überall in Afrika kenne man die Geschichte vom Skorpion, der auf dem Rücken des Krokodils den großen Fluss überquert, auf halber Strecke zusticht und vom Krokodil gefragt wird, warum er das tue, wo sie doch jetzt beide stürben. Die Antwort des ertrinkenden Skorpions ist einfach: „Dies ist Afrika.“ Exakt so, meint Bireete, verhalte es sich auch in Uganda. Museveni habe längst die Möglichkeit gehabt, einen Nachfolger aufzubauen, als vielgepriesener Staatschef in den Ruhestand zu gehen und dem Land so einen friedlichen Wandel zu ermöglichen. Stattdessen manövriere er nicht nur sich, sondern ganz Uganda wie unter Zwang auf den Abgrund zu. Für eine Wende sei es mittlerweile zu spät: „Der Hass ist groß und die Jugend zu verbittert.“ Das alles, meint Bireete düster, werde blutig enden.

Auch Robert Ssempala, dem Chef der Journalistenschutzorganisation Human Rights Network for Journalists (HRNJ), schwant nichts Gutes. Mehrere ugandische Reporter sind in den vergangenen Tagen während ihrer Arbeit übel zugerichtet worden. Zwei Journalisten vom Fernsehsender NTV wurden geschlagen, in Handschellen abgeführt und in Arrest gesteckt. Vier kamen mit schweren Verletzungen in ein Krankenhaus. „Die Lage für Journalisten verschlechtert sich dramatisch“, sagt der 43 Jahre alte Ssempala. In letzter Zeit häufen sich auch Morddrohungen; Journalisten bekämen Anrufe, in denen ihnen mitgeteilt werde, dass sie sterben würden, wenn sie nicht aufhörten mit der kritischen Berichterstattung.

Zudem versuche die Regierung, Journalisten mit dem 2013 in Kraft getretenen „Computer Misuse Act“ zu gängeln: „Offiziell will die Regierung etwas gegen Hate Speech unternehmen, doch in Wahrheit geht es um Zensur und die Unterdrückung regierungskritischer Stimmen“, sagt Ssempala. Früher war der Gründer des HRNJ selbst Journalist und arbeitete bei der Zeitung „Ggwanga“. 2010 wurde die Redaktion von der Polizei gestürmt, Computer wurden beschlagnahmt und Herausgeber und Redakteure verhaftet. Man schob ihnen subversive Schriften unter und stellte sie vor Gericht. Damals entschied sich Ssempala, das Netzwerk zu gründen.

Bobi Wines ugandischer Anwalt Asuman Basalirwa kennt die Unerbittlichkeit des ugandischen Staats. Er selbst ist Parlamentarier, Präsident der Oppositionspartei Justice Forum. Im Juni wurde der Leibwächter des 33 Jahre alten Politikers erschossen. Auch Basalirwa ist davon überzeugt, dass der Anschlag, dem Bobi Wines Fahrer zum Opfer fiel, dem Sänger gegolten habe. Derzeit berät er sich mit seinem Mandanten. Der hat eine schwere Entscheidung zu treffen. Noch immer besteht die Anklage wegen Hochverrats gegen Bobi Wine und 32 seiner politischen Freunde. Kurz nach seiner Verhaftung hatte die Polizei ein paar alte Flinten und einige Schuss Munition, die angeblich in seinem Hotelzimmer gefunden wurden, als Beleg für einen geplanten Staatsstreich präsentiert. Kehrt er zurück nach Uganda, könnte er für lange Zeit im Gefängnis verschwinden. Vielleicht wird er auch ermordet. Bleibt er im Ausland, enttäuscht er die Millionen, die auf ihn setzen.

„Bobi muss zurückkehren“, sagt Radiomoderator James Peterson. „Wenn Bobi kandidiert, wird er mit Sicherheit unser nächster Präsident – dieser Mann wird geliebt.“ Dutzende von Zuhörern haben in der Zwischenzeit angerufen. Sie haben dem Idol in der Ferne Genesungswünsche ausrichten lassen, sie haben von ihrer Angst gesprochen und von ihrer Hoffnung. Zum Ende der Sendung spielte Peterson einen Song von Bobi Wine, der in den Kaschemmen Kampalas in diesen Tagen oft zu hören ist. Er heißt „Situka“, und den Refrain kennt in Uganda mittlerweile fast jedes Kind: „Rise up, let’s walk together. I know the situation is so discouraging, but don’t give up. Let’s walk. Rise up, let’s walk together. Don’t get tired. Let’s walk.“