Der "Bonner Aufruf" wurde im September 2008 von einem Initiativkreis veröffentlicht und anschließend von Unterzeichnern unterstützt. Er wurde durch den im März 2009 veröffentlichten "Bonner Aufruf Plus" erweitert und vertieft.
"Eine andere Entwicklungspolitik!"
Nach einem halben Jahrhundert personeller und finanzieller Entwicklungshilfe für Afrika stellen wir fest, dass unsere Politik versagt hat. Die Ergebnisse sind weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben.
[Aufruf Plus]
Vielen Menschen in Afrika ist durch die Entwicklungshilfe der letzten fünf Jahrzehnte geholfen worden. Unter anderem wurden Krankheiten bekämpft, Bildung vermittelt und wirtschaftliche Impulse gegeben. Dennoch ist es mit hunderttausenden Projekten, die viele Milliarden Dollar gekostet haben, nicht gelungen, Afrika zu einem selbsttragenden, seinem Bevölkerungswachstum entsprechenden wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt zu verhelfen. Die Mehrheit der Menschen in den meisten Ländern Afrikas hat heute keine besseren Lebensbedingungen als vor 50 Jahren. Zugleich hat das System der Entwicklungshilfe den Regierenden ermöglicht, politische, soziale und wirtschaftliche Reformen zu unterlassen und allzu oft nur nach Mehrung der eigenen Macht und des persönlichen Reichtums zu streben. Wir haben zwar wirksame humanitäre Hilfe geleistet, aber unsere Unterstützung einer selbsttragenden und dauerhaften politischen, sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung Afrikas hat nicht zu den erhofften Ergebnissen geführt. Hier hat die Entwicklungszusammenarbeit, die "Entwicklungspolitik" - und nur dies ist Thema des "Bonner Aufrufs" - versagt. Dieses Versagen sowie die ausufernde Verschuldung der Entwicklungsländer haben die Vereinten Nationen, die internationalen Finanzinstitutionen und die wichtigsten Geberländer um die Jahrtausendwende veranlasst, einen Neuanfang zu versuchen. Mit der Entschuldungsinitiative 1999, den Millenniums-Entwicklungszielen von 2000, dem Afrika-Aktionsplan der G8 von 2003, den Beschlüssen der G8-Gipfel 2005 in Gleneagles und 2007 in Heiligendamm, der Afrikastrategie der Europäischen Union, der Pariser Erklärung zur besseren Wirksamkeit der Hilfe 2005 sollte die Entwicklungszusammenarbeit eine neue Orientierung bekommen. Jedoch hat auch die neue Strategie bisher kaum Fortschritte gebracht. Die angekündigten Reformen sind ins Stocken geraten. Die ebenfalls mit großen Erwartungen verknüpfte "Neue Partnerschaft zur Entwicklung Afrikas" (NEPAD) hat bisher wenig bewirkt. Den Regierenden vieler afrikanischer Staaten fehlt nach wie vor der Wille zu tiefgreifenden Reformen. Das als Erfolg der neuen Strategie angeführte wirtschaftliche Wachstum einiger Länder hat sich als nicht dauerhaft erwiesen. Es geht entweder auf gestiegene Rohstoffpreise oder auf massive Zuführung von Entwicklungshilfemitteln zurück, von denen die breite Bevölkerungsmehrheit bisher nicht profitiert hat. Der Unterschied zwischen Arm und Reich in Afrika ist im letzten Jahrzehnt größer geworden. Die Teilnahme und Teilhabe an den wirtschaftlichen Wachstumsprozessen ist auf die oberen Schichten der afrikanischen Gesellschaften beschränkt. Schon heute ist eindeutig absehbar, dass das wichtigste Millenniumsziel - die Halbierung der absoluten Armut bis zum Jahr 2015 - in Afrika verfehlt werden wird. Die großen Erwartungen in die neue internationale Entwicklungsstrategie erweisen sich zunehmend als Illusion.
