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Beitrag vom 12.08.2023

NZZ

Ugandas Homosexuelle befinden sich auf einer Flucht, die nicht endet

Weil ihr Land eines der weltweit härtesten Anti-LGBT-Gesetze verabschiedet hat, fliehen Betroffene ins Ausland – sicher sind sie dort nicht

Samuel Misteli, Nairobi

Manchmal warfen die Nachbarn im Flüchtlingslager Pretty vor, sie mache alle Kinder schwul. Manchmal sagten sie, sie solle aufhören, sich wie eine Frau zu kleiden – sie sei offensichtlich ein Mann. Manchmal wurde Prettys Hütte mit Steinen beworfen. Das waren die harmloseren Vorfälle.

Pretty ist eine ugandische Transfrau. Die 26-Jährige ist vor drei Jahren ins Nachbarland Kenya geflohen. Als sie floh, war Homosexualität in Uganda bereits illegal, Transpersonen wurden verprügelt, ausgezogen, von ihren Familien verstossen. Nun hat sich die Situation verschärft: Ende Mai unterzeichnete Ugandas Präsident Yoweri Museveni eines der härtesten Anti-LGBT-Gesetze der Welt. Die sogenannte Anti-Homosexuality Bill sieht vor, gleichgeschlechtlichen Sex mit lebenslangem Gefängnis zu bestrafen. Auf gewisse sexuelle Handlungen steht die Todesstrafe. Seit Unterzeichnung des Gesetzes sind wieder Hunderte von ugandischen LGBT-Personen ausser Landes geflohen.

Flüchtlingslager als Falle

Die meisten gehen ins nahe Kenya – eines der afrikanischen Länder, die am meisten Flüchtlinge aufnehmen. Einer der wenigen afrikanischen Staaten auch, die verfolgte LGBT-Personen aufnehmen. In Kenya landet die Mehrheit der geflüchteten Ugander in Kakuma, einem Lager im abgelegenen Nordwesten des Landes. 200 000 Menschen leben in Kakuma, unter ihnen etwa 1000 Homosexuelle und Transpersonen.

In Kakuma lebte auch Pretty. Ihre Hütte hatte ein Wellblechdach und Wände aus Plastik, auf die «UNHCR» gedruckt war. Das Inventar bestand aus einer Matte auf dem nackten Boden, einer Decke, zwei Töpfen, ein paar Wasserkanistern. So zeigen es Fotos, die Pretty schickt. Prettys Nachbarn im Camp kamen aus dem Südsudan, aus Somalia und Äthiopien, es sind von Konflikten Vertriebene. Sie kommen aus Ländern, in denen Homosexualität so geächtet ist wie in Uganda. Kakuma ist für Leute wie Pretty kein Zufluchtsort – sondern eine Falle.

Pretty wurde im Lager regelmässig von jungen Männern verprügelt, die sie als «Schwuchtel» beschimpften. Im Dezember 2022 kam es zu dem Vorfall, der sie dazu brachte, das Camp zu verlassen. Pretty war einkaufen gegangen, Eier und Soda. Auf dem Rückweg wurde sie von einer Gruppe Männer überfallen und vergewaltigt. Sie hätten ihr einen Stein auf den Kopf geschlagen, so dass sie das Bewusstsein verloren habe. Das schildert Pretty am Telefon. Später schickt sie Fotos, die sie mit zerschlissenen Kleidern am Boden liegend zeigen. In einem medizinischen Bericht wird der Angriff beschrieben.

Von Polizisten verprügelt

Im März verliess Pretty das Lager. Sie sagt: «Kakuma ist schlimmer als Uganda.» Sie lebt nun mit anderen Transpersonen in einer Notunterkunft in der Nähe der kenyanischen Hauptstadt Nairobi. Sie sagt, sie gehe einzig zum Einkaufen und Haareschneiden nach draussen. Um schlafen zu können, schlucke sie Pillen.

Prettys Geschichte lässt sich schwer überprüfen. Doch es gibt ähnliche Geschichten zuhauf. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International hat im Mai einen Bericht über Kakuma veröffentlicht. Darin beschreiben 41 LGBT-Asylsuchende Vorfälle im Lager. Sie erzählen von Vergewaltigungen, Prügeln, Beschimpfungen und Brandanschlägen. «Das Kakuma-Flüchtlingscamp ist kein sicherer Ort für LGBT-Asylsuchende», steht in dem Bericht.

Auch Charity schildert solche Erlebnisse. Sie ist ebenfalls eine ugandische Transfrau und lebt seit 2021 in Kakuma. Sie halte sich meistens drinnen auf, erzählt sie am Telefon. «Wir isolieren uns.» Zum Einkaufen geht sie oft in entfernte Ecken des Lagers, dorthin, wo man sie nicht kennt. Die Ladenbetreiber in ihrer Gegend weigern sich häufig, ihr etwas zu verkaufen. Es heisst, sie sei verflucht. Auch Charity wird regelmässig verprügelt, zuletzt vor wenigen Wochen von einer Gruppe Somalier. Wenn sie könnte, würde auch Charity Kakuma verlassen, doch sie hat kein Geld. Sie sagt: «Ich kann nirgendwohin.»

