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Für eine andere Entwicklungspolitik!

Beitrag vom 30.08.2021

FAZ

Deutsche Hilfen laufen ins Leere

Die Ungeduld mit Tunesien wächst

Von Hans-Christian Rößler, Madrid

Deutschland hilft in Tunesien und Marokko mit mehreren Milliarden Euro. Doch ausgerechnet die Zusammenarbeit mit den beiden nordafrikanischen Schwerpunktländern deutscher Entwicklungshilfe wird immer schwieriger. Als einen „Leuchtturm der Hoffnung“ unterstützt die Bundesregierung seit dem friedlichen Umbruch vor einem Jahrzehnt in Tunesien großzügig den Aufbau der Demokratie, deren Zukunft auf einmal fraglich geworden ist: Beunruhigt blickt man aus Berlin nach Tunis, wo Präsident Kaïs Saïed am 25. Juli praktisch die Macht übernommen hat, die er auch weiterhin nicht mit dem Parlament teilen will. Marokko hat seine diplomatischen Beziehungen zu Deutschland bereits im März eingefroren.

Das kleine Tunesien mit nur gut elf Millionen Einwohnern wird von der deutschen Regierung wie kaum ein anderes Land unterstützt. „Das entwicklungspolitische Portfolio beläuft sich auf fast zwei Milliarden Euro, fast alle dieser Zusagen fallen in den Zeitraum von 2011 bis 2020“, sagt ein Sprecher des Entwicklungsministeriums (BMZ) der F.A.Z. Die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) unterhält in dem Kleinstaat eine ihrer größten Auslandsniederlassungen auf der Welt. Derzeit beschäftigt die GIZ nach BMZ-Angaben dort 525 Personen, darunter 420 Tunesier. Im tunesischen Büro der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) sind es noch einmal zwölf Mitarbeiter. An rund 50 Projekten ist die GIZ beteiligt; dabei geht es vor allem um gute Regierungsführung und den Aufbau einer nachhaltigen Wirtschaft.

Doch viele Tunesier haben offenbar die Hoffnung aufgegeben, dass dieses Engagement Früchte trägt. Laut Umfragen begrüßen sie die Politik der harten Hand des Präsidenten, der versprochen hat, gegen die weiter grassierende Korruption durchzugreifen. Dass Kaïs Saïed dabei einen autoritären Regierungsstil an den Tag legt und die wichtigsten Institutionen entmachtet, scheint nur wenige zu stören.

Selbst auf Ermahnungen von Präsidenten wie Joe Biden und Emmanuel Macron reagierte der tunesische Staatschef bisher nicht. Auch von deutscher Seite befindet man sich mit den tunesischen Partnern seit Wochen in ergebnislosen Gesprächen. „Wir erwarten, dass der tunesische Staatspräsident wie angekündigt einen Fahrplan vorlegt, wie und in welchem zeitlichen Rahmen er zur verfassungsmäßigen Ordnung zurückzukehren gedenkt. Es muss jetzt darum gehen, dass die Gewaltenteilung wiederhergestellt, ein neuer Regierungschef eingesetzt wird und die Freiheitsrechte gewährleistet werden“, sagt ein deutscher Diplomat der F.A.Z.

Entscheidungen über neue Auszahlungen an die tunesische Regierung will man im Entwicklungsministerium „in Abhängigkeit der weiteren Entwicklungen und abgestimmt im internationalen Geberkreis“ treffen, heißt es im BMZ. Laufende Projekte gingen weiter, „wenn sie direkt den Menschen zugutekommen“. Beunruhigung ruft hervor, dass Präsident Saïed Korruptionsvorwürfe gegen deutsche Projektpartner wie die Antikorruptionsbehörde INLUCC erhebt, gegen die inzwischen ermittelt wird. Diese Anschuldigungen müssten auf rechtsstaatliche Weise zügig aufgeklärt werden, damit die Organisation bald wieder ihre Arbeit aufnehmen könne, fordert man im BMZ.

Während die Gesprächskanäle nach Tunis weiterhin offen sind, herrscht Richtung Rabat seit fast einem halben Jahr Funkstille. Anfang März hatte die marokkanische Regierung ihre Kontakte zur deutschen Botschaft eingestellt, ohne dafür genauere Gründe zu nennen. Es geht dabei offenbar vor allem um die Anerkennung der marokkanischen Ansprüche auf die Westsahara. Auch die regimekritischen Aktivitäten des in Deutschland lebenden Deutschmarokkaners Mohamed Hajib spielen dabei angeblich eine Rolle.

Mit der andauernden Eiszeit schadet sich Marokko zusehends selbst, denn die intensive Entwicklungszusammenarbeit ist dadurch praktisch zum Stillstand gekommen. Deutschland ist eines der wichtigsten Geberländer, das allein im vergangenen Jahr Zusagen im Wert von mehr als einer Milliarde Euro machte. Paradeprojekt ist die deutsch-marokkanische Wasserstoffallianz. In der größten Anlage dieser Art in Afrika soll grüner Wasserstoff produziert werden. Sie wird 325 Millionen Euro kosten und weitgehend mit deutschen Darlehen und Zuschüssen finanziert. Aber ohne einen regulären Austausch mit den Marokkanern ruhen oder verzögern sich immer mehr Projekte, für die die deutsche GIZ knapp 300 Mitarbeiter im Land hat.

Das hatte jedoch in Rabat bislang keinen Kurswechsel zur Folge, wie es ihn jetzt gegenüber Spanien gab. Nach der jüngsten schweren diplomatischen Krise kündigte der marokkanische König Mohammed VI. „eine neue, noch nie dagewesene Etappe in den Beziehungen“ zu Spanien an; ausdrücklich lobte er auch die Partnerschaft zu Frankreich. In einer anderen Rede warf er anderen europäischen Staaten vor, sie „intrigierten“ gegen Marokko. Nach Einschätzungen von Maghreb-Kennern war damit auch Deutschland gemeint, das der Monarch jedoch nicht ausdrücklich erwähnte. Derzeit ist die Bundesrepublik in Rabat nicht einmal mit einem Botschafter vertreten. Nach der turnusgemäßen Versetzung des bisherigen Missionschefs ist sein Nachfolger noch nicht auf dem Posten.