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Für eine andere Entwicklungspolitik!

Beitrag vom 11.11.2008

Neues Deutschland

»Es kommt darauf an, das ganze System zu ändern«
Winfried Pinger hält die bisherige Entwicklungspolitik in Afrika für gescheitert

Mit dem Bonner Aufruf »Eine andere Entwicklungspolitik!« haben unter anderem Cap Anamur-Gründer Rupert Neudeck und Entwicklungspolitiker wie Winfried Pinger, von 1982 bis 1998 entwicklungspolitischer Sprecher der CDU/CSU im Bundestag, radikale Kritik an der praktizierten Entwicklungszusammenarbeit geübt. In der entwicklungspolitischen Szene ist der Aufruf umstritten, am Donnerstag findet eine öffentliche Diskussion statt (siehe Nord-Süd - Tipps). Mit Winfried Pinger sprach für ND Rolf-Henning Hintze.
ND: Herr Pinger, zusammen mit anderen Entwicklungsfachleuten haben Sie kürzlich eine Erklärung veröffentlicht, die ein geradezu vernichtendes Urteil über die deutsche Entwicklungspolitik beinhaltet. Sie haben darin geäußert, man müsse sich eingestehen, dass 50 Jahre Entwicklungszusammenarbeit eigentlich nichts gebracht haben.
Pinger: Natürlich gibt es auch einige Fortschritte. Wenn wir aber einen Strich drunter ziehen, dann haben die riesigen finanziellen und personellen Aufwendungen in Afrika bei Weitem nicht das erbracht, was wir uns alle erhofft hatten, insofern eine bittere Erkenntnis.

In dem von Ihnen mitinitiierten Aufruf heißt es, die Gleichung »Mehr Geld gleich mehr Entwicklung« gehe nicht auf. Und sie haben darauf hingewiesen, dass »günstige Entwicklungskredite«, die von der Bundesregierung als zusätzliche Mittel geplant sind, eigentlich katastrophale Wirkungen haben. Warum?

Zunächst einmal sind Kleinkredite das Beispiel dafür, wie man den Menschen direkt helfen kann: Indem man den Armen Zugang zu Krediten eröffnet. Die Rückzahlungsrate ist weltweit bei 98 Prozent. Es gibt eigentlich nichts Besseres. Ich bin entschieden für Kleinstkredite dieser Art, auch in Afrika. Friedensnobelpreisträger Mohammed Yunus aus Bangladesch ist bereit, mit uns da weitere Initiativen zu entwickeln. Wogegen ich mich wehre, ist Folgendes: Im Rahmen des neuen Ernährungssicherungsprogramms will man nun »Günstige Kredite« gewähren - das hört sich sehr gut an. Doch durch diese subventionierten Kredite bekommen die Kleinstkreditbanken, die für die Armen da sind und sehr effizient arbeiten, eine unfaire Konkurrenz und werden aus dem Rennen geworfen. Da vernichtet man Strukturen, die man dringendst zur Armutsbekämpfung braucht.

Kleinstkredite haben unbestreitbar vielen Armen das Elend etwas erleichtert, aber eine generelle Lösung des Armutsproblems können sie doch wohl nicht leisten. Würden Sie dem zustimmen?

Nein. Es hat sich gezeigt, dass Kleinstkredite eines der besten Mittel zur Armutsbekämpfung sind. Nehmen Sie das Beispiel Bangladesch, die Grameen Bank von Nobelpreisträger Yunus, 7,5 Millionen Arme und Ärmste, die Kredite bekommen und sich dadurch aus dem Elend befreien.

Das ist unbestritten, aber was ist mit den unfairen Welthandelsstrukturen? Im Moment ist das Grundmuster doch, dass Europa Rohstoffe kauft und hier verarbeitet, sodass die Gewinne im Wesentlichen hier gemacht werden.

Das ist zutreffend. Man sollte das eine tun und das andere nicht lassen. Sicher sollte man mit aller Energie die Handelsbedingungen für die Entwicklungsländer, insbesondere die afrikanischen, verbessern und fairer gestalten. Man versucht das seit Jahrzehnten. Mit dem Einsatz von über fünf Milliarden Euro Entwicklungshilfe pro Jahr sollte man sehen, dass man den Armen hilft.

Über Armut in Afrika kann man nicht sprechen, ohne auf die europäische Handelspolitik gegenüber Afrika einzugehen, ganz konkret meine ich die EPA, die sogenannten Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (Economic Partnership Agreements). Kritiker wie Attac sagen, die EPA würden durch die Verdrängung afrikanischer Produzenten eine weitere Verarmung Afrikas zur Folge haben. Was ist Ihre Meinung?

Dass die EPA die Armut in Afrika vergrößern, würde ich in der Form nicht sagen. Unbestritten ist jedoch, dass durch faire Handelsbedingungen den Entwicklungsländern Armutsbekämpfung erleichtert würde. Von fairem Handel würden allerdings direkt vor allem die exportfähigen Unternehmen profitieren und die Masse der Armen und Ärmsten bestenfalls indirekt.

Im »Bonner Aufruf« wird der Vorschlag gemacht, entwicklungspolitische Entscheidungen, die bisher in Berlin oder Bonn getroffen werden, an die deutschen Botschaften zu verlagern. Würde es wirklich weiterhelfen, wenn die die Entscheidungen vor Ort getroffen werden, ergibt das eine andere Qualität?

Zunächst einmal ist festzustellen, dass die Spitze des Entwicklungsministeriums und auch Spitzenleute zum Beispiel bei der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit meinen, dass das, was geleistet wird, in Ordnung sei, auch in Afrika. Es besteht also ein geringes Maß von Lernfähigkeit und auch Problembewusstsein im Hinblick auf Änderungsnotwendigkeiten. Die Änderungsnotwendigkeiten gehen dahin, dass die Mittel tatsächlich den Armen und Ärmsten zugute kommen und nicht im System versickern. Das ist der Anlass, darüber nachzudenken, ob man es nicht anders machen kann, nämlich über die Botschaften. Immerhin sind die Botschaften vor Ort, kennen die Verhältnisse genau, können auch die Selbsthilfestrukturen erkennen, sehen, wie korrupt oft die staatlichen Strukturen sind, und wären viel besser in der Lage zu beobachten, wo kann welche Hilfe auch tatsächlich wirken. Natürlich müssten die Botschaften dafür verstärkt werden. Dadurch wäre eine Chance geboten, das ganze System zu ändern, und darauf kommt es an.

Aber Botschafter sind doch nicht per se Entwicklungsexperten?

Das ist richtig, es ist aber so, dass Botschafter heute schon, wenn sie ausgebildet werden als junge Attachés, mit der Entwicklungshilfe durchaus vertraut gemacht werden, und dann sind sie ja auch jahrelang in den Entwicklungsländern tätig. Also kann man ihnen durchaus zutrauen, auf die Selbsthilfestrukturen zu achten und sie zu ermitteln. Bekommen sie diese Aufgabe übertragen, könnten sie dann auch dafür sorgen, dass unsere deutschen Gelder dorthin kommen, wo es den Armen hilft.