Hauptgründe des Versagens sind zwei Annahmen:
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erstens: Der "Norden" könne Afrika entwickeln. Wie jeder Mensch und jede Gesellschaft kann Afrika sich aber nur selbst entwickeln. Darüber hinaus gebietet die menschliche Würde, dass jeder Einzelne und jede Gesellschaft die Verantwortung für Entwicklung zunächst bei sich selbst sucht. Dieses Bewusstsein ist in Afrika weitgehend zerstört worden, weil ausländische Helfer zuviel Verantwortung an sich gezogen haben. Je mehr Verantwortung wir aber für die Entwicklung Afrikas übernehmen, desto mehr fördern wir Verantwortungsverweigerung der dafür in erster Linie Zuständigen. |
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zweitens: Der "Norden" könne die Entwicklung Afrikas durch Umverteilung erreichen. Die Gleichung "mehr Geld = mehr Entwicklung" geht nicht auf. Dennoch beherrscht sie bis heute die Entwicklungspolitik. Geld hat der Entwicklung häufig sogar geschadet, weil Eigeninitiative gelähmt wurde. Politische Beschlüsse, die Entwicklungshilfe für Afrika zu verdoppeln, sind unvernünftig und gefährlich. Gleiches gilt für die Tendenz, immer mehr Geld als "Budgethilfe" zu vergeben. Damit werden Korruption und Unterschlagung erleichtert. |
[Aufruf Plus]
Der in Heiligendamm bestätigte Beschluss des G8-Gipfels von Gleneagles 2005, die Entwicklungshilfe für Afrika zu verdoppeln, vernachlässigt die Erfahrung, dass auch in Afrika Entwicklung in erster Linie auf den eigenen Anstrengungen der Regierungen, der Wirtschaft und der Bevölkerung beruht. Unsere Entwicklungshilfe hat die Eigenverantwortung der Afrikaner nicht gefördert und gestärkt, sondern oft sogar das Gegenteil bewirkt. Die verantwortlichen Politiker konnten sich auf Grund der finanziellen Unterstützung der Gebergemeinschaft aus der Verantwortung stehlen. Reformen, die privatwirtschaftliche Eigeninitiativen und Investitionen gefördert hätten, unterblieben. Der stetige Zufluss der Entwicklungsgelder ermöglichte es den führenden Eliten, die Ressourcen des eigenen Landes zu ihrem privaten Vorteil auszubeuten und Erlöse außer Landes zu schaffen. Die Verbesserung der Steuersysteme zur Mobilisierung eigener finanzieller Ressourcen und die Schaffung effektiver Systeme zur Kontrolle der öffentlichen Ausgaben wurden von den Gebern zwar angemahnt, aber sie hatten damit kaum irgendwo Erfolg. Mit dem neuen Instrument der Zuschüsse zum Staatshaushalt, der Budgethilfe, soll einerseits die Eigenverantwortung der staatlichen Verantwortungsträger gestärkt und andererseits der Wirrwarr unterschiedlicher Entwicklungsinitiativen beseitigt werden. Die daran geknüpften Bedingungen der Transparenz und Effizienz der Mittelverwendung werden in der Praxis aber kaum eingehalten und von der Gebergemeinschaft viel zu zögerlich eingefordert und sanktioniert. Im Ergebnis führt die Budgethilfe häufig zu einer weniger effektiven Verwendung der Mittel.
Wir fordern:
- | eine klare Durchsetzung der Verantwortlichkeiten. |
[Aufruf Plus]
Klare Verantwortlichkeiten müssen auf mehreren Ebenen eingefordert werden:
- Erstens: Durch unsere Haltung und unser Verhalten muss den staatlichen Verantwortungsträgern deutlich gemacht werden, dass sie die Verantwortung für Wohl und Wehe ihrer Völker tragen und dass wir nur dann bereit sind, sie zu unterstützen, wenn ihr Regierungshandeln sich am Gemeinwohl orientiert.
- Zweitens: Bei finanzieller Unterstützung durch die Gebergemeinschaft müssen die jeweiligen Partner auf allen Ebenen ihren Möglichkeiten entsprechende Eigenbeiträge leisten. Nur so kann Eigenverantwortung zu einem allumfassenden gesellschaftlichen Prinzip werden.
- | die Neuorientierung der Zusammenarbeit: wo immer möglich, weg von staatlichen Partnern und hin zu gesellschaftlichen Gruppen, die sich selbst organisieren und verwalten. |
[Aufruf Plus]
Unsere Hilfe muss das Subsidiaritätsprinzip beachten, d.h. Verantwortung muss dort wahrgenommen werden, wo sie hingehört. Dies bedeutet:
- In der Wirtschaft muss der Privatinitiative Vorrang eingeräumt werden. Der Staat muss dafür den Ordnungsrahmen setzen und für ungehinderten fairen Wettbewerb und für Chancengleichheit sorgen.
