Beitrag vom 19.03.2019
Finanz und Wirtschaft (Zürich)
Die Lichter gehen aus in Südafrika
In Afrikas einzigem Industriestaat häufen sich die Stromausfälle. Der Bergbausektor warnt vor den Folgen. Ein Kommentar von Wolfgang Drechsler.
«Ein Zusammenbruch des gesamten Stromnetzes ist nicht mehr ausgeschlossen.»
Es fühlte sich ein wenig gespenstisch an, als am vergangenen Freitag kurz nach 22 Uhr die Vororte an der Kapstädter Atlantikküste plötzlich im Dunkeln versanken. Wo kurz zuvor noch das Leben pulsierte, war es von einer Minute auf die andere stockfinster. Nur das Fussball-WM-Stadion am Rande der Innenstadt strahlte wie ein Juwel in der Dunkelheit. Es verfügt über Hilfsgeneratoren und eine eigene Stromstation.
Auch an der nahe gelegenen Waterfront, Kapstadts Vergnügungsmeile, war der Stromausfall vielerorts zu spüren. Sogar der Mobilfunk war betroffen: Wer nach dem Restaurantbesuch ein Uber-Taxi rufen wollte, kam wegen der zum Teil nicht mehr mit Strom versorgten Funkmasten oft nicht ins Netz.
Seit Mitte vergangener Woche wird Südafrika täglich von solch massiven Stromausfällen geplagt – den schlimmsten seit mehreren Jahren. Anders als noch im Dezember sorgte das jüngste «Loadshedding», wie die Abschaltungen zur Entlastung des unter Druck geratenen Stromnetzes beschönigend heissen, im Land diesmal für helle Aufregung – und Wut.
Strompreis steigt und steigt
Denn anders als vor drei Monaten musste der staatliche Strommonopolist Eskom, der rund 90% aller Elektrizität am Kap generiert, die Produktion diesmal auf Anhieb um den bisher festgelegten Höchstbetrag von 4000 Megawatt drosseln. Noch dazu an einem Wochenende im Hochsommer, wenn der Verbrauch, anders als in den kalten Winternächten zwischen Juni und August, vergleichsweise gering ist. Ein Ende der Engpässe ist nicht in Sicht. Mindestens bis zur Wochenmitte wird «Stage 4» mit seinen rund acht Stunden Stromausfall beibehalten. Wie es danach weitergeht, weiss derzeit niemand.
Der plötzliche Sprung von null auf die Maximalstufe 4 zeigt nach Ansicht von Experten, wie brandgefährlich die Lage bei Eskom inzwischen ist – so gefährlich, dass allen Beschwichtigungen des Stromversorgers zum Trotz ein Zusammenbruch des gesamten Netzes nicht mehr gänzlich ausgeschlossen werden kann. Vor eben diesem Schicksal wird das Netz bislang durch die präventiven Stromabschaltungen bewahrt, die nach Ansicht von Fachleuten eine Folge der sträflichen Vernachlässigung der Instandhaltung vieler Kraftwerke des Unternehmens, aber auch seiner sonstigen Infrastruktur ist.
Doch selbst wenn es nicht zum GAU käme, könnten die massiven Stromabschaltungen zum Sargnagel für die bereits schwer angeschlagene Wirtschaft in Afrikas einzigem Industriestaat werden. Entsprechend gross ist landesweit die Empörung über die Geheimniskrämerei des Unternehmens, aber auch die nun wieder einmal ins Auge gefassten Erhöhungen des Strompreises. Nachdem er in den vergangenen zehn Jahren bereits 400% angehoben wurde, ohne dass seitdem mehr Elektrizität erzeugt worden wäre, hat Eskom bei der Regulierungsbehörde nun eine weitere Strompreiserhöhung von rund 17% beantragt – obwohl sie im Gegenzug ihrerseits nur Stromausfälle liefert.
Goldminenbetreiber in Nöten
Dies könne nun vor allem dem Goldbergbau den Todesstoss versetzen, warnte prompt die Bergbaukammer in Johannesburg. Im ganzen Sektor sei mehr als ein Drittel der Arbeitsplätze gefährdet, wenn der Strom noch teurer werde.
