Beitrag vom 14.09.2020
FAZ
Entwicklungsminister Gerd Müller zieht sich zurück
Mitten im regierungsinternen Gerangel um das umstrittene Lieferkettengesetz hat der Bundesminister für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Gerd Müller (CSU) seinen Rückzug aus der Politik angekündigt. Er werde zur Bundestagswahl im kommenden Jahr nicht wieder antreten, sagte Müller am Sonntag: „Nach 32 Jahren Verantwortung im Europäischen Parlament und im Deutschen Bundestag möchte ich jetzt einen Generationenwechsel einleiten.“ Den Schritt habe der Fünfundsechzigjährige zuvor schon in seinem Wahlkreis Kempten, Lindau und Oberallgäu angekündigt, hieß es. Am Sonntag versicherte Müller: „Bis zum Ende der Legislaturperiode werde ich mein Bundestagsmandat und das Amt des Entwicklungsministers mit voller Kraft weitergestalten.“ Als Erstes hatte die Zeitung „Münchner Merkur“ über die Entscheidung berichtet.
In der Frage des Lieferkettengesetzes steht Müller an der Seite von Arbeits- und Sozialminister Hubertus Heil (SPD). Sie wollen sicherstellen, dass deutsche Unternehmen für die Einhaltung der Menschenrechte in ihren internationalen Lieferketten geradestehen, dass sie diese offenlegen und überprüfen. Etwa bei der Herstellung von Kleidung, Lebensmitteln oder Elektrogeräten. Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) und die Wirtschaft warnen indes vor einer zu großen Belastung der Unternehmen.
Müller steht häufiger quer zur Parteiräson der Union. Nach dem Brand im Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos hatte er angekündigt, 2000 Migranten aufzunehmen: „Wenn ich den Auftrag bekomme als deutscher Entwicklungsminister, lösen wir das innerhalb von drei Tagen.“ Hingegen hat sich sein Parteifreund und Bundesinnenminister Horst Seehofer nur für die Aufnahme von bis zu 150 Minderjährigen bereit erklärt.
Müller gehört dem Bundestag seit 1994 als direkt gewählter Abgeordneter an, zuvor hatte er seit 1989 im EU-Parlament gesessen. Im Jahr 2005 wurde er Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesagrarministerium, 2013 dann Entwicklungsminister. Die Nachfolge Müllers in seinem Wahlkreis gilt als offen. Der schwäbische CSU-Bezirksverband, dessen stellvertretender Vorsitzender er seit 1993 ist, soll von dem Rückzug überrascht gewesen sein. Der 1955 im bayerisch-schwäbischen Krumbach geborene Bauernsohn absolvierte zunächst eine kaufmännische Ausbildung, an die sich ein Abitur auf dem zweiten Bildungsweg anschloss. In den Reihen der Unionsfraktion gebe es „breites Bedauern“, schrieb der CSU-Abgeordnete Volker Ullrich am Sonntag. Der Linken-Abgeordnete Niema Movassat twitterte angesichts von Müllers Haltung in der Flüchtlings- und Umweltpolitik: „Schade, dass er aufhört.“
Neben Müller gehören im Bundeskabinett nur noch Seehofer und Verkehrsminister Andreas Scheuer der CSU an. Der Vorsitzende der Partei und bayerische Ministerpräsident Markus Söder hatte im Januar eine Verjüngung und Kabinettsumbildung angeregt, woraufhin über Seehofers und Müllers Zukunft spekuliert wurde. Scheuer steht zwar wegen der Pkw-Maut und seiner positiven Haltung zu Verbrennungsmotoren politisch unter Druck, er ist aber erst 45 Jahre alt. In der Corona-Krise hatte die Regierung dann die Reihen geschlossen, und es war nicht weiter über Veränderungen spekuliert worden. itz.