Zur Gefährdung der LGBT-Flüchtlinge im Lager trägt bei, dass die Polizei sich oft auf die Seite der Angreifer schlägt. Alle LGBT-Flüchtlinge, mit denen die NZZ gesprochen hat, sagten, sie hätten Vorfälle bei der Polizei gemeldet. Hilfe hätten sie keine bekommen. Pretty sagt sogar, sie sei mehrmals auch von Polizisten verprügelt worden. Diese hätten ihr vorgeworfen, Ugander kämen nach Kenya, um Homosexualität zu verbreiten. Moses, ein 23-jähriger schwuler Ugander, erzählt, ein Polizist in Kakuma habe ihm gesagt: «Ginge es nach mir, ich würde euch alle erschiessen.» Der Bericht von Amnesty International hält fest: Wer in Kakuma LGBT-Flüchtlinge angreife, tue dies wegen der Passivität der Polizei mit «fast absoluter Straflosigkeit».

Feindselige Asylbehörden

Die Probleme der LGBT-Flüchtlinge in Kenya beschränken sich aber nicht auf Kakuma. Schon die Registrierung bei der Asylbehörde ist schwierig. Oft verstecken die Beamten der kenyanischen Flüchtlingsbehörde ihre Homophobie nicht. Mehrere Geflüchtete berichten von Beschimpfungen, weswegen sie sich nicht getrauten, von ihrer Homosexualität zu erzählen.

Gelingt es den LGBT-Flüchtlingen doch, sich zu registrieren, warten sie oft Monate auf die Bestätigung, die es ihnen erlauben würde, über das Uno-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) eine Unterkunft zu erhalten. Viel länger noch warten die meisten darauf, als Flüchtlinge anerkannt zu werden. Erst das würde es ihnen erlauben, sich frei zu bewegen und zu arbeiten.

Die Transfrau Charity, die seit zwei Jahren in Kakuma lebt, sagt: «Die Behörden verzögern absichtlich.» So steht das auch im Bericht von Amnesty: Es gebe glaubwürdige Berichte, dass in Kenya der Asylprozess spezifisch für LGBT-Flüchtlinge verzögert werde. Die kenyanische Flüchtlingsbehörde äussert sich auf Anfrage nicht zu diesen Vorwürfen.

Schärfere Gesetze in Kenya

Bald könnte es noch schwieriger werden für die flüchtenden Uganderinnen und Ugander. Noch lebt Kenya mit dem Widerspruch, dass gleichgeschlechtlicher Sex – wie in 31 andern afrikanischen Ländern – verboten ist, dass Kenya aber trotzdem LGBT-Flüchtlinge aufnimmt. Doch in jüngerer Zeit ist auch in Kenya die Homophobie stärker geworden, teilweise inspiriert vom ugandischen Gesetz. Nun bereitet ein kenyanischer Parlamentarier ein Gesetz vor, das die nationalen Antihomosexualitätsgesetze verschärfen soll. Unter anderem sollen LGBT-Flüchtlinge aus dem Land gewiesen werden.

Das würde viele Homosexuelle weiter in den Untergrund treiben. Und es dürfte mehr von ihnen dazu bringen, noch weiter zu flüchten. So wie das zum Beispiel Moses bereits tat, der 23-Jährige, dem ein Polizist in Kakuma mit der Erschiessung drohte. Er lebte ein Jahr im Lager, bevor er im Juni 2022 seinen spärlichen Besitz verkaufte, um die Reise in das 700 Kilometer entfernte Nairobi bezahlen zu können. Dort verdiente er Geld, indem er sich prostituierte, die Freier fand er über eine App. Doch dann wurden seine Nachbarn misstrauisch, drohten ihm, schlugen ihm die Scheiben ein.

Auch Sambia ist nicht toleranter

Moses wollte weg. Doch es gibt in Afrika kaum mehr sichere Orte für fliehende Homosexuelle. Am ehesten noch Südafrika. Doch selbst dort benachteiligen die Flüchtlingsbehörden Homosexuelle und Transpersonen, wie eine Untersuchung einer südafrikanischen Universität im März feststellte.

Moses hatte zu wenig Geld, um nach Südafrika zu reisen. Er entschied sich für Sambia. Über das Land wusste er nur, dass es nicht in Ostafrika liegt. Er hoffte, es würde ein wenig toleranter sein. Er reiste mit dem Bus hin – und traf auf die gleichen Probleme wie zuvor. Als er sich bei der Flüchtlingsbehörde registrieren lassen wollte, hiess es: Dies sei ein christliches Land, für Schwule gebe es keinen Platz. Es brauchte drei Monate und die Hilfe des UNHCR, bis er sich registrieren konnte. Nun wartet er seit bald einem Jahr in einem Übergangszentrum auf sein Asylinterview. Moses sagt: «Ich lebe von Tag zu Tag. Und bin für jeden Tag dankbar, an dem ich nicht angegriffen oder beschimpft werde.»