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Für eine andere Entwicklungspolitik!

Beitrag vom 02.04.2020

FAZ

Wie ethisch verträglich kann Kobalt sein?

Die ganze Welt braucht diesen Rohstoff: Mittels Technologie soll nun sein Abbau kontrolliert werden

Von Karolin Langfeldt

Eine sanfte Hügellandschaft aus gelb-rotem Sand. Dazwischen kleine Schutthaufen. Vereinzelt ragen Rohre aus den Sanddünen. Aus ihnen schießt beige-farbenes Wasser auf den von der Sonne erhitzten Boden, wo es zu einem kleinen Fluss zusammenläuft und die Abhänge hinunterplätschert. Hölzerne Kanus warten in der Wasserstraße darauf gefüllt zu werden. Ein paar Arbeiter bilden eine Menschenkette und werfen sich offenbar schwere Säcke zu. Andere gruppieren sich unter einem Sonnendach, wo sie graben. Wenige Frauen sind unter ihnen und keine Kinder.

Die beschriebene Szene sieht man auf einem Foto, das Douglas Johnson-Poensgen, der Chef des Blockchain-Start-ups Circulor, vorlegt. Zu sehen ist darauf eine Kobaltmine in der Demokratischen Republik Kongo, die sich laut Johnson-Poensgen an ethische Standards hält.

Mehr als sechzig Prozent des weltweiten Kobaltvorrats wird im sogenannten Kupfergürtel der südöstlichen Provinzen des Kongos abgebaut. Kobalt ist ein entscheidender Rohstoff für die Herstellung von wiederaufladbaren Lithium-Batterien, die in einer Vielzahl von Produkten der Technologiebranche verwendet werden. Unzählige Male am Tag nutzen wir indirekt Kobalt: Wenn wir eine Textnachricht verschicken, wenn wir netflixen oder am Laptop arbeiten. Kobalt ist allgegenwärtig aufgrund seiner hervorragenden Stromleiteigenschaften. Ein Faktum, das den Wert des Rohstoffs von 2016 bis 2018 um 400 Prozent hat steigen lassen.

Johnson-Poensgen sieht den Elektrifizierungsboom der letzten Jahre durchaus kritisch, und damit steht er nicht alleine. Eine Studie des Münchner Ifo-Instituts aus dem Jahr 2019 zeigt, dass die Klimabilanz von Elektrofahrzeugen im günstigen Fall um etwa ein Zehntel und im ungünstigen Fall sogar um ein gutes Viertel größer ist als die eines Dieselfahrzeugs. Ein großer Teil des CO2-Abdrucks, etwa vierzig Prozent, entstehen bei der Produktion der Batterien.

Johnson-Poensgen zeigt auf die linke Ecke des Fotos, in der sich zwei Traktoren mit Anhängern verstecken: „Das sind die einzigen Maschinen, die in dieser Mine benutzt werden! Können Sie sich das vorstellen? Alles andere erfolgt mit der Hand. Was das für die Arbeiter bedeutet, lassen wir mal kurz unkommentiert. Konzentrieren wir uns auf die CO2-Emissionen. Hier in der Mine werden sie also nicht produziert!“ Wie erklärt sich dann der große CO2-Abdruck der Lithium-Batterie?

Um das herauszufinden, hat sich Johnson-Poensgens Blockchain-Unternehmen mit Mercedes-Benz zusammengeschlossen. Das erklärte Ziel des Autokonzerns ist es, seine Neuwagenflotte in den nächsten zwanzig Jahren CO2-neutral zu machen. Als ersten Schritt braucht es dafür mehr Transparenz bei den CO2-Emissionen der Kobalt-Lieferkette. Mit Hilfe der Blockchain-Technologie möchte Mercedes-Benz sich ein Bild über die Emissionen klimarelevanter Gase entlang der komplexen Abläufe machen und überprüfen, ob die unternehmenseigenen Nachhaltigkeitsstandards auch während der gesamten Lieferkette weitergegeben werden.

Johnson-Poensgen zufolge sind Lieferketten „ein natürlicher Anwendungsfall“ für die Blockchain-Technologie: „Die Fragmentiertheit einer Lieferkette sowie die Tatsache, dass unter den Teilnehmern einer Lieferkette kein Vertrauensverhältnis besteht, sind die perfekten Voraussetzungen für diese Technologie.“ Denn die Haupteigenschaften der Blockchain- oder Distributed-Ledger-Technologie sind ihre Unveränderlichkeit, ihre Dezentralität und die Tatsache, dass alle auf ihr gespeicherten Daten von den Teilnehmern des Netzwerkes verifiziert werden müssen.

Was das Blockchain-Verfahren bei der Kontrolle leisten kann

Die Blockchain funktioniert wie ein digitales Haushaltsbuch. Seite um Seite oder Block um Block werden Daten chronologisch ergänzt. Die Besonderheit ist jedoch, dass dieses Haushaltsbuch nicht einen Besitzer hat oder auf einem Server liegt, sondern in riesiger Zahl und an verschiedenen Orten identisch vorliegt. Jeder Teilnehmer des dezentralen Netzwerks besitzt eine Kopie, sämtliche Ergänzungen zum Buch oder Datensatz werden vom Netzwerk mit Hilfe von Kryptographie verifiziert und versiegelt. Ändert man eine Seite oder einen Block, hat man erstens noch eine Vielzahl weiterer Originalexemplare, und zweitens wird das Netzwerk darauf aufmerksam, da jeder Block einen kryptographischen Hash des vorherigen Blocks enthält sowie einen Zeitstempel und die Transaktionsdaten.

