Beitrag vom 23.03.2010
Die Weltwoche
Calmys Fischerdörfer, eine Bilanz
Die Tsunami-Hilfe von Bund und Glückskette in Thailand bleibt ein Fehlschlag. Schulen und Wohnhäuser stehen leer. Statt Rechenschaft zu geben, löscht die Deza Online-Daten.
Von Philipp Gut
Die Geschichte machte Schlagzeilen. Vor exakt zwei Jahren berichtete die Weltwoche in einer Reportage über die von Bundesrätin Micheline Calmy-Rey (SP) eingefädelten Tsunami-Hilfsprojekte in Thailand («Geisterdörfer im Niemandsland», Nr. 13/08). Medienwirksam hatte die Aussenministerin nur wenige Tage nach dem Seebeben vom 26. Dezember 2004 vor Ort Hilfe angekündigt. Es handelte sich um ein Prestigeprojekt der Schweiz, zerstörte «Fischergemeinden», hiess es, würden komplett wiederaufgebaut - mit den Steuer- geldern der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) und den Spendenmillionen der Glückskette. Die Medien folgten dieser Eigenwerbung und schrieben nicht ohne Stolz von «Musterdörfern».
Die Recherche vor Ort, auf der Insel Koh Phra Thong, 150 Kilometer nördlich der Feriendestination Phuket, zeigte ein anderes Bild. Der Schreibende musste zur Kenntnis nehmen, dass die vielgelobten Projekte buchstäblich auf Sand gebaut waren und die Deza und die Glückskette die Schweizer Bevölkerung mit ihren Erfolgsmeldungen in die Irre führten. Ein Gesundheitszentrum mit eigener Stromstation und Solar-Panel war ausser Betrieb und unbesetzt, der Dieselgenerator funktionierte bereits nicht mehr. Weit und breit war kein Arzt in Sicht. Die halbtäglich angesagten Sprechstunden fanden nicht statt. Zwei Schulen, eine grössere und eine kleinere, waren überdimensioniert und nur zu einem kleinen Teil benutzt. Für sogenannte Meetinghalls war ebenfalls kein Bedürfnis vorhanden, sie moderten und staubten vor sich hin.
Geschenke des «Schweizervolks»
Besonders trist präsentierten sich die von der Deza gebauten Wohnhäuser. Die Gebäude, die das «Schweizervolk» laut Inschriftentafeln den ortsansässigen «Fischern» geschenkt hatte, standen unbenutzt und leer - Geisterhäuser in einem Niemandsland, die man nur über holprige Feldwege erreichte. Unkraut überwucherte die Terrassen, Sand wehte durch die offenstehenden Türen, Vogelexkremente bedeckten die Böden. Die überall prominent platzierten Hinweise auf die «SDC», das englische Kürzel für die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit, wirkten in der Neubau-Ruinenlandschaft wie ein Hohn.
Dies war der Zustand vor zwei Jahren. Wie aber steht es heute, nach dem offiziellen Abschluss der Projekte, um das Schweizer Prestigevorhaben?
Es ist, obwohl die Deza nach den Enthüllungen der Weltwoche eine externe Prüfung vornehmen liess, «vor dem endgültigen Ausstieg noch gewisse Massnahmen» einleitete und seither ihren «regionalen Koordinator» in Bangkok mindestens drei Mal auf die Insel entsandte, immer noch alles beim Alten. In manchen Bereichen hat sich die Lage sogar verschlechtert.
Die grössere Schule im nördlichen Teil der Insel ist weiterhin grotesk unterbelegt. Die geringe Zahl der Schüler hat sich nochmals auf sieben oder acht halbiert. Von sechs Klassenzimmern ist eines belegt. Die kleinere Schule im Süden der Insel, im Jahr 2008 von drei Schülern besucht, ist mittlerweile ganz geschlossen, mangels Nachfrage. Der Zugang zu den Unterrichtszimmern bleibt mit Bügelschlössern blockiert. Die Meeting-Halls, schon damals kaum benutzt, sind fortschreitendem Verfall ausgesetzt. Nicht besser steht es um die Häuser: Sie sind so verwaist wie eh und je. Es lebt niemand in ihnen, schon gar keine Tsunami-gebeutelten «Fischer». Einziger kleiner Lichtblick ist das Gesundheitszentrum: Es wurde wieder instand gesetzt und bietet nun zwei bis drei Tage pro Woche medizinische Versorgung und Beratung an.
Insgesamt hat sich die pitoyable Situation auch nach Abschluss der Projekte nicht gebessert, im Gegenteil. Ein erheblicher Teil der letztlich laut Deza «rund 4 Millionen» Steuer- und Spendenfranken (budgetiert waren 5,5 Millionen) ist in Bauten investiert worden, die niemand braucht. Mehr als fünf Jahre nach dem Tsunami bleibt die Bilanz ernüchternd bis beschämend: Die verwaisten Monumente der Schweizer Hilfe legen Zeugnis einer grandiosen Fehlplanung ab.
Es bestätigen sich Prognosen, die Beobachter bereits seit Jahren machen. Sie warnten davor, die Insel könnte nicht, wie ursprünglich geplant, zu einem Nationalpark werden, sondern sich zu einem Touristenzentrum entwickeln. Derzeit deutet alles darauf hin. Seit kürzlich bekanntwurde, dass die Insel ans Stromnetz angeschlossen wird, explodieren die Landpreise. Die reichen Grundbesitzer, denen die Schweiz kostenlos Häuser hinstellte, werden wahrscheinlich bald ein zweites Mal profitieren können und ihre doppelstöckigen, in schweizerischer Betonqualität errichteten Gebäude für einen ansehnlichen Betrag verkaufen. Bereits sollen für den Quadratmeter im Niemandsland Preise fast auf Schweizer Niveau bezahlt werden.
In einer schriftlichen Stellungnahme bestätigt das EDA, dass die Häuser immer noch leer stehen. «Wären diese Häuser nicht wiederaufgebaut worden, wären die Besitzer Gefahr einer illegalen Besetzung ihres Landes und schliesslich des Verlusts ihrer Grundpapiere gelaufen.» Eine nachvollziehbare Begründung für ein Nothilfeprojekt sieht anders aus. Die merkwürdig anmutende Antwort passt zum Umstand, dass die Deza Unterlagen zu den «Fischergemeinden» in ihrem Online-Archiv offensichtlich löschen liess.