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Für eine andere Entwicklungspolitik!

Beitrag vom 03.10.2009

Warum Wahlen manchmal untauglich werden

Und andere politische Unkorrektheiten in einem neuen Buch von Paul Collier
Das Buch kann man nur lesend beenden, in dem man als Leser am Ende erst mal Luft holt, so sensationell plausibel sind die Thesen dieses Grandseigneurs der internationalen Entwicklungspolitik-Forschung. Nach "The Bottom Billion" kommt jetzt gleich ein weiteres Buch mit dem riskanten Titel: "Gefährliche Wahl" heraus. Der englische Titel ist noch aktueller, man riecht schon beim Titel die Ländernamen Afghanistan, Nigeria, Süd-Afrika:
"Wars, Guns and Votes. Democracy in Dangerous Places”.
Visionäre politische Führung sei in den Ländern der untersten Milliarde selten. Nicht zufällig seien visionäre Führer wie Julius Nyerere, Sukarno und Nelson Mandela Gründungspräsidenten gewesen. "Sobald es eigennützigen Politikern leicht fällt, an die Macht zu gelangen, werden sie ihr Glück versuchen und die anständigen Politiker in den Hintergrund drängen - die schlechten vertreiben die guten". So wie der visionäre, den Collier nicht erwähnt, Thomas Sankara in Burkina Faso, der von seinem Nachfolger ermordet wurde. Und dieser Nachfolger leitet seinen Staat bis heute und bis an sein Lebensende: Blaise Compaore, Präsident der Republik Burkina Faso.
"Ich will mich in die Lage eines altgedienten Autokraten versetzen, der auch unter demokratischen Verhältnissen die Macht behalten will". Collier resümiert die Optionen. Erstens: Ein neues Kapitel beginnen und gut regieren, das ist die am wenigstens attraktive Option. Die wird nur von den westlichen Botschaftern gepriesen.
2. Option: Die Wähler belügen! Antwort: Lohnt sich, aber genügt nicht. Ist auch einfach, weil meistens die Kontrolle über Medien fehlt.
Option Nr. 3: Eine Minderheit zum Sündenbock machen. Das funktioniert meistens. Das kann (wie in Kenia) der jeweils andere Stamm (Kikuyu oder Luo) sein, oder eine Migrationsgruppe (Zimbabwer in Süd-Afrika).
Option Nr. 4: Bestechung. Der alte Autokrat hat in der Regel mehr Geld als alle Konkurrenten. Die Leute reagieren auf Bestechung wohlwollend. "Wenn schon Politiker während ihrer Amtszeit nichts leisten", dann erwartet man von ihnen, dass sie sich gütlich zeigen wenigstens während der kurzen Zeit der Wahlkämpfe.
Die Opposition machte das Spiel mit der Bestechung genial mit: Sie riet den Leuten, die Bestechung der Regierung nicht abzulehnen. Sondern das Geld einzustecken, aber die Opposition zu wählen.
Option Nr. 5: Einschüchterung, das ist nur die Kehrseite der üblichen Einschmeichelung. Doch muss der Autokrat sich sagen: Die Opposition kann dann noch gewalttätiger und einschüchternder sein als man selbst.
Option Nr. 6: Die Konkurrenz verkleinern, um die stärksten Kandidaten auszuschalten. Wenn alle Stricke reißen, kann man den Konkurrenten auch umbringen. So 2007 im Wahlkampf in Pakistan geschehen, wo Benazir Bhutto die Wahl gewonnen hätte. So wie Compaore in Burkina Faso den beliebten Konkurrenten Thomas Sankara nur umbringen konnte, denn der hätte mühelos jede Wahl gegen ihn gewonnen.
