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Beitrag vom 28.08.2022

welt.de

Wem die Benin-Bronzen wirklich gehören

Von Matthias Busse

Deutschland hat das Eigentum an den Benin-Bronzen an Nigeria abgetreten. Der Vertrag ist unterschrieben, es gibt kein zurück. Ist jetzt alles gut? Im Gegenteil, zwischen Nigeria und dem Königshaus von Benin ist ein Streit entbrannt. Und noch eine dritte Gruppe meldet jetzt Ansprüche an.

Die größte Rückgabe von außereuropäischen Sammlungsstücken, die je ein westliches Museum an ein Herkunftsland geleistet hat, ist perfekt: Das Eigentum an 514 Artefakten aus dem historischen Königreich Benin wechselt rechtlich von der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) aus Berlin an den Staat Nigeria. Darunter sind weltbekannte, aus Bronze gegossene Gedenkköpfe von Königen und Königinnenmüttern, aus Holz geschnitzte Würdezeichen und Hochreliefs mit Szenen aus der Geschichte Benins.

Den Vertrag dazu unterzeichneten am 25. August der SPK-Präsident Hermann Parzinger und der Generaldirektor der nigerianischen Nationalkommission für Denkmäler und Museen (NCMM), Abba Tijani. Der erste kleinere Transport ins westafrikanische Land wurde bereits bis Ende 2022 vereinbart. Als eines der ersten Objekte wird wohl auch ein prestigeträchtiger Thron Berlin verlassen. Diesen fast 300 Jahre alten Stuhl fordern seit den 1930er-Jahren drei Königsgenerationen zurück.

„Ich finde auch die Quantität ganz wichtig“, unterstrich Parzinger. Nigeria gelangt mit der Vertragsunterzeichnung in den Besitz der zweitgrößten Benin-Sammlung der Welt – nach der des British Museum. Die Londoner Institution hingegen lehnt die von Nigeria verlangte Rückgabe seiner 900 Stücke umfassenden Benin-Sammlung ab. Wenn Parzinger den Umfang seiner Restitution betont, spielt er auf eine Aussage von vor acht Wochen an. Da wurde auf bilateraler Regierungsebene schon einmal ein Papier dazu unterzeichnet, das aber noch nicht juristisch bindend war. Außenministerin Annalena Baerbock und Kulturstaatsministerin Claudia Roth sahen fast gleichlautend das „Heilen der Wunden der Vergangenheit“ als Voraussetzung für eine vertrauensvolle gemeinsame Zukunft mit dem westafrikanischen Land.

Die Rückkehr dieser Werke an ihren Entstehungsort – der Stadt Benin City im heutigen nigerianischen Bundesstaat Edo – sieht Parzinger als Voraussetzung langfristiger Kooperationen und verweist auf zwei junge Gastwissenschaftler aus Edo am Ethnologischen Museum Berlin. Denn die deutschen Museen wollen weg vom europäischen Blick. Sie möchten in den Ursprungsgesellschaften bewahrtes Wissen mit den Gegenständen in ihren Sammlungen zusammenführen, um eine objektivere Sicht auf andere Gemeinschaften und Länder zu vermitteln – auch für ausländische Besucher oder Angehörige der deutschen Einwanderungsgesellschaft. Multiperspektivisch soll die Benin-Ausstellung im Humboldt Forum Berlin gestaltet werden.

Nach zehn Jahren neu über Leihgaben verhandeln

Ihre Eröffnung wurde auch wegen des bisher schwebenden Eigentumsverfahrens auf den 16. September verschoben. Dann werden 40 historische Benin-Werke gezeigt. Sie bleiben bis 2032 als Leihgaben in Berlin, genauso wie etwa 130 weitere Objekte, mit denen die Ausstellung alle drei Jahre umgestaltet werden soll, erklärte Lars-Christian Koch. Der Direktor des Ethnologischen Museums ist zuversichtlich, dass nach den zehn Jahren neu über Leihgaben verhandelt werde. Parzinger betonte dabei den „guten Geist der Gespräche“, insbesondere mit NCMM-Chef Tijani.

