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Für eine andere Entwicklungspolitik!

Beitrag vom 30.10.2011

Politik & Gesellschaft in Afrika

Sie wurde Feministin, bevor sie das Wort überhaupt kannte

Volker Seitz

Rebecca Lolosoli und die Fernsehjournalistin Birgit Virnich erzählen die Geschichte des ersten Frauendorfes in Afrika.

Kenia zählt in der von Newsweek am 13.September 2011 veröffentlichten Untersuchung zwar nicht zu den 15 Ländern Afrikas, in denen es besser ist, nicht als Frau geboren zu werden. Dennoch - auch in Kenia werden Frauen vergewaltigt (nach Schätzungen von Nichtregierungsorganisationen etwa 16.000 pro Jahr), gedemütigt, bedroht und vom eigenen Land verjagt.

Rebecca Lolosoli, eine Halbnomadin aus dem Norden von Kenia, hat mit der Fernsehjournalistin Birgit Virnich ein Buch über das erste Frauendorf ("Umoya-Gemeinsam") Afrikas geschrieben. Samburu-Männer sehen ihre Frauen traditionell als Besitz an. Misshandlungen werden auch von den Frauen gemäß den Stammessitten für normal gehalten. ("Eine Frau ist wie ein Stock. Wenn er zerbricht, holst du dir einen neuen.")Vergewaltigungsopfer gelten als beschmutzt und werden von den eigenen Familien geächtet und verjagt.

Befreiung von traditionellen Fesseln

Rebecca Lolosoli wurde zur Feministin, bevor sie das Wort überhaupt kannte. Mit großer Willenskraft befreit sie sich mit einigen Leidensgenossinnen von den traditionellen Fesseln und hört auf, sich als Opfer zu fühlen. Sie gründet das Dorf der Frauen "Umoya", in dem Frauen Zuflucht finden, die prügelnde Ehemänner, Zwangsehen oder Genitalverstümmelungen nicht mehr akzeptieren. Die Frauen mussten aber erst lernen, dass häusliche Gewalt ein Unrecht ist.

Das Dorf liegt - etwa 350 km von der Hauptstadt Nairobi entfernt - am Rande des Samburu Nationalparks. Endlich können die Frauen ihr Leben selbst organisieren. Sie haben eine Schule für ihre Kinder gebaut und Lehrer engagiert. Ihnen gehören Vieh und Land. Sie sind geschickte Geschäftsfrauen geworden und können durch den Verkauf von selbstgefertigtem Perlenschmuck an Touristen leben. Ein Campingplatz, einfache Bungalows, ein Restaurant und ein kleines Museum, in dem die Tradition der Samburus präsentiert wird, bringen weitere Einnahmen für die Dorfkasse.

Die Frauen sind gleichberechtigt, leben ohne Angst nach ihren eigenen Regeln und sind zufrieden. Das Frauendorf zeigt, dass Frauen in Afrika weitaus produktiver sind als Männer, wenn sie Zugang zu Bildung und Besitz bekommen.

Frauen haben in Afrika immer noch weniger Rechte

Afrikanische Gesellschaften sind immer noch patriarchalisch organisiert. Männer hatten immer mehr Rechte und Privilegien als Frauen. Der Mann ist - nach althergebrachten Denkweisen - der unumstrittene Chef der Familie, selbst wenn die Frau den täglichen Überlebenskampf organisiert.

In allen afrikanischen Ländern südlich der Sahara hängt aber der Kampf gegen Armut entscheidend von mehr Gleichberechtigung für Frauen ab. In keinem Land der Welt gibt es mehr Frauen in entscheidenden Positionen als in Ruanda (38 Prozent der Minister, 35 Prozent der Senatoren, 53,6 Prozent der Abgeordneten, 40 Prozent der Gouverneure, 36 Prozent der Richter). Das ist einer der Hauptgründe für den Aufstieg des Landes zu einer der fortschrittlichsten Nationen Afrikas.

Rebecca Lolosoli will sich als Gemeinderätin aufstellen lassen. Sie hat erkannt, wie wichtig es ist, dass sie sich weiter engagiert. Sie will spürbar Einfluss auf die Politik nehmen. Sie hat entdeckt, dass sie Rechte hat. Das gewonnene Selbstvertrauen hat ihr die Kraft gegeben, sich zu wehren. Das Buch ist ein fulminantes Plädoyer gegen die allgegenwärtige Unterdrückung afrikanischer Frauen:

Lolosoli/Virnich: ”Mama Mutig”, Südwest, München 2011 ISBN 978-3-517-08713-9