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Beitrag vom 10.09.2019

FAZ

Ein Textilsiegel gegen Ausbeutung in Entwicklungsländern

Initiative von Minister Müller stößt auf Widerstand der Verbände: Standards können nicht kontrolliert werden

mas. Berlin, 9. September. Gegen den Widerstand von Textilwirtschaft und Einzelhandel versucht Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) ein neues Siegel einzuführen, das Kunden eine soziale und ökologische Orientierung ermöglichen soll. „Es geht um Gerechtigkeit in den Lieferketten“, betonte der CSU-Politiker, als er am Montag den „Grünen Knopf“ in Berlin vorstellte.

Unternehmen, die mit dem Staatssiegel um Kunden werben wollen, müssen Anforderungen erfüllen. Dazu gehören: Mindestlöhne, die Einhaltung von Arbeitszeiten und das Verbot von Kinder- oder Zwangsarbeit. Darüber hinaus dürfen Unternehmen keine als gefährlich eingestuften Chemikalien einsetzen.

Nach Angaben des Ministers sind siebzig Unternehmen an dem Siegel interessiert, 55 haben sich angemeldet, 27 sind schon qualifiziert. Allerdings trägt nicht jedes ihrer Produkte, das sie verkaufen, den Grünen Knopf, sondern nur die Teile, bei denen nachgewiesen werden kann, dass die sozialen und ökologischen Vorgaben in den Lieferketten eingehalten werden.

„Jetzt machen wir den Knopf dran“, sagte Müller, als er am Montag in Berlin die Details erläuterte. Unterstützung erhielt er von Vertretern der Unternehmen Tchibo und Vaude sowie der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Dagegen lehnte der Branchenverband Gesamtverband „textil + mode“ sein Vorgehen ab. „Wir können das neue Siegel nicht empfehlen“, sagte Präsidentin Ingeborg Neumann. Das Konzept aus dem Entwicklungsministerium werfe mehr Fragen auf, als es Antworten gebe, etwa was die Zulassungskriterien und die staatliche Kontrolle betreffe. „Wir können nicht zulassen, dass die international etablierten Siegel und Zertifizierungssysteme, in die unsere Unternehmen seit langem viel investieren, Schaden nehmen.“

Protest kam zudem vom Einzelhandelsverband HDE. Das staatliche Siegel geht nach seiner Einschätzung in die falscheRichtung, weil der Grüne Knopf die Anstrengungen der Unternehmen im Textilbündnis nicht honoriere. Statt eine breite und starke Koalition zu unterstützen und aufzuwerten, schwäche der CSU-Politiker diese. „Im Ziel sind wir uns mit dem Entwicklungshilfeminister einig. Die Arbeitsbedingungen in Bangladesch und anderen Herstellungsländern von Textilien müssen sich nachhaltig verbessern“, betonte Hauptgeschäftsführer Stefan Genth. Aber viele Unternehmen könnten die hohen Standards des Grünen Knopfes nicht zuverlässig kontrollieren. Somit sei das neue Siegel nicht „massenmarkttauglich“. Besser wäre es, im Textilbündnis gemeinsam an Verbesserungen in den Lieferländern zu arbeiten.

Millionen von Frauen und Kindern schufteten wie Sklaven in Textilfabriken und auf Baumwollplantagen, hob der Minister hervor. Sie arbeiteten für 15 Cent 14 Stunden sechs Tage die Woche. „Das ist Ausbeutung in den Strukturen des 19. Jahrhunderts.“ Die Globalisierung habe in der Textilwirtschaft ihren Anfang gehabt. „Gerechte Globalisierung sollte und muss in der Textilwirtschaft wieder beginnen“, mahnte Müller. Er forderte, künftig den Grünen Knopf bei der Ausstattung von Polizisten, Soldaten und Feuerwehren zu berücksichtigen.

Der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm meinte, es gehe um globale Solidarität. „Der Grüne Knopf wird dazu beitragen, dass mit unserem täglichen Kaufverhalten die menschenunwürdigen Zustände überwunden werden.“ Tchibo-Chef Thomas Linemayr bezeichnete den Grünen Knopf als einen Meilenstein. Er schaffe echte Transparenz für die Konsumenten. Vaude-Geschäftsführerin Antje von Dewitz sagte, die Menschen von heute wollten mit einem guten Gewissen einkaufen. In den Jahren von 2000 bis 2014 habe sich die Produktion von Bekleidung verdoppelt. Ein Unternehmen, das sich für die globalen Probleme mitverantwortlich fühle und etwas tun wolle, müsse bisher einen enormen Aufwand betreiben.