Beitrag vom 04.04.2019
Zeit Online
"Wir reparieren die Folgen unserer Waffenexporte"
Statt Armut zu bekämpfen, kümmert sich die deutsche Entwicklungspolitik vor allem um Konflikt- und Schwellenländer: ein falscher Fokus, kritisiert die Welthungerhilfe.
Interview: Alexandra Endres
Finanzminister Olaf Scholz (SPD) will sparen, unter anderem am Budget für Entwicklungszusammenarbeit. Das soll im Jahr 2020 stagnieren, obwohl sich die Bundesregierung im Koalitionsvertrag eigentlich verpflichtet hatte, die Mittel zu erhöhen – trotz des Protests von Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) und Entwicklungsorganisationen.
In ihrem Kompass zur Wirklichkeit der deutschen Entwicklungspolitik, der an diesem Donnerstag veröffentlicht wird, üben die Welthungerhilfe und terre des hommes auch grundsätzlichere Kritik. Mathias Mogge, Generalsekretär der Welthungerhilfe, bemängelt: Die staatliche Entwicklungshilfe konzentriere sich zu sehr auf sicherheits- und migrationspolitische Probleme und verliere darüber die Armuts- und Hungerbekämpfung aus dem Blick.
ZEIT ONLINE: Herr Mogge, wohin fließt der Hauptanteil des deutschen Entwicklungshaushalts?
Mathias Mogge: Paradoxerweise fließt das Geld vor allem in weniger arme Länder. Daten von 2017 zeigen, dass Indien am meisten erhielt: umgerechnet 1,2 Milliarden US-Dollar. Syrien folgte mit 880 Millionen Dollar, dann kamen China, die Türkei und der Irak. Erst auf Rang sechs findet sich mit Afghanistan ein Land aus der Gruppe der besonders armen Least Developed Countries (LDC). Es erhielt 480 Millionen Dollar aus Deutschland. Dann folgten Marokko, Indonesien, Jordanien und Mexiko – alles keine LDCs.
Das heißt: Staatliches Entwicklungsgeld aus Deutschland fließt vor allem dorthin, wo Konflikte herrschen oder Flüchtlinge versorgt werden müssen. Oder in Schwellenländer, weil die öffentlichen Mittel dort helfen können, private Investitionen zu mobilisieren. Zum Beispiel in Form von Garantien, die Kredite zu niedrigeren Zinsen ermöglichen.
ZEIT ONLINE: Ihre Daten stammen aus dem Jahr 2017. Wie aussagekräftig sind sie heute?
Mogge: Dass der größte Teil unseres staatlichen Entwicklungsbudgets in Konflikt-, Krisen- oder Schwellenländer geht, ist schon seit Jahren so. Auch nach 2017 hat sich daran kaum etwas geändert.
ZEIT ONLINE: Fordern Sie, dass die Bundesregierung einen Teil des Entwicklungsbudgets aus Konfliktgebieten abzieht und stattdessen in die ärmsten Länder schickt?
Mogge: Nein, gerade in Konfliktländern ist unsere Hilfe nötig. Wir sehen aber die zunehmende Verquickung von Entwicklungs-, Migrations- und Sicherheitspolitik kritisch. Entwicklungszusammenarbeit sollte zuallererst Hunger und Armut bekämpfen und sich an den Bedürfnissen in den betroffenen Ländern orientieren.
ZEIT ONLINE: Aber die öffentlichen Mittel sind begrenzt.
Mogge: Es würde schon helfen, wenn die Bundesregierung ihre eigenen Versprechen erfüllen würde. Deutschland hat sich verpflichtet, das Entwicklungsbudget für die ärmsten Länder so schnell wie möglich auf 0,15 Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung zu erhöhen. Das entspricht derzeit fünf Milliarden Euro. Deutschland gibt aber nur 3,6 Milliarden Euro an die LDCs. Bis 2030 soll die Quote noch auf 0,2 Prozent steigen. Da könnte man mehr tun.