Doch Stimmungen und Positionen können schnell wechseln: In Nigeria stehen im Februar und März 2023 die Wahlen des Präsidenten, sämtlicher Parlamente und der Gouverneure aller 36 Bundesstaaten an. Um politischen Einfluss ringt in dem Zusammenhang auch die weitverzweigte und international wirtschaftlich einflussreiche Königsfamilie von Benin. Möglicherweise unterstützt sie die APC-Partei des scheidenden Staatschefs Muhammadu Buhari im Gegenzug zu dessen Versprechen Ende 2021, dass zurückkehrende Benin-Bronzen an das Königshaus gehen. Fakt bleibt, dass Deutschlands Verhandlungspartner Tijani den Präsidentenerlass bereits erfüllte, in dem er zwei Rückgaben von britischen Universitäten an den Königshof weiterleitete. Auch für die deutschen Rückgaben kündigte er dasselbe Vorgehen an.

Dagegen löste der Gouverneur von Edo, Godwin Obaseki, vor einem Monat in Benin City einen Eklat aus. Anlass war die öffentliche Vorstellung der Pläne für einen Museumspavillon, der erste Abschnitt des geplanten Edo Museum of West African Art (EMOWAA). Nach Ankündigung des ehemaligen deutschen Außenministers, Heiko Maas, sollte dieser Bau die deutschen Restitutionen beherbergen. Aber genau gegen ein solches unabhängiges Museum einer nigerianischen Stiftung geht eine mit dem Königshaus verbündete Gruppe an.

Osazee Amas-Edobor, Sprecher einer „Coalition of Benin Socio-Cultural Organizations“, verlangt stattdessen ein königliches Museum unter der Ägide des Palastes zu errichten. Amas-Edobor würde dazu auch nicht vor Gewalt zurückschrecken: „Während der Invasion von 1897 verteidigte das gesamte Volk von Benin den Palast, und wieder einmal sind wir bereit, das zu verteidigen, was den Palast betrifft“, zitiert ihn die in Lagos erscheinende Zeitung „Vanguard“.

Ursprünglich jedoch argumentierten Rückgabe-Befürworter damit, dass die Menschen in Edo und dem übrigen Nigeria anhand der Bronzen ihre eigene Geschichte in einem öffentlichen Museum kennenlernen sollten. Inzwischen klingt das ganz anders. „Der Stand des EMOWAA kann keine Bedingung für die Rückgabe sein“, antwortet Parzinger auf die Frage, wohin denn nun die Berliner Sammlung ohne irgendein fertiges Gebäude gehen soll.

Auch am Rautenstrauch-Joest Museum in Köln hat die Direktorin Nanette Snoep wohl kein Problem mit der Einstellung des am Hof für Kultur zuständigen Prinzen Aghatise Erediauwa, der schon in der Vergangenheit ausschließlich vom „Royal Museum“ sprach. In einer Videoansprache legt er nach – anzusehen auf der Homepage zur aktuellen Kölner Benin-Schau „I Miss You“: „Es ist eine sehr, sehr geringe Frage, wem diese Arbeiten gehören. Leider versuchen ein paar Menschen an dem alten Narrativ der ‚Weltkunst‘ festzuhalten.“

Nachfahren der Sklaven sehen sich als Miteigentümer

Aus einem ganz anderen Teil der Welt meldeten jüngst Menschen ein aus ihrer Sicht legitimes Anrecht auf die Miteigentümerschaft an den Benin-Bronzen an: Nachfahren der Sklaven in den USA. Eine von ihnen ist Deadria Farmer-Paellmann. Die Juristin hat im Jahr 2000 die „Restitution Study Group“ in New York gegründet. Dieses Institut bewegt in den USA einstige Profiteure der Sklaverei, mehrere Millionen Dollar für Bildung und Sozialleistungen der Afroamerikaner etwa über Stiftungen einzuzahlen. Darunter sind Bankhäuser wie JP Morgan Chase oder Bank of America, Eisenbahnunternehmen oder Tabakkonzerne.

