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Für eine andere Entwicklungspolitik!

Beitrag vom 19.03.2019

FAZ

Kamerun

Jäger und Gejagte
Frustrierte Wildhüter, desillusionierte Bewohner: Die Ausweisung von Nationalparks in Entwicklungsländern soll der Natur ebenso wie der Bevölkerung helfen – schürt aber stattdessen oft Konflikte.

Von Stefan Tomik

Wenn die Naturschützer kommen und Nationalparks in Entwicklungsländern unterstützen, wird alles besser: Wildhüter vertreiben Wilderer, retten Elefanten und Affen. Und die lokale Bevölkerung profitiert von Arbeitsplätzen im Ökotourismus, von Schulen, Brunnen und anderen Entwicklungsprojekten. Einnahmen werden fair verteilt.

Das ist jedenfalls die Theorie. Doch Anspruch und Wirklichkeit in den von Deutschland mitfinanzierten Nationalparks gehen manchmal weit auseinander. Das haben Fälle von Menschenrechtsverletzungen in Nepal und Kongo gezeigt, die kürzlich bekanntwurden. Dort hatten Ranger mutmaßliche Wilderer gefoltert und getötet. Auch in anderen Staaten, etwa in Kamerun, verbreiteten Wildhüter Angst und Schrecken. Eine bislang unveröffentlichte Studie erhellt nun die Hintergründe, vor denen sich solche Menschenrechtsverletzungen ereignen. Sie wirft ein Licht auf ethnische Konflikte, Armut und unerfüllte Versprechen im Lobéké-Nationalpark im Südosten Kameruns, wo sich unter anderem die Bundesregierung und die Naturschutzorganisation WWF seit vielen Jahren engagieren. Die Autoren kommen zu ernüchternden Erkenntnissen: Die lokale Bevölkerung profitiere so gut wie gar nicht vom Nationalpark, müsse im Gegenteil viele Nachteile hinnehmen und werde auch nicht einbezogen. Das Parkmanagement sei zerstritten, die Wildhüter seien frustriert und demotiviert.

Der Lobéké-Park wird seit 2007 über einen Fonds finanziert, den Deutschland über die KfW-Bankengruppe zu einem Großteil gefüllt hat. Der WWF ist seit 1990 in Kamerun aktiv, er half schon bei der Ausweisung des Parks, in dem Menschenaffen, Bongos und Elefanten leben, und verwaltet ihn heute zusammen mit dem kamerunischen Waldministerium. Über Spenden auch aus Deutschland werden etwa die Wildhüter ausgerüstet, die im Park und ringsherum patrouillieren und Wilderei verhindern sollen.

Die Organisation hebt immer wieder hervor, dass Naturschutz und Entwicklung Hand in Hand gingen. „Rund um die betreuten Schutzgebiete im Kongobecken arbeitet der WWF an der Entwicklung von Einkommensalternativen“, heißt es auf der Website, und zwar „für die gesamte Bevölkerung“. Nachhaltige Waldnutzung „sowie der Aufbau von Ökotourismus tragen inzwischen erheblich zum Einkommen von Tausenden von Menschen“ bei. Und die KfW behauptet über Kamerun: „Die Bevölkerung profitiert vom Naturschutz.“ Im Gebiet des Lobéké-Parks würden ihre Interessen „von einem lokalen Komitee vertreten, das regelmäßig mit dem Schutzgebietsdirektor zusammentrifft“.

Doch eine Gruppe von acht jungen Forschern des Seminars für Ländliche Entwicklung der Berliner Humboldt-Universität fand dort eine andere Situation vor. In einem Entwurf für den Abschlussbericht ihrer Studie, der dieser Zeitung vorliegt, heißt es: „Auffällig ist die weitverbreitete negative Wahrnehmung von Naturschutz über alle sozialen Kategorien wie Geschlecht, ethnischer Zugehörigkeit und Alter hinweg.“ Mit dem Nationalpark brächten die Menschen „Repression, Angst und Leid“ in Verbindung. Sie sähen wohl die Notwendigkeit, die Natur zu erhalten, aber weder könnten sie sich jetzt noch aus dem Wald ernähren, noch hätten sie ausreichende andere Möglichkeiten angeboten bekommen. Die Einschränkungen durch den Nationalpark und das sehr restriktive Waldgesetz „widersprechen klar dem traditionellen Lebensstil“ der lokalen Bewohner, „ihrem kulturellen Erbe und ihrer Identität“. Den Park sähen sie „als ein fremdes Projekt, das Ausländer ihnen ohne ausreichende Konsultation aufgezwungen haben“.