Option Nr. 7: Die Stimmen falsch auszählen. Das klappt immer, von Äthiopien über Zimbabwe bis nach Afghanistan und dem Iran. Es gibt nur eine Gebrauchsanweisung, die zu beachten ist. Keine 99 Prozent fälschen, damit es nicht wie eine sowjetische Wahl aussieht.
Wir betrachten in Europa die Wahlen als heilige, hehre, nicht zu missbrauchende Güter. Aber Wahlen sind in den Ländern der untersten Milliarde manchen besondern attraktiv für Kriminelle. Nur Menschen mit krimineller Energie können diese Gelegenheit zur Korruption ergreifen und werden sie nicht auslassen. Noch attraktiver ist die Immunität, die mit einem politischen Amt verbunden ist. Für Kriminelle bedeutet die Wahl ‚Freiheit statt Gefängnis'. 2007 kam es bei den Gouverneurswahlen in Nigeria zu einem Wettlauf zwischen Polizei und dem Kandidaten, der die Wahl zum stellvertretenden Gouverneur geschafft hatte. Die Frage war: Schafft er es, sich vereidigen zu lassen, bevor man ihn verhaftet. Collier: "Es stand auf Messers Schneide, ob er in der Amtsvilla des stellvertretenden Gouverneurs oder hinter Gittern landen würde".
Zwischendurch fragt sich der Autor, "was ein korrupter Machthaber über Steuern denken mochte. Angenommen Sie wären, zum Beispiel, Präsident Mobutu. Wie hoch hätten Sie die Bürger ihres Staats besteuert?" Er bekam, so fährt Collier fort, den Verdacht, dass die geringe Besteuerung eine Strategie sein könnte, die bewusst eingesetzt wird. Mit dem Geld, das er der Staatskasse vorenthielt, erkaufte sich Mobutu vielmehr die Loyalität seines Hofstaates. Seine wichtigste Einnahmequelle waren die Unternehmen, die in seinem Land die üppigen Bodenschätze abbauten. "Doch nachdem er sie bis zum Ruin ausgeplündert hatte, ging er nicht etwas dazu über, die Steuern zu erhöhen. Er warf die Gelddruckmaschinen an, griff also zu selben Lösung wie in unseren Tagen der Präsident von Zimbabwe Robert Mugabe".
Der erste Hauptteil ist überschrieben: "Die Realität verleugnen". Es behandelt die Ethnopolitik und wie man sich bei Wahlen in den Habenichtseländern nichts vormachen soll.
Der zweite Hauptteil geht darum, wie man die brutale Realität akzeptieren kann?
Es geht um Kriege, um die Politikökonomie der Zerstörung, um Putsche, wovor sich die lebenslangen Präsidenten der afrikanischen Länder ungeheuer fürchten. Als Fallbeispiel bilanziert der Autor das Scheitern des wirtschaftlich erfolgreichen Staates Elfenbeinküste.
Der dritte Hauptteil versucht Therapie: Es geht um die beiden öffentlichen Güter, die überall Mangelware sind: "Verantwortlichkeit und Sicherheit". Es geht um das, was die Bataillone und Heere von gutbezahlten Beratern immer als ihre eigentliche Aufgabe nannten, aber eben verfehlt haben: "Staaten- und Nationen Bildung". Den Wahnsinn der in Afrika grassierenden "Democrazy" kann man am Beispiel Zimbabwes am besten darstellen, dort lässt der Präsident nicht mal mehr die Hilfsagenturen die eigene Bevölkerung ernähren.

