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Beitrag vom 03.01.2019

Kampf um das Wasser

Wegen Korruption verzögert sich der Nilstaudamm in Äthiopien/

Von Christian Meier und Thilo Thielke

FRANKFURT/KAPSTADT, 2. Januar
„Große Talsperre der äthiopischen Wiedergeburt“ nennen sie das Bauwerk stolz: einen Staudamm, 145 Meter hoch und 1800 Meter lang, bestehend aus einer Gewichtsmauer aus Walzbeton und einem Kraftwerk mit zehn 375-Megawatt-Wasserturbinen. Einmal fertigstellt, soll er den Blauen Nil zu einem See stauen, der 74 Milliarden Kubikmeter fasst, mehr als das Doppelte der Menge des vom Hoover-Damm gespeisten Lake Mead im Südwesten der Vereinigten Staaten. Das entspricht zugleich der durchschnittlichen Menge, die jährlich den Nil hinabfließt. Durch den Staudamm könnten 6500 Megawatt Strom erzeugt werden. So der Plan.

Am 2. April 2011 legte der damalige Ministerpräsident Miles Zenawi den Grundstein für die Talsperre, die auf Englisch „Grand Ethiopian Renaissance Dam“ (Gerd) heißt. 2017, spätestens 2018 sollte der Jahrhundertbau in Betrieb genommen werden. Die Bauarbeiten verzögern sich nun aber um mindestens vier Jahre. Ein Korruptionsskandal erschüttert Äthiopien und gefährdet die Bauarbeiten. Im Mittelpunkt steht die „Metals and Engineering Corporation“ (Metec), die den äthiopischen Streitkräften gehört. Kürzlich wurde ihr ehemaliger Chef, Brigadegeneral Kinfe Dagnew, in Handschellen abgeführt. Nach Aussagen von Generalstaatsanwalt Berhanu Tsegaye wurden 26 weitere Metec-Offizielle verhaftet. Einen Mitarbeiter ertappten die Polizisten, als er versucht habe, Dokumente zu vernichten. Den Metec-Leuten wird Korruption und Unterschlagung vorgeworfen. Der Firma wurde im vergangenen August wegen Bauverzögerungen der Auftrag entzogen.

2011 hatte die italienische Firma Salini Impregilo, das Hauptbauunternehmen, Metec den Auftrag erteilt, Turbinen für umgerechnet 730 Millionen Euro zu installieren und elektrische Kabel zu verlegen. Bereits mehr als 512 Millionen Euro sollen an Metec gezahlt worden sein. Ausgeführt hat die Firma weniger als ein Drittel der bestellten Arbeiten. Auf Metecs Konto befindet sich nur noch ein Rest von acht Millionen Euro. Der Rest ist verschwunden.

Nicht nur der wahrscheinliche Diebstahl beunruhigt die Äthiopier. Sie befürchten auch Pfusch am Bau. „Zum ersten Mal haben wir vor zwei Jahren Probleme bei den elektromechanischen Arbeiten am Damm festgestellt“, sagte Äthiopiens Minister für Wasser, Bewässerung und Elektrizität, Sileshi Bekele. Erst seit einigen Monaten jedoch untersuche man den Schaden detailliert. Die Verhaftung der Metec-Männer folgt auf den Tod des Damm-Managers Semegnew Bekele, der im Juli mitten in der Hauptstadt Addis Abeba leblos in seinem Auto gefunden worden war. Obwohl die Polizei von einem Selbstmord sprach, wittern viele hinter dem dubiosen Todesfall einen Mord.

Weiter im Norden dürfte man über die Probleme bei dem Projekt indes erleichtert sein. Seit die Regierung in Addis Abeba 2001 ihre ehrgeizigen Pläne bekanntmachte, den Nil zu stauen, sind vor allem die Ägypter verunsichert. Sie sind der größte Verbraucher von Nilwasser, und sie sind auch am stärksten davon abhängig. Nach Schätzungen bezieht Ägypten jährlich bis zu 65 Milliarden Kubikmeter Wasser aus dem Fluss, also 85 Prozent seines gesamten Wasserverbrauchs. Dennoch steht das 100-Millionen-Einwohner-Land seit Jahren am Rande der Wasserknappheit, für 2030 sagen die Vereinten Nationen eine „absolute Wasserknappheit“ voraus.

