Beitrag vom 10.08.2020
FAZ
Tansania
Der Präsident mag Störenfriede nicht
Unter John Magufuli ist Tansania auf dem Weg in die Diktatur. Sein Herausforderer kehrte nun ins Land zurück – nachdem er ein Attentat überlebt hat. Von Thilo Thielke, Kapstadt
Tundu Lissu winkte und lachte, als er im offenen Wagen durch Daressalam gefahren wurde. Um den Hals trug der 52 Jahre alte Politiker eine Blumengirlande und einen Schal seines Heimatlandes. Tausende säumten die Straße vom Flughafen in die Stadt und jubelten dem Heimkehrer zu.
Fast drei Jahre zuvor hatte Lissu Tansania schwerverletzt verlassen müssen. Unbekannte hatten dem prominenten Mitglied der Oppositionspartei Chama cha Demokrasia na Maendeleo (Chadema) auf dem Parkplatz vor dem Parlamentsgebäude aufgelauert und das Feuer auf seinen Wagen eröffnet. Sechzehnmal wurde Lissu an jenem 7. September 2017 getroffen. Er überlebte wie durch ein Wunder, wurde zunächst zur Behandlung nach Nairobi gebracht, später nach Brüssel. Insgesamt 19 Operationen hat er seitdem überstanden. Sechs Kugeln wurden aus seinem Magen entfernt und eine aus der linken Hand. Nur diejenige, die direkt unter seiner Wirbelsäule steckt, konnten die Ärzte nicht entfernen.
Er wisse nicht mehr, wie er damals das Land überhaupt verlassen habe, sagte Lissu jetzt nach seiner triumphalen Rückkehr. Obwohl er „damals nicht hätte überleben sollen“, könne er „mittlerweile laufen und sogar ein bisschen tanzen“. Seine Rückkehr nach Tansania hatte Lissu trotz aller Bedenken bereits vor einem Jahr gegenüber der F.A.Z. angekündigt. „Wir werden die Situation im Land nicht ändern, wenn wir wegrennen“, sagte er damals.
Obwohl die Täter nicht gefasst wurden, zweifelte Lissu nie daran, dass Tansanias Präsident hinter der Tat steckt. Kurz vor dem Anschlag hatte Lissu den seit 2015 regierenden John Magufuli als einen „unbedeutenden Diktator“ bezeichnet. Im Oktober endet die erste Amtszeit des Mannes, den sie in Tansania den „Bulldozer“ nennen. Auch deswegen ist Lissu nun heimgekehrt. Am vergangenen Montag ernannte die Chadema den Rechtsanwalt zu ihrem Präsidentschaftskandidaten.
Dass Tundu Lissu gegen Magufuli eine echte Chance hat, glaubt kaum jemand. Unter dessen Herrschaft befindet sich Tansania auf dem Weg zurück zur Diktatur. In ihrem jährlichen „Demokratieindex“ nennt die Economist Intelligence Unit Magufulis Regierung ein „Hybridregime“: eine Mischung aus Autokratie und Demokratie. Immer wieder werden Medien verboten und Journalisten willkürlich verhaftet. Zuletzt traf es den Online-Sender Kwanza Online TV, dem Anfang Juli wegen angeblich fehlerhafter Berichterstattung über die Corona-Krise für fast ein Jahr die Sendeerlaubnis entzogen wurde. Regelmäßig wird auch die Tageszeitung „The Citizen“ geschlossen.
Besonders gefährlich leben Politiker der Opposition. So misshandelten Angreifer im Juni den Chadema-Parteivorsitzenden Freeman Mbowe, brachen ihm ein Bein und beschimpften ihn als „Störenfried für den Präsidenten“. Vier Monate zuvor war Chadema-Parteisekretär Alex Jonas Hele in der Region Singida auf offener Straße mit Macheten massakriert worden. Demonstrationen werden regelmäßig verboten oder gewaltsam aufgelöst. Von den Kommunalwahlen im vergangenen November sollten 95 Prozent der rund 300000 Kandidaten der Opposition ausgeschlossen werden, sieben Parteien riefen daraufhin zum Boykott auf.
Während der Dekolonialisierung griffen in vielen afrikanischen Ländern sozialistische, oft von Peking oder Moskau finanzierte Bewegungen nach der Macht und gaben sie bis heute nicht ab. So wie in Zimbabwe immer noch die Zanu PF herrscht und in Namibia die Swapo, befindet sich Tansania im festen Griff der „Partei der Revolution“ (Chama Cha Mapinduzi). Sie wurde 1977 gegründet, herrschte bis zur Vereinigung mit der Sansibar-Partei Afro-Shirazi Party allerdings schon seit der Unabhängigkeit Tanganjikas im Jahr 1961 als Tanganyika African National Union über das Land am Kilimandscharo.
Das Bild des ersten Präsidenten, Julius Nyerere, hängt immer noch in allen Amtsstuben – obwohl der als „Mwalimu“ (Lehrer) Verehrte das Land während der 24 Jahre, die er regierte, gründlich ruinierte. Als vermeintlicher Demokrat angetreten, machte er aus Tansania einen Einparteienstaat, enteignete die Bevölkerung und siedelte Millionen Menschen zwangsweise um. Obwohl die Entwicklungshilfe sprudelte, gab Nyerere 1985 mit dem Satz „Ich habe versagt“ die Macht ab. Mühsam leiteten seine Nachfolger Reformen ein. Die Wirtschaft wurde Schritt für Schritt liberalisiert, Investoren traten an die Stelle von Entwicklungshelfern, und 1995 wurde zum ersten Mal demokratisch gewählt. Die Bemühungen zahlten sich aus. Rund zehn Jahre lang verzeichnete Tansania ein Wirtschaftswachstum.
Dann kam Magufuli ans Ruder. Seitdem geht es auch wirtschaftlich bergab. Als 2018 die Preise für Cashew-Kerne, eines der wichtigsten Exportgüter, fielen, ließ er Militärlaster auffahren und die gesamte Ernte einsammeln. Den Bauern versprach Magufuli 65 Prozent mehr als die professionellen Händler geboten hatten. Natürlich fehlte dem Pleitestaat das Geld für diesen Eingriff ins Marktgeschehen. Seit sich die Bauern um die Früchte ihrer Arbeit gebracht fühlen, sind die Ernteerträge um rund dreißig Prozent gesunken.
Nun lässt Magufuli internationale Konzerne mit irrwitzigen Forderungen überziehen. So sollte der Londoner Minenkonzern Acacia-Mining, der in Tansania Gold fördert, für sieben Jahre 190 Milliarden Dollar an Steuern nachzahlen. Schließlich einigte man sich auf 300 Millionen Dollar. Weil kürzlich die Ölpreise stiegen, wurden Ende Juni drei ausländische Ölmanager auf einer Konferenz in Daressalam verhaften. Ein vierter konnte gerade noch rechtzeitig fliehen. Kein Wunder, dass Investoren um das Land zuletzt einen großen Bogen machten. Der Anteil jener, die in extremer Armut leben, stieg derweil, auch wegen des Bevölkerungswachstums, zwischen 2012 und 2018 um 4,5 Millionen Menschen.
Magufuli hat versprochen, die Wahlen würden „frei und fair für alle politischen Parteien“ durchgeführt. Tundu Lissu mag daran nicht glauben. Gegenüber der Nachrichtenagentur AFP sagte er kurz vor seiner Heimkehr: „Ob die Wahlen frei und fair sein werden, ist nicht die Frage; damit rechnen wir gar nicht. Die Frage ist, ob wir noch leben, wenn sie stattfinden.“