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Beitrag vom 21.09.2019

FAZ

Südsudan

Die Milizen werden wieder aufgestockt

Das Friedensabkommen in Südsudan hat bislang wenig gebracht/Von Thilo Thielke

KAPSTADT, 20. September. Sechs Millionen Hungernde, 1,6 Millionen unterernährte Kinder, mehr als 30 bewaffnete Auseinandersetzungen in diesem Jahr. Vor einem Jahr hatten die Konfliktparteien in Südsudan ein Friedensabkommen ausgehandelt. Dennoch droht Afrikas jüngstem Staat ein Rückfall in den Bürgerkrieg. „Ironischerweise hat die Rekrutierung von Kindersoldaten seit der Unterzeichnung des Abkommens noch zugenommen“, berichtet die Vorsitzende der UN-Kommission für Menschenrechte in Südsudan, Yasmin Sooka.

Die südafrikanische Menschenrechtsanwältin hatte zuvor mit zwei Kollegen den ostafrikanischen Ölstaat bereist und einen Bericht über die Lage vorgelegt. Der Hunger, der die rund 13 Millionen Einwohner des Landes plage, werde von den ehemaligen Kriegsparteien absichtlich herbeigeführt, um Zivilisten zu treffen, „und könnte als Kriegsverbrechen eingestuft werden“, so Sooka: „Die Verantwortung für die andauernde humanitäre Krise tragen zweifellos die kriegführenden Politiker des Landes.“

Zwar seien 2018 Kindersoldaten entlassen worden. Bevor in Zukunft allerdings die Soldaten der verschiedenen Milizen in eine gemeinsame Armee eingegliedert werden sollen, würden diese derzeit kräftig aufgestockt. Auf diese Weise wollten sich die verschiedenen Gruppen einen stärkeren Einfluss sichern. Sooka: „In vielen entscheidenden Gebieten zählen unsere Beobachter weit mehr Kindersoldaten als zuvor.“ Dadurch werde auch ein „vollständiger Bürgerkrieg“ wieder wahrscheinlicher. Unter den Kindersoldaten befänden sich viele Mädchen, die den Kämpfern zu Diensten sein müssen. Schon jetzt sei zu beobachten, dass an vielen Orten wieder Kämpfe aufflammen. Die Regierung habe immer noch „keine Kontrolle über weite Teile des Staatsgebiets“, so Sooka.

Ende August hatte Südsudans Informationsminister, David Maluong, von Kämpfen zwischen verfeindeten Banden im Bundesstaat Western Lakes berichtet. Bei den Auseinandersetzungen waren mindestens 18 Menschen getötet und Dutzende Rinder gestohlen worden. Hilfsorganisationen berichten vor allem von Kämpfen im Norden des Landes; seit Anfang des Jahres habe es bereits 159 Angriffe auf Helfer gegeben, wodurch die Arbeit massiv erschwert werde. Nach Angaben des Kinderhilfswerks Unicef würden Menschen „Gras, Blätter und Holz essen, weil sie so hungrig sind“. Mehr als zwei Millionen Menschen flohen vor Hunger und Krieg in Nachbarländer wie Äthiopien, Uganda oder Kenia.

Erst im Jahr 2011 hatte Südsudan nach einem jahrzehntelangen Bürgerkrieg die Unabhängigkeit von Sudan erreicht. Während dieser Kämpfe sollen bereits rund zwei Millionen Menschen ums Leben gekommen sein. Zwei Jahre nach der Unabhängigkeit brach dann ein Bruderkrieg unter den Südsudanesen aus. Das Land verfügt über den Großteil der Ölquellen, die sich zuvor auf dem sudanesischen Staatsgebiet befunden hatten – der potentielle Reichtum weckt Begehrlichkeiten. In dem Konflikt geht es um Macht und Einfluss der beiden größten Stämme, Dinka und Nuer. Es geht aber auch um die Rivalität der beiden ehemaligen Kampfgefährten Salva Kiir, einem Dinka, der derzeit Staatspräsident des Landes ist, und Riek Machar, einem Nuer, der sich mit dem Posten des Vizepräsidenten begnügen musste. Als Machar als Kiir-Stellvertreter entlassen wurde, kam es zum Auseinanderbrechen der Sudanesischen Volksbefreiungsbewegung SPLA und zu einem Krieg, dem mittlerweile rund 400000 Menschen zum Opfer gefallen sein sollen.

Nach mühsamen Verhandlungen wurde im Juni 2018 in der sudanesischen Hauptstadt Khartum ein Waffenstillstand beschlossen und im September 2018 in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba ein Friedensvertrag unterzeichnet. Dieser sieht die Bildung einer Einheitsregierung und einer gemeinsamen Armee vor. Riek Machar, ein Warlord, der schon zu Zeiten des gemeinsamen Kampfs gegen Khartum immer wieder die Seiten gewechselt hatte, soll nach dem Plan abermals Vizepräsident werden. Allerdings geht es nur schleppend voran. Eigentlich sollte bereits im Mai dieses Jahres eine Einheitsregierung gebildet worden sein. Aus Furcht, gemeuchelt zu werden, wagte sich Machar lange Zeit jedoch nicht einmal in die Hauptstadt des Landes.

Skeptisch wird die Entwicklung deshalb auch im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen beobachtet. Da „die Situation in Südsudan immer noch eine Bedrohung für Frieden und Sicherheit in der Region darstellt“, hat er am 30. Mai die Sanktionen gegen das Land vorerst um ein Jahr verlängert.
In der vergangenen Woche nun trafen sich die Rivalen Machar und Kiir zwei Tage lang in der südsudanesischen Hauptstadt Juba, um über die Bildung der gemeinsamen Regierung zu beraten. Unter anderem sei es dabei um die Frage gegangen, wie viele Bundesstaaten es zukünftig geben solle. Zudem verkündeten sie, eine neue Regierung solle nun bis zum 12. November gebildet werden.

Besorgt wird der Machtkampf der Südsudanesen in Sudans Hauptstadt Khartum beobachtet. Rund 38 Jahre lang hatte der Islamist Omar al-Baschir das Land beherrscht – und in den Ruin getrieben. Wochenlangen Demonstrationen folgten zuletzt ein Militärputsch, Terror durch Milizen und schließlich die Bildung einer Übergangsregierung. Seit der Abspaltung des Südens verlor Sudan rund 75 Prozent der Ölquellen. Allerdings muss das in Südsudan geförderte Öl über eine Pipeline nach Port Sudan transportiert werden und stellt so indirekt immer noch eine wichtige Einnahmequelle des Landes dar. Khartum hat also ein großes Interesse an einer reibungslosen Ölproduktion im Süden, und diese kann nur in Friedenszeiten gewährleistet werden. Kürzlich besuchte deshalb Sudans neuer Regierungschef, Abdalla Hamdok, das Nachbarland und sprach von „fruchtbaren Beziehungen“, die er sich zwischen beiden Ländern wünsche.