Die Forscher haben sechs Wochen in Kamerun verbracht, Dutzende Interviews geführt, Gemeindeversammlungen abgehalten und insgesamt mit etwa fünfhundert Menschen gearbeitet. Eines der großen ungelösten Probleme ist nach ihren Erkenntnissen, dass die Menschen plötzlich vom Wald abgeschnitten wurden, von dem sie seit langem leben. Die Regierung hat das ganze Gebiet mit Hilfe des WWF vor etwa zwanzig Jahren in Zonen geteilt. In manchen Zonen darf gar nicht mehr gejagt werden, andere wurden an private Unternehmen verpachtet, die dort Bäume fällen oder Safaris für gut zahlende Kunden veranstalten – und Einheimische oft fernhalten. Immer wieder kommt es zu Konflikten, weil sich die Zonen überlappen, die Grenzen nicht markiert sind und damit auch die Regeln unklar, wie und was gejagt werden darf. Die Einheimischen beklagen, dass Wildhüter auch dort Beute oder Waffen beschlagnahmen, wo eigentlich gejagt werden darf. Und immer wieder wurden Wildhüter in Kamerun beschuldigt, brutal gegen mutmaßliche Wilderer und Dorfbewohner vorzugehen, sie mit Macheten oder Gürteln zu schlagen.

Diese Anschuldigungen im Einzelnen aufzuklären war nicht Teil der von der KfW unterstützten Forschungsmission. Die Autoren fanden jedoch „eine giftige Atmosphäre von Angst und Misstrauen“ vor. Schon „die schiere Präsenz der Wildhüter scheint als Bedrohung gesehen zu werden“, heißt es in ihrem Bericht. Die Beschwerdemöglichkeiten gegen Menschenrechtsverletzungen seien unzureichend. Auch komme es zu Missverständnissen, die den Konflikt weiter anheizen, wenn Wildhüter beschlagnahmte Jagdbeute in den Dörfern versteigern. Obwohl das Geld dem Staat zugutekommen soll, würden die Auktionen als Affront aufgenommen: Dieselben Wildhüter, die den Dorfbewohnern ihre Beute weggenommen haben, bieten sie nun gegen Geld wieder an.

Auf der anderen Seite stehen die Wildhüter. Sie fühlten sich im Umgang mit den Einheimischen unsicher, heißt es in dem Bericht. Kein Ranger stamme aus Mambélé, wo die Parkverwaltung liegt, sie würden stattdessen meist aus der Hauptstadt Jaunde oder von noch weiter her abkommandiert und empfänden das als Bestrafung. Sie seien über lange Zeit von ihren Familien getrennt und könnten nicht einmal Besuch beherbergen. Schon die einfache Fahrt nach Jaunde dauere zwei bis drei Tage. Die Lebensbedingungen im Park beschreiben die Angestellten als miserabel, es gebe kaum Möglichkeiten der Freizeitgestaltung. „Wir leben wie die Affen“, sagte ein Wildhüter. Deren Frust verschärfe den Konflikt mit den Einheimischen, heißt es in der Studie. Auch hätten die Wildhüter Angst vor den Wilderern, vor allem, seit diese 2016 einen Ranger töteten.

Während das Waldministerium die Ranger von weit her in den Wald holt, suchen die Einheimischen dringend Arbeit. Sie würden vom Nationalpark aber höchstens sporadisch als Träger oder Führer angeheuert, heißt es in dem Bericht; aber auch nur selten, denn Pläne, hohe Einnahmen aus Ökotourismus zu generieren, hätten sich nicht erfüllt. 2016 seien gerade einmal 96 Besucher gekommen. Als Gründe werden politische Instabilität, die schlechte Erreichbarkeit und mangelhafte Infrastruktur genannt.

Die Parkverwaltung ist verpflichtet, die Menschen bei der Suche nach alternativen Einkommensquellen zu unterstützen und Entwicklungsprojekte aufzulegen. Dafür, dass sie dem ausreichend nachkommt, haben die Studienautoren jedoch nur „wenige Belege“ gefunden. Der WWF Kamerun habe zwar immer wieder hervorgehoben, dass er sich rings um den Park in Projekten für die Bevölkerung engagiere. Die Forscher hätten jedoch trotz mehrerer Bitten nie eine Liste mit konkreten Maßnahmen erhalten. „Die Mehrheit der Menschen fühlt sich alleingelassen und hat den Eindruck, dass nichts getan wird“, schreiben sie.

Es gibt vor allem zwei Gruppen unter den Einheimischen: Baka und Bantu. Die Baka sind ein halbnomadisches Volk und vom Jagdverbot am stärksten betroffen. Über Jahrhunderte lebten sie in Laubhütten tief im Regenwald, jetzt wohnen sie in ärmlichen Siedlungen an den Ausfallstraßen. Der WWF behauptet stets, „mit den Baka für die Baka“ zu kämpfen und erreicht zu haben, dass die kamerunische Regierung auch Baka als Wildhüter einstellt, obwohl sie formell nicht den nötigen Bildungsabschluss hätten. Doch in Lobéké fanden die Forscher unter den 52 Wildhütern nicht einen einzigen Baka.

