Beitrag vom 03.09.2019
FAZ
Qualität statt Quantität
Japan will in Afrika an China verlorenen Boden wiedergutmachen/Von Patrick Welter
YOKOHAMA, 2. September
Die japanische Höflichkeit gebietet es, Kritik nur verdeckt auszusprechen, um den Kritisierten nicht zu sehr bloßzustellen. Das mag Japans Ministerpräsident Shinzo Abe im Kopf gehabt haben, als er auf der traditionellen Afrika-Konferenz Ticad die Verschuldung von Staaten angesprochen hat. „Sie können nicht in einem Land investieren, das hoch verschuldet ist“, sagte Abe Regierungsvertretern und Geschäftsleuten im Konferenzzentrum von Yokohama nahe Tokio. Jedem Zuhörer war klar, dass sich diese Botschaft an China richtete. Westliche Geberstaaten, inklusive Japan, kritisieren scharf die Regierung in Peking, die zu einem der wichtigsten Entwicklungshilfegeber auf dem afrikanischen Kontinent geworden ist. Der Vorwurf lautet, dass China afrikanische Staaten mit Schulden überlade.
Abe demonstrierte mit der Konferenz, die drei Tage dauerte und an der 10000 Personen teilgenommen haben, dass sich Japan in Afrika nicht an den Rand spielen lassen will. Japan ist in Afrika nicht als Kolonialmacht vorbelastet und kann auf eine lange Kooperation mit den afrikanischen Staaten verweisen. Die Ticad-Konferenz, die Japan alle drei Jahre mit Partnern wie der Weltbank und der Afrikanischen Union veranstaltet, ist die „Mutter aller Afrika-Entwicklungshilfekonferenzen“, die seit der Jahrtausendwende aus dem Boden sprießen. Sie hatte erstmals 1993 in Tokio unter dem Namen „Tokyo International Conference on African Development“ (Ticad) stattgefunden. China und die Europäische Union folgten mit ihren Afrika-Konferenzen im Jahr 2000, Südkorea 2006, Indien 2008 und die Türkei 2016. Russland lädt für den Oktober zu seinem ersten Gipfeltreffen mit afrikanischen Staats- und Regierungschefs.
Die japanische Initiative war eine Reaktion auf das Ende des Kalten Kriegs gewesen, in dem der Westen und der Ostblock auch in Afrika um Einfluss gerungen hatten. Heute geht es jedoch darum, rechtzeitig am Aufschwung Afrikas beteiligt zu sein. Viele afrikanische Staaten haben ihre Märkte seit den neunziger Jahren nach innen und nach außen geöffnet, Afrika wurde zum Kontinent mit einer der höchsten und stabilsten Wirtschaftswachstumsraten. Die wachsende Bevölkerung verspricht Marktchancen, die es auf anderen Kontinenten in dem Maße nicht mehr gibt. Die frühere Rivalität zwischen Ost und West ist dabei dem Wettstreit zwischen westlichen Gebern und China gewichen.
Trotz der historischen Vorreiterrolle fällt es Japan schwer, mit China mitzuhalten. Zwar ist in Afrika das Interesse an der Kooperation mit Japan gegeben. So hat Tokio mit Peking gleichgezogen, als in Yokohama 53 afrikanische Staaten vertreten waren, zum Teil mit Staats- und Regierungschefs. Im vergangenen Herbst hatte Peking ebenso viele afrikanische Länder zu seiner Afrika-Konferenz nach Peking gebracht. In Tokio heißt es, China habe sich bemüht, afrikanische Potentaten vom Besuch der Ticad in Yokohama abzuhalten. Dieser Versuch ist offensichtlich misslungen.
Wirtschaftlich spielt Japan in Afrika aber keine große Rolle, und es verliert relativ weiter an Gewicht. Japans Export nach Afrika erreichte im vergangenen Jahr 10,8 Milliarden Dollar, das waren 27 Prozent weniger als zehn Jahre zuvor. Dabei sind die Lieferungen aus aller Welt nach Afrika im selben Zeitraum um 17 Prozent gestiegen, berichtet die japanische Außenhandelsagentur Jetro. Japans Direktinvestitionen in Afrika reichen noch nicht einmal für einen Platz unter den zehn größten ausländischen Investoren in Afrika. China hat, einschließlich Hongkong, in Afrika nach Angaben von Jetro fast achtmal mehr als Japan investiert.
Trotz des besonderen Fokus, den Japan in der Afrika-Hilfe auf privatwirtschaftliche Initiativen legt, bietet das Engagement japanischer Unternehmen noch viel Entwicklungspotential. Rund 800 Unternehmen aus Japan seien in Afrika tätig, heißt es. Für China, das mit seiner „Belt and Road“-Initiative in die Vollen geht, wird die Zahl indessen auf etwa 10000 geschätzt.
Anstatt chinesischer Masse setzt Tokio auf japanische Klasse. Wie schon beim Gipfeltreffen der G-20-Staaten in Osaka vor einigen Wochen betonte Ministerpräsident Abe auch in Yokohama die Qualität japanischer Infrastrukturinvestitionen. Was unterscheidet von Japan finanzierte Straßen oder Züge von den Angeboten der Konkurrenz? Japanische Projekte seien vielleicht etwas teurer, aber über die gesamte Nutzungsdauer kostengünstiger, betont Masahiko Kiya, der Ticad-Botschafter des Landes. Qualität vor Quantität setzte Japan in Yokohama auch mit Blick auf die Ergebnisse der Konferenz. Das Gastgeberland verzichtete auf eine klare Zielmarke, wie viele Investitionen es in den kommenden drei Jahren bis zur nächsten Ticad-Konferenz nach Afrika bringen wolle. In den vergangenen drei Jahren hätten japanische Unternehmen mehr als 25 Milliarden Dollar in Afrika investiert, heißt es. Abe deutete nun bis 2022 mehr als 20 Milliarden Dollar an privaten Investitionen an. China dagegen hatte im vergangenen Jahr auf seiner Afrika-Konferenz Investitionszusagen von 60 Milliarden Dollar gemacht.
Einen dauerhaft wirkungsvolleren Einfluss als durch große Investitionen verspricht sich Japans Regierung durch Initiativen zur Schul- und Ausbildung. Abes Warnung vor den hohen Schuldenlasten, die China den afrikanischen Staaten auferlege, hat bereits auf subtile Weise die Erziehung im Blick. Japan will daher in 30 afrikanischen Staaten Regierungsbürokraten trainieren, um das Verständnis über die öffentliche Schuld und das Schuldenmanagement zu verbessern. Japan, dessen Staatsschuld mehr als Doppelte der jährlichen Wirtschaftsleistung beträgt, kann da aus eigener Erfahrung berichten.
China war zu der Ticad-Konferenz nicht eingeladen. Peking saß dennoch, im übertragenen Sinne, in Yokohama immer mit am Tisch. Das wird in der Abschlusserklärung deutlich. Japan plazierte in dem Papier erstmals seine Indo-Pazifische Strategie. Unter diesem Begriff fasst Tokio seine Bemühungen zusammen, sich mit den Anrainerstaaten des Indischen Ozeans und des Pazifiks für Freiheit, Demokratie und offene Meere einzusetzen und so ein Gegengewicht zu China zu schaffen. Da manche Staaten Afrikas mit engen Verbindungen zu China die japanische Initiative argwöhnisch beäugen, fehlte in der Abschlusserklärung aber das Bekenntnis, die Indo-Pazifische Strategie zu unterstützen. Die Konferenzteilnehmer nahmen die Strategie lediglich „zur guten Kenntnis“.