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Für eine andere Entwicklungspolitik!

Beitrag vom 19.07.2016

Südwest Presse

Afrika: Ein Kontinent in der Krise

Millionen Menschen sitzen in afrikanischen Ländern auf gepackten Koffern. Der Flüchtlingsstrom wird wachsen, wenn der Kontinent wirtschaftlich nicht auf eigene Beine kommt.

von Wolfgang Drechsler, Kapstadt

Kaum drei Jahre ist es her, da wurde Afrika mit seinen damals zum Teil zweistelligen Wachstumsraten vielerorts zum Hoffnungsträger der lahmenden Weltwirtschaft (v)erklärt. Der 2011 unabhängig gewordene Südsudan lag mit einer prognostizierten Zuwachsrate von mehr als 20 Prozent ganz vorne und wurde als Beispiel für eine Trendwende auf dem Kontinent bejubelt. Allerdings lag der Hauptgrund für das hohe Wachstum fast nirgendwo in einer überfälligen, breiteren Aufstellung der Wirtschaft, sondern allein im Rohstoffhunger der Chinesen. Seit Chinas Wirtschaft stockt, mehren sich die Hiobsbotschaften – und mit ihnen die Zahl der Flüchtlinge. Nun muss die Weltbank wie in Angola oder Mosambik Notkredite vergeben, damit die Staaten ihre Schulden bedienen können.

Gleichzeitig häufen sich die politischen Krisen. Gegenwärtig liefert vor allem der Zerfall des Südsudans ein deprimierendes Beispiel dafür, dass sich in vielen afrikanischen Ländern fast alles nur um den Erhalt der Macht dreht. Die Führer wollen die Macht fast immer völlig unverdünnt und allein für sich und den eigenen Stamm. Die dadurch verursachte politische Stagnation des Kontinents erschwert auch seine wirtschaftliche Genesung. Bezeichnend dafür ist, dass die Hoffnungsträger wegen der ständigen Rückschläge inzwischen etwa alle zehn Jahre wechseln. Galten 1980 noch die „Musterkolonien“ Elfenbeinküste oder Simbabwe als Trendsetter, waren es nach Ende des Kalten Krieges und der Apartheid Länder wie Sambia oder Südafrika. Im 21. Jahrhundert wurden dann Ghana und Nigeria voreilig zu Vorzeigeländern verklärt. Inzwischen sind sie ausgerechnet von zwei Ländern abgelöst worden, die lange als hoffnungslose Fälle galten: das vom Völkermord traumatisierte Ruanda und das einstige Hungerland Äthiopien. Dort wollen die Herrschenden mit Macht ihre Länder vom Agrarstaat in die Moderne katapultieren. Einfach wird dies schon deshalb nicht, weil auch hier eine Mittelklasse fehlt. Die Not der meisten Menschen in Afrika bleibt groß.

Kein Wunder, dass inzwischen Millionen von Schwarzafrikanern auf gepackten Koffern sitzen. Eine Gallup-Umfrage kam kürzlich zu dem Ergebnis, dass allein rund 70 Millionen der fast 180 Millionen Nigerianer sofort nach Norden aufbrechen würden, wenn sie könnten. Die gegenwärtigen Flüchtlingsströme sind deshalb auch nur der Auftakt zu einer immer dramatischeren Entwicklung. Solange sich die Verhältnisse in den Herkunftsländern nicht grundsätzlich ändern, wird der Zustrom kaum aufhören. Umso mehr verwundert, dass die Afrikanische Union (AU), die gerade ihr Jahrestreffen abhielt, nicht einen einzigen Sondergipfel einberufen hat, um etwa die Notlage am südlichen Mittelmeer zu debattieren. Kaum jemand ist dort bereit, eigene Versäumnisse einzugestehen.

Dass die Lage so eskalieren konnte, liegt allerdings auch am langen Rückzug Europas auf sich selbst. Dort gab es jahrelang kaum echte Debatten zu den Brennpunkten dieser Welt. Nur wenige Europäer scheinen zu begreifen, wie verzweifelt die Zustände in vielen Staaten südlich der Sahara sind.

Neben dem systematischen Aufbau von Ausbildungszentren sowie einer nachhaltigeren Bevölkerungspolitik könnte eine Wende zum Besseren womöglich dadurch gelingen, dass mit mehr Handel auch die bislang kaum entwickelte Eigeninitiative in Afrika gestärkt und die fatale Abhängigkeit von Entwicklungshilfe gemindert wird. Denn erst wenn Afrika aus sich heraus eine eigene Dynamik entfaltet, könnten die Flüchtlingsströme irgendwann vielleicht wieder kleiner werden.