Beitrag vom 06.05.2014
Zollern-Alb-Kurier
Zehren von der glorreichen Vergangenheit
Erneuter Wahlsieg des Afrikanischen Nationalkongresses in Südafrika gilt als sicher - Unmut über Umgang mit Mandelas politischem Erbe wächst aber
Zum fünften Mal seit Ende der Apartheid wählen die Südafrikaner ihre Volksvertreter. Sieger wird trotz aller Probleme im Land erneut der ANC sein - und auch Präsident Jacob Zuma bleibt im Amt.
von WOLFGANG DRECHSLER
Der Schriftsteller Andre Brink sprach von seiner südafrikanischen Heimat einst als einem Ort, an dem man beim Nachdenken über die Zukunft zunächst die eigenen Ängste überwinden müsse. "Auf dem langen Weg, der vor uns liegt", schrieb Brink noch zu Zeiten der Apartheid, "geht es nicht um große Visionen sondern vor allem um ein stilles Zutrauen in die Zukunft des Landes." Wer die Vielfalt und Lebensfreude aber auch die Zerrissenheit und Geschichte des Landes kennt, wird diese Worte besser verstehen.
Spätestens seit dem Tod des Gründervaters Nelson Mandela im Dezember geht es am Kap nicht mehr darum, wie weit Südafrika seit den Tagen der Apartheid gekommen ist, sondern darum, was für ein Land der frühere Rassenstaat künftig sein wird.
Neben der Trauer über den Tod Mandelas hat zuletzt vor allem die Ungewissheit über die Zukunft die nationale Debatte dominiert. Viele Südafrikaner scheinen erst jetzt zu begreifen, dass die Abschaffung der Apartheid vor 20 Jahren der leichtere Teil des Umbruchs war. Als weit schwieriger hat es sich erwiesen, eine erfolgreiche Wirtschaft und effiziente demokratische Institutionen zur Abstützung des gesellschaftlichen Wandels aufzubauen.
Wenn Südafrika am Mittwoch, fast auf den Tag genau 20 Jahre nach der Vereidigung von Nelson Mandela zum ersten schwarzen Staatspräsidenten des Landes, zum fünften Mal an die Wahlurnen geht, werden die Schlangen wartender Menschen viel kürzer als damals sein. Viele Schwarze, vor allem die Mitglieder der Generation der "born frees", die keine Erinnerung mehr an die Apartheid haben, glauben nicht mehr daran, dass eine Wählerstimme viel bewirken kann.
Dass dies so ist, liegt neben der zunehmenden Machtarroganz des regierenden Afrikanischen Nationalkongresses (ANC) daran, dass Südafrika mittlerweile in einer oft bedrückenden Normalität angelangt ist: Die Bürgerkriegsgefahr von einst ist gebannt, die Republik ist eines der reichsten Länder auf dem afrikanischen Kontinent und gilt weltweit als der größte Gold- und Platinproduzent. Trotzdem hat der Staat mit Armut, Arbeitslosigkeit (24,9 Prozent), Kriminalität sowie Aids und einer überbordenden Korruption zu kämpfen. Und statt an Mandelas Versöhnungspolitik festzuhalten, forciert der ANC nun mit rigiden Quoten einen oft umgekehrten Rassismus und diskriminiert offen Weiße.
Die dadurch bedingten Ängste verdecken jedoch genau wie die Verklärung der Zustände, dass Südafrika in den vergangenen Jahren gelernt hat, ohne seinen Gründervater zu leben. Dass es dem ANC bislang nicht gelungen ist, die Verfassung des Landes nachhaltig zu unterminieren, verdankt das Land vor allem seiner lebendigen Bürgergesellschaft, insbesondere den kritischen Medien und der unabhängigen Justiz, darunter einer schwarzen Ombudsfrau, die bei der Aufdeckung politischer Missstände Großes geleistet hat. Zudem ist die Opposition, vor allem die liberale Demokratische Allianz, die die Provinz Westkap mit der Metropole Kapstadt regiert, lebendiger und dynamischer als viele glauben.
Ganz langsam zerspringen auch die alten Rassenschablonen: Nicht nur unter den Weißen sondern gleichfalls unter schwarzen Südafrikanern wächst der Unmut über die ständig neuen Korruptionsvorwürfe gegen Präsident Jacob Zuma und dessen schlechte Führung des Landes.
Trotz seiner Unbeliebtheit und immer neuen Skandale seiner Regierung besteht aber kein Zweifel, dass die meisten Wähler wieder für Zuma und die ANC stimmen werden. Zu stark ist noch immer die Aura der einstigen Befreiungsbewegung, zu sehr ist Nelson Mandelas ANC auch 20 Jahre nach seinem Machtantritt noch immer eine viel zu starke Marke.
Dass diese Marke jedoch zunehmend an Attraktivität verliert, hat der Tod Mandelas gezeigt. Vielen Menschen am Kap ist durch die Trauer um den großen Freiheitskämpfer und sein Erbe schmerzlich bewusst geworden, wie tief das Land unter seinen Nachfolgern in nur einer Generation gefallen ist. In Südafrika selbst herrscht zum 20. Jahrestag der ersten freien Wahl deshalb zwar ein gewisser Stolz auf die junge, fragile Demokratie. Festtagsstimmung, wie der ANC sie vorgaukelt, sucht man jedoch vergebens.
Bezeichnend dafür ist, dass Südafrika auf dem Demokratie-Index des britischen "Economist" zwar auf Platz 31 gleich hinter Frankreich rangiert - aber bei der Bewertung der Zufriedenheit mit dieser Demokratie wie sie der Global Happiness-Index der Vereinten Nationen misst, nur abgeschlagen auf Platz 96 landet.
Die vielen Proteste gegen die zahllosen inkompetenten Stadtverwaltungen am Kap sind ein klares Indiz dafür, dass die schier endlose Geduld der schwarzen Südafrikaner mit ihren Befreiern allmählich zu Ende geht.