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Für eine andere Entwicklungspolitik!

Beitrag vom 23.03.2009

FAZ: Fachleute fordern einen radikalen Umbau der Entwicklungspolitik

Trotz unzähliger Entwicklungshilfeprojekte haben sich die Lebensbedingungen für die Menschen in den meisten Ländern Afrikas nicht verbessert. Kenner des Kontinents fordern deshalb mehr Privatinitiative, regionale Selbstverwaltung und die Unterstützung privater Träger.

mas. BERLIN, 22. März. Die großen Erwartungen in die neue internationale Entwicklungsstrategie erweisen sich nach Ansicht von renommierten Afrikakennern zunehmend als Illusion. "Das als Erfolg der neuen Strategie angeführte wirtschaftliche Wachstum einiger Länder hat sich als nicht dauerhaft erwiesen", heißt es in dem "Bonner Aufruf Plus", den Rupert Neudeck, Gründer der Hilfsorganisation "Cap Anamur", und Winfried Pinger, früherer entwicklungspolitischer Sprecher der Unionsfraktion, mit weiteren Autoren erarbeitet haben. Er soll an diesem Montag vorgestellt werden. Die Fachleute fordern einen radikalen Umbau der Entwicklungspolitik.

"Auch die neue Strategie hat bisher kaum Fortschritte gebracht", heißt es in dem Konzept, das den Aufruf vom September 2008 ergänzt und erläutert. Das erste Dokument hatte eine hitzige Diskussion über die Möglichkeiten und Grenzen der Entwicklungspolitik ausgelöst. Die Thesen von damals lauten: Die ein halbes Jahrhundert währende Entwicklungshilfe hat versagt. Ausländische Helfer haben in Afrika zu viel Verantwortung an sich gezogen und damit die Eigeninitiative gelähmt. Die Gleichung mehr Geld gleich mehr Entwicklung geht nicht auf.
Nun legen die Autoren nach. "Die angekündigten Reformen sind ins Stocken geraten", stellen sie fest. Die mit großen Erwartungen verknüpfte "Neue Partnerschaft zur Entwicklung Afrikas" (Nepad) habe wenig bewirkt. "Den Regierenden vieler afrikanischer Staaten fehle nach wie vor der Wille zu tiefgreifenden Reformen." Das zeitweilig höhere Wachstum in Afrika gehe entweder auf gestiegene Rohstoffpreise oder den starken Zufluss von Entwicklungsmitteln zurück, von denen die breite Bevölkerungsmehrheit bisher nicht profitiert habe. "Der Unterschied zwischen Arm und Reich in Afrika ist im letzten Jahrzehnt größer geworden." Zudem sei absehbar, dass das wichtigste Millenniumsziel - die Halbierung der absoluten Armut bis zum Jahr 2015 - in Afrika verfehlt werde. Zwar sei vielen Menschen in Afrika durch die Entwicklungshilfe der letzten fünf Jahrzehnte geholfen worden. Doch trotz Hunderttausender Projekte, die viele Milliarden Dollar gekostet hätten, habe die Mehrheit der Menschen in den meisten Ländern Afrikas heute keine besseren Lebensbedingungen als vor 50 Jahren.
Der 2007 in Heiligendamm bestätigte Beschluss, die Entwicklungshilfe für Afrika zu verdoppeln, vernachlässigt nach Ansicht der Kritiker die Erfahrung, dass auch in Afrika Entwicklung vor allem auf den eigenen Anstrengungen der Regierungen, der Wirtschaft und der Bevölkerung beruhe. "Unsere Entwicklungshilfe hat die Eigenverantwortung der Afrikaner nicht gefördert und gestärkt, sondern oft sogar das Gegenteil bewirkt", urteilen sie. "Die verantwortlichen Politiker konnten sich auf Grund der finanziellen Unterstützung der Gebergemeinschaft aus der Verantwortung stehlen." Reformen, die privatwirtschaftliche Eigeninitiativen und Investitionen gefördert hätten, seien unterblieben. Der stetige Zufluss der Entwicklungsgelder ermöglichte es den führenden Eliten, die Ressourcen des eigenen Landes zu ihrem privaten Vorteil auszubeuten und Erlöse außer Landes zu schaffen. "Die Verbesserung der Steuersysteme zur Mobilisierung eigener finanzieller Ressourcen und die Schaffung effektiver Systeme zur Kontrolle der öffentlichen Ausgaben wurden von den Gebern zwar angemahnt, aber sie hatten damit kaum irgendwo Erfolg."
Wenig halten Neudeck und Pinger von Zuschüssen zum Staatshaushalt, die zuletzt stark gepriesene und ausgebaute Budgethilfe. Damit soll die Eigenverantwortung gestärkt und das Wirrwarr an Entwicklungsinitiativen beseitigt werden. Die daran geknüpften Bedingungen der Transparenz und Effizienz der Mittelverwendung würden in der Praxis aber kaum eingehalten und von der Gebergemeinschaft viel zu zögerlich eingefordert und sanktioniert, urteilen sie. "Im Ergebnis führt die Budgethilfe häufig zu einer weniger effektiven Verwendung der Mittel."
Die Autoren verlangen einen grundlegenden Wandel hin zu mehr Privatinitiative, regionaler Selbstverwaltung und privater Träger. "Derzeit werden 90 Prozent der steuerfinanzierten deutschen Entwicklungszusammenarbeit über staatliche Strukturen abgewickelt. Nur 10 Prozent der Mittel werden der zivilgesellschaftlichen und privatwirtschaftlichen Zusammenarbeit zugeteilt", kritisieren sie. Notwendig sei darüber hinaus eine effiziente Koordinierung der Aktivitäten der deutschen Entwicklungszusammenarbeit über die Botschaften der Empfängerländer. "Dazu müssen keine neuen Stellen geschaffen werden, es genügt, Entwicklungsexperten aus dem Inland an die Botschaften zu versetzen."
Den ersten Aufruf haben inzwischen aktive und frühere Politiker unterzeichnet. Dazu gehören die FDP-Politiker Werner Hoyer, Karl Addicks, Hellmut Königshaus und Gerhart Baum. Von der Union sind Hans-Peter Repnik und Volkmar Köhler mit von der Partie, von den Grünen Ludger Volmer. Viele ehemalige Botschafter und sonstige Afrikakundige finden sind unter den Unterzeichnern des Vorgängerappells.