ZEIT ONLINE: Woraus schließen Sie, dass die Verquickung zwischen Entwicklungs- und anderen Politikfeldern zunimmt?
Mogge: Zunächst aus der Verteilung der Mittel – und zwar nicht nur auf die Hauptempfängerländer, sondern ganz generell. Wir haben uns angeschaut, welche zehn Least Developed Countries das meiste Geld aus Deutschland erhalten. Es sind – wie Afghanistan – vor allem Konfliktländer. In Mali kommt hinzu, dass dort die Bundeswehr stationiert ist. Es gehört zum Kalkül von Auslandseinsätzen, dass Deutschland dort, wo die Bundeswehr ist, auch als Entwicklungspartner wahrgenommen werden will. Deshalb fließen Mittel dorthin.
ZEIT ONLINE: In Konfliktgebieten Aufbauhilfe zu leisten, klingt zunächst einmal sinnvoll.
Mogge: Aber darüber vergisst man Länder, in denen zwar keine offenen Konflikte herrschen, in denen die Lage aber dennoch sehr fragil ist. Liberia zum Beispiel, oder Sierra Leone, oder der Sudan. Es ist noch gar nicht so lange her, da herrschten dort heftige Bürgerkriege. Es wäre ein wichtiger Beitrag zur Konfliktprävention, sich dort zu engagieren.
ZEIT ONLINE: Geld fließt also dorthin, wo Konflikte herrschen. Woraus schließen Sie noch auf eine zunehmende Verflechtung von Entwicklungs- mit anderen Politikfeldern?
Mogge: Die Regierung selbst stellt den Zusammenhang ganz offiziell her. Entwicklungsminister Müller sagt, dass sein Budget nicht sinken dürfe, denn sonst würden in Afrika neue Fluchtbewegungen ausgelöst. In Regierungsdokumenten über die Zusammenarbeit mit Afrika wird ausdrücklich die Begrenzung der Migration als Ziel genannt. Und der EU-Entwicklungsfonds für Afrika, dessen größter Geldgeber Deutschland ist, vergibt seine Mittel nur an Länder, die in der Migrationspolitik bestimmte Bedingungen erfüllen, also etwa Abgeschobene zurücknehmen oder dem Austausch von Daten zustimmen.
ZEIT ONLINE: Ist es nicht nachvollziehbar, wenn Deutschland und die EU Fluchtursachen im eigenen Interesse bekämpfen wollen – eben auch in der Entwicklungspolitik?
Mogge: Es ist nicht falsch, Fluchtursachen zu bekämpfen. Aber es ist verkehrt, wenn die Regierung die Partnerländer in der Entwicklungszusammenarbeit vorwiegend nach migrations- und sicherheitspolitischen Kriterien auswählt. Denn darüber vergisst sie jene Länder, in denen die Menschen zu arm sind, um zu migrieren. Der Fokus der Entwicklungszusammenarbeit sollte auf dem Kampf gegen Armut und Hunger liegen.
Man darf auch nicht vergessen: Deutschland repariert mit Entwicklungshilfe die Folgen seiner Waffenexporte. Mühsam versucht die Regierung, deren Auswirkungen dann über die Entwicklungspolitik einzudämmen.
ZEIT ONLINE: Sie meinen Saudi-Arabien und den Krieg im Jemen. Im Moment gibt es ein Moratorium für deutsche Waffenexporte dorthin.
Mogge: Der Krieg hat im Jemen eine Hungersnot verursacht. Viele internationale Organisationen versuchen derzeit, das Leid dort zu lindern. Wir würden uns wünschen, dass das Moratorium für Waffenexporte nach Saudi-Arabien verlängert wird, auch wenn die europäischen Partner Deutschlands mehrheitlich dagegen sind. Überhaupt sollte Europa seine Waffenexporte stark einschränken. Wir stellen in unserer Arbeit täglich fest, welche negativen Folgen die Waffenexporte weltweit haben: Die Konfliktparteien fühlen keinen Druck, sich an den Verhandlungstisch zu setzen.
