Beitrag vom 19.12.2009
Frankfurter Allgemeine Zeitung
Weltklimagipfel
Es ging ums Geld
Von Richard Wagner
Man muss schon einen Narren an den Entwicklungsländern gefressen haben, um über die Unverfrorenheit hinwegzusehen, mit der sie in Kopenhagen versucht haben, den Industrieländern das Geld aus der Tasche zu ziehen. Natürlich ist den Industrieländern klar, dass sie die größten Verursacher von Treibhausgasen sind und dass es ihre mit großen Segnungen verbundene Industrialisierung war, die zu herben Eingriffen in die Natur geführt hat, die auch den eigenen Völkern nicht zuträglich waren. Den Weg der rücksichtslosen Industrialisierung haben diese Völker meist längst verlassen. Und das ist gut. Die Entwicklungsländer, denen viele reiche Länder ja zu Recht häufig Hilfe geleistet haben, benutzen nun aber den Klimawandel, um noch mehr Geld aus ihnen herauszupressen.
Dazu dient ihnen eine radikale Rhetorik, in der sie von westlichen Aktivisten unterstützt werden, mit der sie jedoch ihrer eigenen Sache und der des Klimawandels einen Bärendienst erweisen. Wenn der äthiopische Ministerpräsident Meles Zenawi - er leitete die afrikanische Delegation - den "größtenteils durch die Aktivitäten der Industrieländer verursachten Klimawandel" als Hauptgrund nennt für das Versagen armer Länder bei der Bekämpfung von Armut, dann ist das nicht einmal die halbe Wahrheit. Wenn er dann noch die Industrieländer "moralisch" in der Pflicht sieht, an besagte Länder "Teilentschädigungen" zu zahlen, wird das Bild grob falsch. Zenawi spielt nämlich nur das alte Beschuldigungsspiel. Und er ist da nicht allein. Vorzeigestaatslenker wie der Venezolaner Hugo Chávez oder der Bolivianer Evo Morales pflichten ihm bei.
Die Guten sind dabei immer die Armen, das kennt man ja hierzulande auch. Die jüngsten Kristallisationsformen dieser Überzeugungen sind die klima-, kapitalismus-, globalisierungskritischen Bewegungen, und die waren in Kopenhagen fleißige Befürworter der afrikanischen Schuldzuweisungen an den Westen. Dass gerade steinreiche afrikanische Staatsführer Musterbeispiele für Verantwortungslosigkeit und Selbstbedienungsmentalität sind, scheint dabei niemanden zu kümmern. Was früher der Kolonialismus, ist heute der Klimawandel, und gerade so wie der Kolonialismus für die postkolonialen Eliten ein hervorragendes Mittel war, von ihrem eigenen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Versagen abzulenken und sich obendrein die Taschen vollzustopfen, so dient dazu nun der Klimawandel.
Die Sorge um den Klimawandel ist in der Mitte der meisten Gesellschaften angekommen. Das macht die politische Hebelwirkung größer. Und vielleicht ist das der Grund, warum kaum jemand fragt, warum neue Zahlungen des Westens zwecks Klimaschutz nun auf einmal eine bessere Verwendung finden sollten als früher die Entwicklungshilfe, mit der sich so mancher Potentat Großwohnungen in Pariser Luxusvierteln gekauft hat? Die ärmsten Länder, die in Kopenhagen so selbstbewusst aufgetreten sind und deren Völker wirklich unsere Hilfe brauchen, haben aber nicht plötzlich eine andere Regierungsführung oder sind frei vom Krebsgeschwür der Korruption.
Kopenhagen war nicht nur ein globaler Umverteilungskampf zwischen Erster und Dritter Welt. Der Westen wird in Zukunft mit einem selbstbewussten und selbstgerechten Auftreten der Drittweltländer rechnen müssen. Nicht zuletzt, weil China als ihr Sprecher aufgetreten ist. Das Land ist wirtschaftliche Supermacht, politische will es werden. Und hat sich die Entwicklungsländer als Gefolgschaft gesichert.
Aber es drohen auch innenpolitische Verwerfungen. Beschwörungen des Weltuntergangs spielen immer mit dem Feuer. Greenpeace-Chef Kumi Naidoo hat das deutlich gemacht. Wenn es keine Lösung in der Klimafrage gebe, so Naidoo, werde es zu Reaktionen junger Leute kommen, "die gewaltig und auch gewalttätig sein werden". Ruft er nach Klima-Dschihadisten? Wieder einmal geht es um die Rettung der Welt. Noch dürfen Bedenken an den finsteren Prognosen angemeldet werden; und Klimakatastrophenleugnung wird wohl kein Straftatbestand werden. Die Denunziationen der Klimaskeptiker verheißen aber nichts Gutes.
Der Klimagipfel hat gezeigt, dass die Sorge um die Zukunft der Menschheit nicht das Ende der Politik ist. Selbst wenn alle das Zwei-Grad-Ziel akzeptiert, Kohlendioxidreduktionen versprochen, den Waldschutz geregelt und Finanzhilfen für Entwicklungsländer auf den Weg gebracht haben - nach wie vor brauchen die politischen Führer den Rückhalt ihrer Völker.
Präsident Barack Obama hat ihn in Klimadingen immer weniger, und daran ist nicht zuletzt die Klimahysterie schuld, die die Zahl der Zweifler eher wachsen lässt. Ruhige Umsicht statt apokalyptischen Tremolos hilft, die globale Verantwortung für unsere Umwelt - früher: die Schöpfung - wahrzunehmen.