Ägyptens Politiker lassen daher keinen Zweifel daran, dass sie auf das Wasser aus dem Nil nicht verzichten können – und auch nicht werden. Präsident Abd al Fattah al Sisi sagte 2017 im Fernsehen: „Niemand kann Ägyptens Anteil am Wasser anrühren“, und sprach von einer „Frage von Leben und Tod“. Offiziell hat das Land militärische Maßnahmen zwar ausgeschlossen. Es hat aber stets klargemacht, dass es sich um eine Angelegenheit der nationalen Sicherheit handele.

Das sehen auch die übrigen Anrainer so. Die Spannungen wegen der Aufteilung des Nilwassers reichen viele Jahre zurück – wenigstens bis 1959, als Ägypten und Sudan ein aus dem Jahr 1929 stammendes Abkommen zur Aufteilung des Wassers erneuerten. Ägypten erhält demnach drei Viertel des Wassers und Sudan ein Viertel. Das Abkommen berücksichtigt nicht Äthiopien, das weit höhere Niederschläge hat und reich an Flüssen und Seen ist, auch nicht die übrigen acht Nilanrainer. Mit dem Staudamm-Projekt hat sich das Blatt gewendet: Nun fürchtet Ägypten um seinen Anteil. Jahrelang versuchte Kairo, den Bau des Damms zu verhindern oder zumindest die Auswirkungen zu begrenzen. Seit den neunziger Jahren gab es mehrere Anläufe der Anrainerstaaten, die künftige Aufteilung des Wassers zu regeln. Sie scheiterten stets an den unvereinbaren Interessen der beteiligten Länder – und an nationaler Kraftmeierei: Während Ägypten auf jahrtausendealte „historische Rechte“ am Nil pochte, wurde in Äthiopien der Renaissance-Damm zu einem Symbol nationalen Stolzes. Das änderte sich erst kürzlich, unter dem neuen Ministerpräsidenten Abiy Ahmed.

In Erwartung der Fertigstellung des Damms hat Ägypten immerhin in den vergangenen Jahren begonnen, ein nachhaltigeres Wassermanagement in die Wege zu leiten: durch geplante Entsalzungsanlagen, Wasseraufbereitung und weniger bewässerungsintensive Landwirtschaft. Das dürfte bei weitem nicht ausreichen, um den zu erwartenden Ausfall durch die Auffüllung des Stausees in Äthiopien wettzumachen. Sollte das Reservoir in fünf bis sieben Jahren gefüllt werden, würde Ägyptens Wasserentnahme aus dem Nil in dieser Zeit laut einer Studie der Geological Society of America jährlich um ein Viertel sinken. Zugleich bestünde eine „große Gefahr“, dass das fruchtbare Nildelta austrocknen würde. Als wäre das nicht schlimm genug, würde auch ein Drittel des durch den Assuan-Hochdamm generierten Stroms wegfallen. Aus diesem Grund dringt Kairo darauf, dass die Füllzeit verlängert wird – auf mehr als sieben Jahre, Äthiopien plante bislang jedoch mit fünf bis sechs Jahren.

Unter Äthiopiens neuem Ministerpräsidenten Abiy Ahmed scheint sich das Verhältnis beider Staaten zu entspannen: Bei einem Treffen in Kairo im vergangenen Juni zeigten sich Sisi und Ahmed entschlossen, eine einvernehmliche Lösung zu finden. Auf Sisis Aufforderung hin sagte Ahmed auf Arabisch: „Ich schwöre bei Gott, dass wir euch niemals schaden werden.“ Aber auch Ahmeds Land hat rund 100 Millionen Einwohner, die mit Wasser und Strom versorgt werden müssen.