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Beitrag vom 20.10.2021

Die Welt

Joy Alemazung,„Das ist für mich konservativ“

Die CDU steckt in einer Krise? Nicht in Heubach, einer Stadt in Baden-Württemberg. 35 Jahre lang stellte dort die SPD den Bürgermeister, jetzt hat ein Christdemokrat gewonnen – und zwar einer, der aus Kamerun stammt. Ein Gespräch.

Heubach ist eine Kleinstadt wie viele in Baden-Württemberg: 10.000 Einwohner, ein bisschen Fachwerk und ein Rathaus, in das demnächst ein neuer Bürgermeister zieht. Joy Alemazung, 46, wurde am Sonntag mit großer Mehrheit gegen fünf andere Kandidaten gewählt. Er ist CDU-Mitglied. Und er stammt aus Kamerun. Mit seinem Amtsantritt werden mehr als 30 Jahre enden, in denen die SPD den Bürgermeister gestellt hat. Zeit für ein paar Fragen.

WELT: Sie sind mit 66 Prozent der Stimmen gewählt worden. Hatten Sie mit einem so starken Ergebnis gerechnet?

Joy Alemazung: Eigentlich nicht. Es gab Leute, die mir gesagt haben: „Es wird nicht im ersten Wahlgang klappen.“ Ich sehe ein bisschen anders aus als die anderen Kandidaten, und das hier ist eine bürgerliche Gegend, das hätte eine Rolle spielen können. Deswegen war ich unsicher. Aber mein jüngster Sohn, mit dem ich im Wahlkampf oft unterwegs war, meinte immer: „Papa, du wirst gewinnen. Alle kennen dich, alle grüßen dich, alle sagen, dass sie dich wählen.“

WELT: CDU-Vize Julia Klöckner hat Ihnen via Twitter gratuliert. Gab es andere Rückmeldungen aus der Partei?

Alemazung: Sehr viele. Der Tag nach der Wahl war anstrengend, ich musste arbeiten, wurde aber ständig angerufen. Meine Tochter hat die Sekretärin gemacht, die Anrufe entgegengenommen. Auch bei der Stadt liegen anscheinend sehr viele Glückwunschschreiben.

WELT: Sie stammen aus Kamerun. Wie lang haben Sie dort gelebt?

Alemazung: Bis 1997. In einer schönen, kleinen Stadt am Meer, im englischsprachigen Teil des Landes. Mein Vater war großer Fan der englischen Kultur: die Debatten, die freie Rede. Er hat sich immer in der Gemeinde engagiert. Es gab kein fließendes Wasser, also hat er sich dafür eingesetzt, dass sich das ändert. Wenn es Probleme in der Kirche oder in der Schule gab, schrieb er Briefe. Das hat mich geprägt.

WELT: Und fürs Studium sind Sie nach Deutschland gezogen.

Alemazung: Genau, ich habe Soziologie studiert. Erst in Köln, dann in Erlangen, und später habe ich in Kiel promoviert. Auf verschiedenen Umwegen kam ich nach Baden-Württemberg. Ich pendele zwischen dort und Berlin, weil ich als Referent im Entwicklungszusammenarbeitsministerium arbeite.

WELT: Vor einem Jahr sind Sie in die CDU eingetreten. Warum?

Alemazung: Das wichtigste Thema ist für mich die Nachhaltigkeit, die drei Dimensionen hat: die Ökologie, die Ökonomie und Soziales. Grundsätzlich vereint das keine Partei besser als die CDU. Sie setzt sich für die Bewahrung der Schöpfung und der Natur ein. Sie hat Expertise in Wirtschaftsfragen. Und sie steht für christliche Werte, für Nächstenliebe und Menschlichkeit. Ich sehe aber auch, dass es bei diesen Themen in der CDU viele Differenzen gibt. Für mich ist das kein Grund, wegzulaufen, sondern ich empfinde es als meine Pflicht, mich weiter in der Partei zu engagieren und so die Änderungen mitzugestalten, die wir uns wünschen. Die Grundlage dafür mit allen Dimensionen der Nachhaltigkeit finde ich in der CDU.

WELT: Was ist für Sie echter Konservatismus?

Alemazung: Das ist etwas, worüber ich mir sehr selten Gedanken gemacht habe. Darf ich kurz überlegen? (lacht) Vielleicht ist der politische Ansatz, den ich gerade beschrieben habe, konservativ: Ich will Dinge bewahren. Die Schöpfung und die Natur, die Gesellschaft, die Familie, die Traditionen und Werte. Das alles soll an die nachfolgenden Generationen weitergegeben werden, das darf nicht kaputtgehen. Dafür setze ich mich ein, das ist für mich konservativ.

WELT: Was würde der CDU in ihrer aktuellen Krise helfen?

Alemazung: Sie muss wieder authentisch sein. Wir als Politiker sollten zu den Sachen stehen, von denen wir überzeugt sind, statt nur das zu sagen, was bei den Leuten gut ankommt. In meiner Wahlkampagne habe ich erlebt, dass die Menschen schnell den Unterschied zwischen Schein und Sein erkennen. Ich glaube, viele Parteien haben in den letzten Jahren ihren Kern verlassen – nicht nur die CDU.

WELT: Nach Ihrem Sieg haben Sie gesagt: „Es war ein Wahlkampf der Liebe, nicht der Expertise.“ Wie meinten Sie das?

Alemazung: Es gab viele Kandidaten mit Erfahrung und Kompetenzen. Die Leute wissen, dass ich sehr qualifiziert bin. Ich war in verschiedenen Bundesbehörden tätig, habe Kommunalpolitiker beraten. Also die fachlichen Kompetenzen sind offensichtlich vorhanden. Wichtig ist aber, auch die Menschen mitzunehmen. Die Menschen müssen im Mittelpunkt stehen. Sie zu überzeugen, dass ich ihr Interesse vertreten werde und dass das mein oberstes Ziel ist, war mir wichtig.

WELT: Wie haben Sie das im Wahlkampf gezeigt?

Alemazung: Mit der Art und Weise, wie ich zugehört habe. Ich nehme mir immer Zeit für die Menschen. Das will ich weiter so machen, wenn ich Bürgermeister bin. Ich finde übrigens, dass Parteipolitik auf kommunaler Ebene wenig zu suchen hat. Die CDU, insbesondere die Junge Union, hat meine Kandidatur unterstützt, aber im Gemeinderat müssen alle zusammenarbeiten.

WELT: Afrodeutsche Politiker werden vor allem im Netz immer wieder rassistisch angegriffen. Erleben Sie das auch?

Alemazung: Es gab im Wahlkampf solche Attacken auf Facebook. Aber viele Menschen haben auf diese Attacken reagiert, etwas dagegen geschrieben. Auch auf der Straße hatte ich ein paar Erlebnisse. Einmal hat mir eine Frau den Stinkefinger gezeigt. Da habe ich mit einem Luftkuss geantwortet. Ein anderes Mal sah ein alter Mann einen meiner Flyer und fragte: „Haben die keinen anderen gefunden?“ Aber das Wahlergebnis bestätigt die Zusprüche, die ich auf der Straße in Heubach, Lautern, Buch und Beuren erfahren habe. Und es zeigt, wie weltoffen die allermeisten Menschen hier in Heubach und den Teilorten sind.