- Eine Vielzahl von Aufgaben, die bisher von einer ineffizienten, verantwortungs- und entscheidungsscheuen Zentralbürokratie wahrgenommen werden, kann auf kommunaler und regionaler Ebene sachgerechter entschieden und wirkungsvoller ausgeführt werden. Der Ausbau der zentralen Bürokratien ist kontraproduktiv, wenn er nicht durch eine wirksame Gewaltenteilung und durch regionale oder kommunale Selbstverwaltung ausbalanciert wird.
- Zivilgesellschaftliche Organisationen wie z.B. Kirchen, Bürgervereinigungen und Selbsthilfeinitiativen sollten im Gesundheitswesen, Bildungswesen und in der Sozialarbeit als verantwortliche Träger eingesetzt oder anerkannt werden, wobei es dem Staat obliegt, dafür angemessene Rahmenbedingungen zu schaffen. In vielen Fällen wird es nötig sein, dem Staat dabei zu helfen, nach Maßgabe seiner Möglichkeiten Daseinsvorsorge zu garantieren, aber die Entwicklungszusammenarbeit muss darauf achten, dass auch hier das Subsidiaritätsprinzip angewandt wird.
Kirchen wie andere religiöse Gemeinschaften, Frauengruppen, lokale Selbsthilfeinitiativen und nichtstaatliche Organisationen sonstiger Art haben sich vielfach als Träger von Grundschulen, Basisgesundheitsdiensten und ländlichen Infrastrukturmaßnahmen etc. bewährt. Dem Subsidiaritätsprinzip entsprechend müssen diese Gruppierungen das Recht und die Unterstützung haben, die Aufgaben, die ihnen gemäß sind, eigenständig zu erfüllen. Stärker als bisher müssen sie zu direkten Partnern unserer Entwicklungszusammenarbeit werden. Nicht jede NRO ist unterstützenswert. Nicht wenige sind genauso korrupt wie viele staatliche Organisationen und nur mit dem Zweck gegründet worden, neue Geldquellen privat zu nutzen. Strenge Prüfung ist also nötig.
Für eine vernünftige Entwicklungszusammenarbeit, die zur Armutsbekämpfung wie zur Verbesserung der politischen Rahmenbedingungen auf die Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Organisationen setzt, sind die Möglichkeiten der staatlichen Entwicklungszusammenarbeit begrenzt. Die kirchlichen Hilfswerke, die politischen Stiftungen, die Entwicklungsorganisationen der Wirtschaft und andere private Träger eignen sich in der Regel besser zur Umsetzung einer solchen direkten Entwicklungszusammenarbeit. Die finanziellen Mittel, mit denen die deutsche Entwicklungspolitik ihre Arbeit unterstützt, sollten in der kommenden Legislaturperiode wesentlich erhöht werden.
- | die Entscheidungsbefugnis über bilaterale Entwicklungszusammenarbeit auf die deutschen Botschaften zu übertragen, die personell entsprechend ausgestattet werden. |
[Aufruf Plus]
Seit langem werden eine bessere Koordinierung der Geber untereinander, eine intensivere Zusammenarbeit und ein ständiger Dialog mit den Partnern gefordert. Dies ist nur vor Ort möglich. Deshalb haben viele Geberländer die Entscheidungsbefugnisse für einen Großteil ihrer Maßnahmen an ihre Botschaften, denen entsprechende Fachabteilungen zugeordnet wurden, delegiert.
Die staatliche deutsche Entwicklungszusammenarbeit stützt sich, anders als die anderer Geberländer, auf mehrere Ministerien: vor allem auf das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit, aber auch auf das Auswärtiges Amt, das Bundesministerium für Bildung und Forschung, das Umweltministerium und andere. Die Durchführung der verschiedenen Programme und Projekte erfolgt wiederum über mehrere staatliche Organisationen wie die Kreditanstalt für Wiederaufbau, die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit, den Deutschen Entwicklungsdienst, InWent etc. Die Vorteile dieser Arbeitsteilung werden nur wirksam, wenn die einzelnen Programme vor Ort gebündelt werden. Notwendig ist daher eine effiziente Koordinierung der Aktivitäten der deutschen Entwicklungszusammenarbeit im Lande. Nur so kann diese in der Gebergemeinschaft eine angemessene Rolle spielen. Auch lassen sich die Bedingungen und Verhältnisse in den einzelnen Ländern so besser für eine Entwicklungszusammenarbeit "aus einem Guss" berücksichtigen. Als Kern einer solchen Koordination zwischen den einzelnen Ministerien und Organisationen kommen nur die Botschaften in Frage, allerdings müssen diese personell und materiell so ausgestattet werden, dass sie dieser Aufgabe gerecht werden können. Dazu müssen keine neuen Stellen geschaffen werden, es genügt, Entwicklungsexperten aus dem Inland an die Botschaften zu versetzen.