In seinem letzten Buch hatte er die vier Entwicklungsfallen dargestellt, die den 63 ärmsten Ländern der Untersten Milliarde drohen, die keinen Anschluss an die globalisierte Wirtschaft haben. Das Panorama dieser Staaten zeigt deutlich, dass von 63 Ländern nur 17 aus Asien und Lateinamerika stammen, die anderen 46 gehören alle zu Afrika.
Der Autor hat viel Verständnis für die Nöte und Sorgen der Afrikaner, die ja auch entsprechend von unseren Kolonialvorvätern furchtbar misshandelt wurden. Nur hilft es nicht, sie nur zu Opfern zu machen. Sie haben noch keinen Präsidenten gefunden, der wie der von Costa Rica auf seine Armee verzichtet hat. Es gibt kaum eine Bedrohung von außen. Aber die Regierungen dieser Länder rüsten am liebsten ihre eigenen Armeen aus, zu ihrem eigenen Selbstschutz, gegen die Putsche und Aufstände, die immer mal möglich sind.
Aber diese Staaten haben meist noch keine nationale Loyalität. Und man kann sie dann noch unterscheiden nach denen, in denen die Eliten mit dem Ausspielen der Stämme gegeneinander gefährlich gearbeitet haben. Das geschah in Kenya Ende 2007, als nach der gefälschten Wahl das Land sich einem Blutrausch der Stämme gegeneinander hingab. Dagegen ist Collier voll des Lobes für Julius Nyerere, der es über seinen Tod hinaus geschafft hatte, die schädliche Wirkung ethnischer Vielfalt in Tansania drastisch zu reduzieren, wenn nicht sogar auszumerzen. "Nyerere hatte ein neues Land in eine neue Nation verwandelt". Das Lieblingsland aller Politiker, Entwicklungspolitiker und Journalisten, Kenya, war davon meilenweit entfernt, was dann auch 2007 zu der ethnisch motivierten Gewalt führte, die tausend Menschen das Leben raubte. Das war schon die Strategie von Kenyatta und Daniel Arab Moi gewesen, die beide jeweils ihre eigenen Ethnien immer bevorzugten. Und das hat sich bis heute so durchgesetzt: Gewalt gegen Kikuyu war eine bewusste Wahlstrategie Raila Odingas, der - so der Autor - in seinem Wahlkampf ethnische Vertreibung ankündigte.
Das Buch von Paul Collier räumt mit liebgewordenen Standpunktprothesen der westlichen Entwicklungsphilosophie auf. Die demokratischen Wahlen haben sich in Kenya - auch in Afghanistan - ad absurdum geführt. Sie sind zu einem "untauglichen Mittel" entartet, um Regierungen zur Verantwortung zu ziehen.
Die Bürgerkriege haben in den ärmsten Ländern Afrikas jeweils mindestens 20 Mrd. US Dollar gekostet. Von den 34 Mrd Entwicklungshilfe Geldern gehen statistisch jeweils 3,7 Mrd US Dollar in den Militärhaushalt der Regierungen, die wir bezuschussen.
Man lernt aus diesem Buch, wie wichtig öffentliche Güter für ein Land sind. So kam es nach dem Friedensabkommen im Süd-Sudan, wie es kommen musste: Die neue Regierung des Südsudan übernahm eine verwüstete Wirtschaft. Öffentliche Güter gab es nicht: "keine Straßen, keine Schulen, keine Gesundheitsversorgung - nichts, nicht einmal Gebäude". Das einzige "Gut" waren die Soldaten, die sich auch so benahmen. Sie konnte alles konfiszieren. Die jährlichen Fördereinnahmen aus den Erdölquellen bei Benthiu für den Südsudan betrugen 1,3 Mrd US Dollar. "Hinzu kam ein gewaltiger Zustrom von internationaler Hilfe, denn mit Recht drängten sich die Hilfsorganisationen, um der Region zu helfen". Die neue Regierung hat der Armee noch größere Privilegien eingeräumt.
"Die Minister selbst meiden die Unbequemlichkeit des Lebens im Süd-Sudan; sie residieren in Nairobi, wo die Versorgung mit öffentlichen Gütern besser ist, und pendeln regelmäßig in das Land, das sie regieren sollen, weil die Spenderorganisationen auf Treffen im Südsudan bestehen." Was kann man daraus folgern? Nach 50 Jahren der Entwicklungshilfe fördern wir den Bau beeindruckender Ministerien. "Man kann sich die Türme aus Glas und Beton leicht vorstellen, die einst die Ministerien für dieses und jenes beherbergen werden."
Im Süd Sudan gibt es jetzt eine riesige private Investition: ein Fünf-Sterne-Luxushotel, das wie ein Raumschiff mitten im Nirgendwo gelandet zu sein scheint. Es gibt nicht mal eine Strasse zu ihm: Das wäre dann ja ein öffentliches Gut. Der Südsudan hat aber noch keinen Tourismus, so dass man sich fragt, für welche Kunden das Hotel in Juba gedacht ist. Collier: "Er ist ein Hauptziel von Mitarbeitern internationaler Hilfsorganisationen - das ist der Markt. Und zur Unterhaltung der Entwicklungshelfer wird auch gleich nebenan noch eine Shoppingmall errichtet". Die NGOs streiten sich darüber, wer die Kontrolle über die Hilfsgelder haben soll: Jede will das Sagen haben.
Das alles, was Collier in seinem Buch beschreibt, schreit geradezu nach einer Änderung der internationalen Entwicklungspolitik. Colliers Buch kann man auch als Handlungsanweisung lesen für die Tausende von Initiativen, die sich in Europa um die unterste Milliarde Menschen kümmern wollen. Was - fragt Paul Collier - sind die Fähigkeiten, die für den ökonomischen Wiederaufbau nach einem Konflikt besonders wichtig sind? Das sind Fähigkeiten, die "zu banal sind, um von den Hilfsorganisationen wahrgenommen zu werden. Die geben dafür viel Geld für den ebenso ehrgeizigen und vergeblichen Versuch aus, in der Bevölkerung eine Versöhnungshaltung zu fördern". Die NGOs - so Paul Collier - übersehen das Offenkundige:
"Der Wirtschaftssektor, der in einem Bürgerkrieg am schwersten in Mitleidenschaft gezogen wird, ist die Bauwirtschaft. Während eine Gesellschaft damit beschäftigt ist, alles zu zerstören, investiert niemand in Gebäude und Infrastruktur. Da die Bauwirtschaft viele ungelernte Arbeiter beschäftigt, besitzt sie das Potential einer Jobmaschine für arbeitslose Jugendliche, die ansonsten einen Unruheherd in ehemaligen Konfliktgebieten bilden."
Paul Collier: Gefährliche Wahl. Wie Demokratisierung in den ärmsten Ländern der Erde gelingen kann.
Siedler Verlag München 2009 265 Seiten

Rupert Neudeck