ZEIT ONLINE: Sie sagen, Entwicklungspolitik sollte vor allem dem Kampf gegen Armut und Hunger dienen. Dann dürften auch China, Indien und Mexiko kein Geld mehr aus dem Entwicklungshaushalt erhalten.
Mogge: Mit diesen Staaten zusammenzuarbeiten ist sinnvoll. Aber ich bezweifle, dass das noch Entwicklungsländer sind. Die Projekte in China sind von der klassischen Entwicklungsarbeit weit entfernt. Da geht es oft um Mobilität, um Industrie 4.0, um Normen, Standards, um Handelsregeln. So etwas gehört nicht in den Entwicklungshaushalt.
ZEIT ONLINE: Die Bundesregierung hat im vergangenen Jahr mehrere Initiativen für eine bessere entwicklungspolitische Zusammenarbeit mit afrikanischen Ländern begonnen. Setzen die aus Ihrer Sicht den richtigen Fokus?
Mogge: In den vergangenen Jahren hat jedes Ministerium eine eigene afrikapolitische Agenda auf den Weg gebracht. Es gibt den Compact with Africa des Finanz-, den Marshallplan des Entwicklungs-, die Pro!-Afrika-Initiative des Wirtschaftsministeriums. Alle konzentrieren sich sehr stark darauf, die privaten Investitionen in Afrika zu fördern. Dagegen ist erst einmal nichts zu sagen. Aber sie meinen damit die Investitionen von deutschen Firmen. Dafür gibt es Förderprogramme oder staatliche Garantien. Es profitieren davon aber Länder, die ohnehin auf einem guten Weg sind und nicht diejenigen, wo der Bedarf am größten ist.
ZEIT ONLINE: Das heißt, die Initiativen fördern vor allem deutsche Unternehmen, anstatt den Bedürfnissen der afrikanischen Partnerländer Rechnung zu tragen?
Mogge: Das wirtschaftliche Potenzial in den Ländern selbst wird zu wenig gesehen.
ZEIT ONLINE: Können Sie Beispiele geben?
Mogge: Es gibt in vielen afrikanischen Ländern ein unglaubliches Potenzial an jungen, teilweise sehr gut ausgebildeten Menschen, die etwas bewegen wollen. Es gibt auch Projekte, die sie unterstützen, aber eben immer noch zu wenige. Beispielsweise in Äthiopien: Da hat man jungen Gründern Co-Working-Spaces angeboten und war damit sehr erfolgreich. Wir von der Welthungerhilfe haben in Uganda Schulen gegründet, in denen junge Leute gelernt haben, was sie beachten müssen, um sich selbstständig zu machen. Die Absolventen haben kleine Werkstätten aufgemacht, Reparaturläden etwa für Handys, Computer oder Solarzellen.
Wichtig wäre auch, den Menschen auf dem Land eine wirtschaftliche Perspektive zu geben. Hauptstadt kann jeder. Aber in den ländlichen Raum zu gehen, ist nicht so einfach. Man muss dort in Bildung investieren, aber auch in Infrastruktur, also in Straßen, Märkte, Kommunikation. Die jungen Leute brauchen auch auf dem Land eine Perspektive, denn die Flucht in die Städte bringt dort enorme Probleme mit sich, wie die Slums zeigen.
ZEIT ONLINE: Die Vernachlässigung des ländlichen Raums wird seit Jahren beklagt. Warum ändert sich daran nichts?
Mogge: Seit einigen Jahren steigen die Investitionen in den ländlichen Raum. Aber es dauert eine Weile, die Strukturen zu verändern. Umso wichtiger wäre es, dass die Regierungen der Geberländer den ländlichen Raum auch in Zukunft unterstützen und gleichzeitig auch die Regierungen des Südens in diese Gebiete investieren.