Allerdings ist eine Blockchain immer nur so korrekt wie die ursprünglich auf ihr festgehaltenen Daten. Man nehme beispielsweise einen Diamanten: Ein Diamant ist kein Diamant, nur weil er auf der Blockchain als solcher ausgewiesen wird und der Eintrag dann unveränderlich ist. Ein Diamant ist ein Diamant, weil er in der analogen Welt gewisse Charakteristika erfüllt, die dann auf der Blockchain erfasst werden.

Die Lücke zwischen digitaler und analoger Welt zu schließen ist im Fall von Kobalt eine große Herausforderung, denn die Lieferketten von Kobalt sind komplex. Ein Drittel des im Kongo geschürften Kobalts wird von unabhängigen Bergarbeitern von Hand geschlagen. Unter ihnen befinden sich etwa 40?000 Kinder. Das Kobalt wird dann an Händler und große Bergbauunternehmen verkauft, so dass es kompliziert ist zu erkennen, ob es aus nachhaltigen und ethisch-korrekten Quellen stammt.
Der internationale Druck sorgt für Veränderungen

Während das Projekt von Mercedes-Benz erst anläuft, ist der schwedische Konzern Volvo, ebenfalls in Zusammenarbeit mit Circulor, bereits einen Schritt weiter. Mitte Februar brachte der Autohersteller seinen XC40 heraus: das erste elektrische Fahrzeug, dessen Kobalt-Lieferkette von der Mine bis ins Auto zurückverfolgbar ist. „Auf die sogenannten ersten fünfzig Meter legen wir besonderen Wert“ – damit meint Johnson-Poensgen die Kobaltgewinnung in den Minen und die Frage, wie man sicherstellen kann, dass der eingekaufte Rohstoff tatsächlich aus lizenzierten Bergwerken stammt, die einer Prüfung unterzogen werden. Im gemeinsamen Projekt von Volvo und Circulor beginnt die Verifizierung des Materials deshalb noch in der Mine. Per App und Gesichtserkennung loggen sich die Minenvorarbeiter bei Schichtbeginn ein. Von diesem Zeitpunkt an werden sie mittels GPS-Tracking in der Mine geortet. Verlässt einer die Mine, um etwa andernorts billigeres Kobalt aus nicht zertifizierten Minen einzukaufen, wird das registriert. Sobald ein Minenvorarbeiter Material zur Abgabestelle bringt, wird es im System registriert.

Von den Bergwerken wird es über Einkaufs- oder Sortierzentren zu den Schmelzhütten gebracht. In der Rohölraffination der Schmelzhütte wird das Material zum ersten Mal umgewandelt. In seiner chemischen Zusammensetzung ist es jetzt ein anderes Material als das, was die Mine verlassen hat. Das Produkt wird dann in der Regel nach China verschifft, für die nächsten Schritte der Raffination. Das veredelte Material wird zur Herstellung von Kathoden für die Batteriezellen verwendet. Circulor stellt sicher, dass die Eingangsbestandteile jedes Prozesses zuverlässig mit dem Ausgang verbunden werden können. Dies geschieht bei jedem Schritt bis hin zur Batterie, die schließlich in ein Auto eingebaut wird.

Schon 2017 hatten der Autohersteller Ford zusammen mit IBM und mehreren internationalen Zulieferern ein Resource Sustainability Blockchain Network gegründet: ein offenes branchenweites Netzwerk zur Rückverfolgung und Validierung von Mineralien und anderen Materialien für die Automobil- und Gebrauchselektronikindustrie, das bis Mitte 2020 in Betrieb gehen soll. Die immer lauter werdenden Forderungen nach Nachhaltigkeit und Transparenz scheinen Früchte zu tragen. Bald wird auch der Gesetzgeber den Druck erhöhen. Am 1. Januar 2021 soll in der EU eine die „Verordnung über Konfliktmineralien“ in Kraft treten. Dann werden für EU-Importeure von Zinn, Tantal, Wolfram und Gold verbindliche Sorgfaltspflichten bestehen.

Derweil sind in den Vereinigten Staaten Apple, Microsoft, Dell, Tesla und die Muttergesellschaft von Google, Alphabet, also fünf der weltweit größten Technologieunternehmen, angeklagt, Beihilfe zur Kinderarbeit geleistet zu haben. Mitte Dezember vergangenen Jahres reichte die International Rights Advocates, eine Gruppe von Forschern und Anwälten, im Namen von vierzehn Familien aus dem Kongo Klage in Washington, D.C. ein. Die Unternehmen schweigen entweder zu den Vorwürfen oder geben an, nichts von den Zuständen in den Minen gewusst zu haben.

Das Argument von Intransparenz der Lieferketten und damit verbundenes Nichtwissen könnte durch die Anwendung der Blockchain-Technologie bald nichts mehr wert sein. Weder vor Gericht noch vor dem Kunden. Für die vierzehn kongolesischen Familien, die Tesla und Co. verklagt haben, kommen die entsprechenden Initiativen, Verordnungen und neuen Technologien allerdings zu spät. Sechs ihrer Kinder wurden bei Tunneleinbrüchen in den Minen getötet, weitere acht erlitten lebensverändernde Verletzungen, einschließlich Lähmungen.