In einem ersten Schritt sollte dieses Modell mit drei bis vier Botschaften einer Region Afrikas erprobt werden.
- | unsere Hilfe auf das zu konzentrieren, was sich als besonders förderungswürdig erwiesen hat: Grund- und Berufsbildung, Kleinkredite und die arbeitsintensive und beschäftigungswirksame Durchführung von Infrastrukturmaßnahmen. |
[Aufruf Plus]
Die Armutsbekämpfung mit den Armen selbst muss ergänzt werden um Programme, die ihre Chancen für ein besseres Leben vergrößern. Dazu gehören vor allem die
- Grund- und Berufsbildung
Bildung, die den Einzelnen befähigt, sein Leben eigenverantwortlich in die Hand zu nehmen und das für sich und seine Angehörigen zum Leben Notwendige aus eigener Kraft zu erwirtschaften, ist die ertragreichste aller denkbaren Investitionen. Grund- und Berufsbildung sind daher unverzichtbare Voraussetzungen für eine nachhaltige Entwicklung.
Obwohl Bildung als Schlüssel zur Entwicklung allgemein anerkannt ist, hat die Bundesregierung ihre Ausgaben für die Förderung der Grundbildung in Afrika in den letzten 15 Jahren erheblich gekürzt. Dies ist unbedingt zu korrigieren.
Deutschland hat mit seinem differenzierten System der beruflichen Bildung und den entsprechenden Bildungseinrichtungen den Entwicklungsländern etwas anzubieten, das wichtige Impulse für einen dynamischen Entwicklungsprozess geben kann. Darüber hinaus ermangelt es Afrika immer noch an qualifizierten Fachkräften für das Bildungswesen und für die Wirtschaft. Eine engere Zusammenarbeit der Hochschulen im Rahmen von Partnerschaften ist deshalb dringend angebracht. - Mikrofinanzsysteme
Der Zugang zu Finanzdienstleistungen ist unverzichtbar für die Entfaltung eines eigendynamischen wirtschaftlichen Wachstumsprozesses. Zuschüsse haben sich als der falsche Weg erwiesen. Sinnvoller sind Kredite; das beweist die bisherige Geschichte der Kleinkreditvergabe. Mikrofinanzinstitutionen haben inzwischen millionenfach bewiesen, dass die Armen kreditwürdig sind. Der Zugang auch zu kleinen Beträgen von Investitionskapital ermöglicht es ihnen, ihre Produktivität zu steigern, Werte zu schöpfen und sich und ihre Familien in Würde Einkommen zu erwirtschaften. Inzwischen sind Investitionen in den Mikrofinanzsektor in vielen Fällen über die Kapitalmärkte möglich. In Afrika haben Mikrokredite bisher wenig Verbreitung gefunden. Die Beratung der Institutionen, die Ausbildung von Mikrofinanzfachleuten und die Bereitstellung von Eigenkapital für Mikrofinanzinstitute in ländlichen Regionen sind deshalb notwendig und sinnvoll. - Beschäftigungswirksame Infrastrukturmaßnahmen
In vielen Fällen lassen sich bei der Durchführung von Infrastrukturmaßnahmen in Entwicklungsländern Maschinen durch die Arbeitskraft der lokalen Bevölkerung ersetzen. Dies hat zwei Vorteile: Zum einen wird breitenwirksam Beschäftigung und Einkommen geschaffen, ohne die Kosten zu erhöhen, zum anderen wird die geschaffene Infrastruktur zu der "ihren". Sie übernehmen eher Verantwortung für ihren Unterhalt und leisten so einen nachhaltigen Beitrag zu Entwicklung ihrer Region.