„Die ursprüngliche Anzahl der Versklavten beträgt zwölf Millionen Menschen. Heute sind es mehr als 40 Millionen Nachfahren in den USA“, sagt Farmer-Paellmann mit Hinweis auf damals erfasste Schiffsladungen und auf Erbgutanalysen. Wie viele davon über den zum Königreich Benin gehörenden Hafen Ughoton verschifft worden sind, sei nicht nachvollziehbar. Sie gibt aber zu bedenken: „Wichtig ist, das Königreich von Benin war am transatlantischen Sklavenhandel beteiligt.“

Beweis dafür sind ihr insbesondere die weltweit bewunderten Bronzen, die aus europäischen Metallen gegossen worden sind. Das Material wurde von den Portugiesen und später anderen europäischen Händlern gegen Sklaven eingetauscht. Daher hat sie bereits das Miteigentum der Sklavennachfahren daran in einigen amerikanischen Museen angemeldet.

Jüngst wandte sie sich auch an die Public Park Stiftung des Horniman Museums in London, die Rückgaben erwägt. „Wir bitten Sie, die Übertragung dieser Relikte nicht zu genehmigen – sie sind das Vermögen und Vermächtnis von Sklavennachkommen, nicht der Sklavenhändler“, heißt es in dem Schreiben. Ihre Kinder und deren Familien sollten Zugang zu den Objekten haben. Sie sollten wissen, dass Benin mit Waffen aus diesem Handel Dörfer überfallen hat, Menschen umbrachte und raubte, um sie zu versklaven oder bei höfischen Ritualen zu opfern. „Wenn die Menschen diese Geschichte kennen würden, sie würden keine einzige Bronze zurückgeben wollen“, ist sich die Initiatorin des Briefes sicher.

Brief an Baerbock und Roth

Aufgeschreckt durch den Vertrag aus Berlin verschickte Farmer-Paellmann am vergangenen Sonnabend auch einen Brief an Annalena Baerbock, Claudia Roth und die Träger der sieben deutsche Museen mit den umfangreichsten Benin-Sammlungen, die im Eigentum ihrer Bundesländer oder Kommunen sind. Sie appelliert an das „echte Interesse“ an den Menschenrechten der Beteiligten: „Wir bitten Sie, keine neuen Transferverträge mit Nigeria zu unterzeichnen und alle bestehenden Verträge aufzuheben.“ Stattdessen wünscht sie sich Miteigentumsverträge mit den Nachkommen der versklavten Menschen und die treuhänderische Aufbewahrung der Metallgüsse in den Museen.

Außerdem hält sie Materialuntersuchungen an den Werken für aufschlussreich. Laut Fachliteratur sei bisher nur die Herkunft von Kupfer aus dem Harz für das 16. und 17. Jahrhundert gesichert. Denn anhand der Zusammensetzung könne man gleich der menschlichen DNA die Herkunft des Materials und damit auch der Handelsverbindungen rückverfolgen. Daher ist sie dagegen, dass die Bronzen im Palast der ehemaligen Sklavenhändler und Kontrolleure des Menschenhandels verschwinden: „Solange die Bronzen sich auf westlichem Boden befinden, haben wir immer noch eine Aussicht auf Gerechtigkeit.“

„Das Eröffnungsgebot lag bei vier Millionen Pfund“

Doch in Deutschland sollen Wunden der Vergangenheit durch Rückgaben an die Nachfahren der Sklavenhändler geheilt werden. Leer gehen die Nachkommen der versklavten Menschen aus, die teils seelisch und sozial unter ihrer Abstammung leiden. Obwohl schon wieder Anhänger des einst kriegerisch expandierenden Königshauses erneut mit Gewalt drohen, falls ihr Wille auf Rückgabe nicht erfüllt würde, werden laut deutscher Regierungsanweisung etwa 20 weitere deutsche Museen dem Schritt der Preußen-Stiftung folgen und zusammen nochmals die gleiche Gesamtzahl an Benin-Objekten zurückgeben.