Die Mehrheit in den Dörfern rund um den Lobéké-Park stellen die Bantu, die vor allem Landwirtschaft betreiben und die Baka für sich arbeiten lassen. Zwischen den Gruppen gibt es einen Konflikt, der teils von offenem Rassismus geprägt ist. Er spiegelt sich anscheinend auch darin wider, wie die Einnahmen aus den verpachteten kommunalen Jagdgebieten verteilt werden. Die Forscher beobachteten, dass viele – unregistrierte – Baka-Siedlungen gar kein Geld bekommen, und folgern: Die „Mechanismen erlauben keine faire Verteilung der Einnahmen“. Mitautorin Henrice Stöbesand sagt: „Die Einnahmen sollen der lokalen Bevölkerung zugutekommen, aber es bleibt unklar, wie viel Geld wirklich wo ankommt.“

Über den Nationalpark ärgern sich aber sowohl Bantu als auch Baka. Für die Bauern wiegt ein Problem besonders schwer: dass Elefanten, Schimpansen und Gorillas ihre Ernte vernichten – also genau jene Tiere, die nun unter besonderem Schutz stehen und nach Beobachtung der Einheimischen deshalb immer frecher werden. Solche Klagen begegneten den Forschern in jedem der besuchten Dörfer. „Elefanten werden besser geschützt als die Menschen“, empörte sich ein Befragter. Die meisten Bauern pflanzen Kakao an, und es dauert Monate, bis sich eine zerstörte Plantage wieder erholt hat. Die Farmer haben ein Recht auf Entschädigung – jedenfalls auf dem Papier.

Tatsächlich sei der Prozess schwerfällig, da drei Behörden beteiligt seien, fanden die Forscher heraus. Die Beamten weigern sich nach Angaben der Betroffenen oft, die beklagten Schäden auch nur in Augenschein zu nehmen. Oder sie machen sich über die Bauern lustig. Ein Regierungsvertreter soll beharrlich nach den Namen der Tiere fragen, die die Plantage zerstören. Einem anderen betroffenen Bauern soll gesagt worden sein, er möge sich doch direkt bei dem Gorilla beschweren.

Die Arrangements im Park spiegeln die Bedürfnisse der lokalen Bevölkerung anscheinend nicht wider. Zwar wurde eine Gemeinschaftszone eingerichtet, in der gesammelt und gefischt werden darf, aber kaum jemand nutze sie, fanden die Forscher heraus, denn dafür müsste jedes Mal eine Genehmigung eingeholt werden, die obendrein Geld koste. „Diese Zone gibt es seit zehn Jahren“, sagt Mitautor Konstantin Engelbrecht, „und seit zehn Jahren funktioniert sie nicht.“ Aus Naturschutzgründen sei die Zone viele Monate des Jahres gesperrt, und sie werde auch nicht, wie eigentlich vorgesehen, von ihren Nutzern selbst verwaltet. Das ist eine weitere Schwachstelle: mangelhafte Partizipation. Die Bevölkerung werde bloß über bereits getroffene Entscheidungen informiert, aber nicht in sie einbezogen, bemängelt der Bericht. „Kein Gremium gibt lokalen Dorfvorstehern die Möglichkeit, das Parkmanagement... zu treffen.“ Und ausgerechnet das Sozialministerium, das sich eigentlich um die Indigenen kümmern soll, sei gar nicht vertreten. Die Forscher ziehen ein vernichtendes Fazit: „Der Großteil der Mechanismen zur Teilhabe funktioniert nicht oder nur teilweise.“

Die Lösungsvorschläge der Forscher sind so simpel wie überzeugend: die lokale Bevölkerung stärker ins Parkmanagement einbeziehen, für Schäden durch Wildtiere entschädigen, Arbeitsplätze schaffen und Einnahmen fair verteilen. Mit anderen Worten: Es müsste das passieren, was Spendern und Steuerzahlern hierzulande seit Jahren versprochen wird. „Naturschutz darf nicht auf Kosten der Bevölkerung gehen“, sagt Susanne Neubert, Direktorin des Instituts für Ländliche Entwicklung. Tatsächlich kommen aber auch aus etlichen anderen von Deutschland mitfinanzierten Nationalparks wie etwa Salonga oder Kahuzi-Biega in Kongo Klagen der lokalen Bevölkerung. Der WWF äußerte sich gegenüber dieser Zeitung nicht. Die KfW teilte mit, sie nehme die Erkenntnisse der Studie „sehr ernst“ und habe „ihren Dialog mit dem WWF, den zuständigen Behörden in Kamerun und den sonstigen Beteiligten intensiviert“. Die regelmäßig erstellten „Fortschrittskontrollen“ der Projekte werden jedoch unter Verschluss gehalten.