Die seit vielen Jahren bekannten Probleme des Stromversorgers haben sich in der mit Skandalen gespickten Amtszeit des inzwischen abgelösten Präsidenten Jacob Zuma noch einmal verschärft. So stand der lukrative Energiesektor bis zuletzt im Fokus der mit Zuma eng befreundeten indischen Unternehmerfamilie Gupta. Diese hatte von Eskom unter anderem hoch dotierte Abnahmeverträge für Kohle aus ihren Gruben erhalten, aber auch auf andere Weise direkten Einfluss auf die Besetzung des Topmanagements von Eskom genommen.
Neben dem jahrelangen Missmanagement sind Eskoms operative und finanzielle Nöte aber auch eine direkte Folge einer Kostenexplosion bei ihren beiden riesigen Kohlekraftwerken Medupi und Kusile, die ursprünglich bereits ab 2015 ans Netz gehen sollten, aber nach angeblich zu spät bemerkten Konstruktionsfehlern und anderen gravierenden Mängeln weit davon entfernt sind, die Stromversorgung wie erhofft zu stabilisieren. Bis heute wurden über 300 Mrd. Rand (rund 21 Mrd. Fr.) in die beiden Megakraftwerke gesteckt – doppelt so viel wie ursprünglich geplant.
Staatskonzern Eskom überschuldet
Wegen dieser jahrelangen Schlamperei und der massiven Korruption, die von völlig überbezahlten Angestellten bis zur masslos überteuerten Beschaffung wichtiger Bauteile reichen, ist Eskom finanziell in eine extrem prekäre Lage geraten. Als privates Unternehmen wäre der Staatsversorger längst abgewickelt worden. Inzwischen beträgt seine Verschuldung umgerechnet rund 34 Mrd. Fr., was 15% der gesamten Staatsverschuldung entspricht. Trotz massiver Strompreiserhöhungen reichen die Einnahmen aus dem operativen Geschäft nicht aus, um die Zinsen zu bedienen oder die notwendigen Wartungsarbeiten an der Infrastruktur des Unternehmens zu finanzieren.
Zu allem Unglück für Südafrika will die Ratingagentur Moody’s, die Südafrikas Staatsschulden als letzte der grossen drei Agenturen noch auf Investmentniveau führt, nun in zwei Wochen ihr Verdikt über die Bonität geben. Nach dem Desaster bei Eskom in den letzten Tagen würde es nach Ansicht des führenden Investmentanalysten Chris Gilmore kaum überraschen, wenn nun auch Moody’s den Daumen über Südafrika senkt – und das Land durch den damit verbundenen Kapitalabfluss noch tiefer in den Schlamassel stürzt. Vor allem die Währung Rand dürfte unter einer solchen Zurückstufung massiv leiden. Der ANC habe einen perfekten Sturm orchestriert, sagt Gilmore. Das Wachstum sei mit nur rund 1% viel zu niedrig und eine Wende zum Besseren nicht in Sicht. Entsprechend hoch beurteilt er die Wahrscheinlichkeit einer Rückstufung der Staatsschulden auf Ramschniveau.
Stromknappheit wird Dauerzustand
Staatschef Cyril Ramaphosa verkündete im Februar die Aufspaltung Eskoms in drei Teile. Das ist nach Ansicht von Fachleuten zwar ein erster Schritt auf dem Weg zu einer vielleicht noch möglichen Genesung, aber nicht ausreichend für die nötige Sanierung. So braucht der Staatskonzern Unsummen von Geld, weil die Belegschaft über Jahre hinweg trotz sinkender Stromproduktion auf 48’000 Mitarbeiter gewachsen ist. Südafrikas Regierungspartei ANC hat viele ausgediente und oft korrupte Mitglieder bei Eskom untergebracht, um im Gegenzug viele weisse Techniker zu entlassen, die man nun händeringend sucht.
Trotz der völlig verfahrenen Lage rechnet die Regierung schon zur Jahresmitte mit ersten Ergebnissen der nun angestossenen Reformen. Doch im Land selbst ist davon nichts zu spüren. Vielmehr scheint sich die Lage mit jedem Monat nur weiter zu verschärfen. Die meisten Experten rechnen inzwischen mit Stromengpässen für die nächsten achtzehn bis vierundzwanzig Monate, nicht wenige sogar für weit darüber hinaus.