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Für eine andere Entwicklungspolitik!

Beitrag vom 22.06.2021

Achgut.com

Grundeinkommen für Namibia?

von Volker Seitz

Seit Jahrzehnten taucht die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens immer mal auf – und verschwindet wieder. Jeder Bürger soll unabhängig von seinem Einkommen oder Vermögen pauschal vom Staat ein Grundeinkommen erhalten. Es liegt deutlich oberhalb des Existenzminimums, und man muss dafür weder arbeiten noch eine andere Leistung erbringen. Das Ersetzen aller Sozialleistungen durch das Grundeinkommen birgt allerdings die Gefahr, dass es dem Staat eine enorme Macht verleiht.

ARTE hat die Debatte mit einer fünf Jahre alten Dokumentation „Komm Komm Grundeinkommen“, gesendet am 15. Juni 2021 (noch bis 22. Juni in der Mediathek), neu befeuert. Tenor: „Menschenrecht ohne Gegenleistung und visionäres Reformprojekt“ sowie „bedingungslos = Weiterentwicklung der Demokratie“.

Als eines der ersten Länder hat Namibia 2008 ein Experiment gestartet. In dem Film von 2016 wird – ohne Erläuterung – behauptet, dass das Projekt die Lebensbedingungen der Teilnehmer „stark verbessert“ habe. Kein Wort davon, dass das Projekt bereits im April 2015 beendet wurde.

Hintergrund: Basic Income Grant (BIG) war ein Projekt der Evangelischen Kirche, von Gewerkschaften und namibischen Unternehmern, und hat mit einem staatlichen Grundeinkommen nichts zu tun. Bis jetzt gibt es in Namibia kein Sozialsystem außer einer kleinen Rente, die Menschen über 60 Jahre zusteht.

Jeder der etwa 1.000 Einwohner des Dorfes Otjivero/Omitara bekam 100 Namibische Dollar (etwa acht Euro) im Monat – ganz ohne Gegenleistung. Ziel des Experiments war es, zu zeigen, dass sich die Bewohner nicht auf dem Geld ausruhen, sondern aktiv werden und in ihre Zukunft investieren.

Projektleiter führten Studie selbst durch
Eine Evaluierung zeigte durchweg positive Ergebnisse: Mehr Kinder gingen regelmäßig zur Schule, mehr Menschen nahmen die Hilfe von Gesundheitsstationen an (beides nicht kostenlos), und es wurden kleine Geschäfte eröffnet.

Die Studie hatte aber einen Haken: Sie wurde von den Projektverantwortlichen vor Ort selbst durchgeführt. Einblick in die gesammelten Daten wurde Externen verwehrt, die genannten Ergebnisse wurden nach nur einem Jahr, teils schon nach nur einem halben Jahr, festgestellt, Nachfolge-Evaluierungen gab und gibt es nicht, manche Ergebnisse sind medizinisch, andere ökonomisch wenig plausibel, Wissenschaftler der Universität von Namibia oder von unabhängigen Wirtschaftsforschungsinstituten wurden nicht einbezogen.

Die schnell vorgelegten Ergebnisse dienten dann dem erneuten Werben für ein landesweites Grundeinkommen. Aber die Regierung zeigte sich wenig beeindruckt. Immerhin wollte sie die von den Projektpromotoren angewandte Methode und die von ihnen berichteten Ergebnisse von einer unabhängigen Kommission überprüfen lassen. Aber eine Einsicht in die gesammelten Projektdaten durch die Kommission ohne Beteiligung der BIG-Promotoren kam für letztere nicht infrage. So wurde aus der Überprüfung nichts.

Die damalige Regierung Namibias beobachtete das Projekt zwar, erhob aber keine eigenen Daten und sprach sich stets gegen ein Grundeinkommen für ganz Namibia aus. Ob das Grundeinkommen als entwicklungspolitisches Instrument wirklich Erfolg hat, hängt vor allem davon ab, wie die nationalen Regierungen (und nicht Milliardäre oder Künstler aus Europa und den USA) diese Idee als wirksame Armutsbekämpfung aufnehmen.

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Volker Seitz war von 1965 bis 2008 in verschiedenen Funktionen für das deutsche Auswärtige Amt tätig, zuletzt als Botschafter in Kamerun, der Zentralafrikanischen Republik und Äquatorialguinea mit Sitz in Jaunde. Er gehört zum Initiativ-Kreis des Bonner Aufrufs zur Reform der Entwicklungshilfe und ist Autor des Bestsellers „Afrika wird armregiert“. Die aktualisierte und erweiterte 11. Auflage erschien am 18. März 2021. Volker Seitz publiziert regelmäßig zu afrikanischen Themen und hält Vorträge (z.B. „Was sagen eigentlich die Afrikaner“ – ein Afrika ABC in Zitaten.)