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Für eine andere Entwicklungspolitik!

Beitrag vom 20.10.2021

NZZ

Der Fall von Chief Erics Imperium: Einst hoffte ein Volk im Nigerdelta, Öl würde es reich machen – nun hofft es auf europäische Richter

Doch Hoffnung war bisher vergebens in Ogoniland – denn da ist der Nigeria-Faktor.

Samuel Misteli (Text)

Wenn Chief Eric Dooh hierherkommt, in sein Dorf, das auf Landkarten nicht mehr verzeichnet ist, schluckt er Tabletten, um besser atmen zu können. Er fährt dann vor, in seinem alten Mercedes, dessen Stern schief steht, und stoppt den Wagen neben einem 200 Meter breiten Streifen, der giftig riecht und giftig glänzt. Der Streifen war einmal ein Fluss, voll mit Mangroven; man habe das andere Ufer nicht sehen können, sagt Chief Eric.

Doch das Öl hat die Mangroven gefressen, ein paar Äste und Strünke liegen verstreut wie Skelette. Dazwischen huschen Krabben, Ölschwaden treiben in Pfützen. Auch vom Dorf ist wenig geblieben: ein paar Ruinen, die langsam von der Vegetation verschlungen werden, und ein paar Fische in verseuchten Teichen.

Chief Eric hat sein traditionelles Gewand übergezogen, der Bändel am Hut baumelt wütend, während der Chief durch das verlassene Dorf schreitet. «Das hier war ein Imperium», sagt er. Es war das Imperium seines Vaters: eine Bäckerei, eine Privatschule, eine Hühner- und eine Ziegenzucht, drei Fischteiche, mehr als siebzig Angestellte. «Der Mann war ein Schwerarbeiter», sagt der Chief über den Vater, «und er hatte Cash in rauen Mengen.»

Das Imperium hiess Goi, es hatte ein paar hundert Einwohner. Es fiel am 10. Oktober 2004, als eine Pipeline barst und während dreier Tage 24 000 Liter Öl in den Fluss goss. Sechs Jahre später stellten die Behörden ein Schild auf in Goi, darauf stand, was für alle zu sehen und zu riechen war: Die Gegend sei verschmutzt. Die Behörden wiesen die Bewohner an, wegzuziehen.

Seither ist Chief Eric ein Thronfolger ohne Reich. Er lebt im Nachbardorf von Goi, verdient Geld als Sekundarlehrer und als Sicherheitsangestellter. Sein Vater starb 2012. Noch vor dem Wegzug aus Goi hatte dieser gegen die Firma geklagt, die die Pipeline betrieb, die Goi zerstörte: Shell. Doch der Fall blieb stecken in Nigerias Gerichten, und der Vater starb.

Nun, fast zwanzig Jahre nach der Verwüstung von Goi, hat Chief Eric Grund, zu hoffen. Ende Januar entschieden Richter am Berufungsgericht in Den Haag, die nigerianische Tochterfirma von Shell hafte für das Leck, das Goi unbewohnbar machte. Juristen, die mehr Verantwortlichkeit von multinationalen Unternehmen fordern, feierten das Urteil als «monumentalen Sieg». Es war das erste Mal, dass ausländische Kläger vor einem höherinstanzlichen Gericht in Europa in einem Konzernhaftungsfall recht erhielten.

Doch Hoffnung gab es immer wieder in Ogoniland, der Gegend im Nigerdelta, in der das Dorf Goi lag. Die Ogoni – so heisst die ethnische Minderheit, die hier wohnt – hofften, dass die Millionen von Fässern Öl, die unter ihrem Land lagen, sie reich machen würden. Sie hofften, dass die nigerianische Regierung sie unterstützen würde, als das Öl nicht Wohlstand brachte, sondern Verwüstung. Und sie hofften, dass nigerianische Richter ihnen Gerechtigkeit verschaffen würden.

Sie hofften immer vergebens. Es ist unklar, ob es diesmal anders sein wird.

«Danger wide load» stand auf den Shell-Trucks

1956 stiessen Shell-Ingenieure erstmals in Nigeria auf Öl, im Dorf Oloibiri, rund 100 Kilometer westlich von Ogoniland. Zwei Jahre später grub Shell das erste von 96 Bohrlöchern in Ogoniland. In den folgenden Jahrzehnten verlegte die Firma in Nigeria über 6000 Kilometer Pipelines und bohrte mehr als 1000 Quellen. Nigeria wurde zum grössten Erdölproduzenten in Afrika, und keine Firma war wichtiger als Shell. Die Erdöleinnahmen machen noch immer die Hälfte der Staatseinnahmen aus, einst waren es 80 Prozent gewesen. Shell fördert 40 Prozent des jährlich in Nigeria produzierten Erdöls, 2020 waren es fast 50 Millionen Fässer.

Pipelines durchziehen Ogoniland wie Adern. Chief Eric war ein Kind, als sie verlegt wurden. Er ist nicht der Einzige hier, der nostalgisch wird, wenn er von den 1960er und 1970er Jahren erzählt.

Die Shell-Mitarbeiter kamen in Land Rovern und in grossen Trucks. Die Trucks transportierten dicke Röhren und hupten laut. Auf den Lastwagen stand: «Danger wide load», und so nannten manche Ogoni die Shell-Mitarbeiter auch: «‹Danger wide load› ist wieder da!»

Die Kinder sammelten Konservenbüchsen, die die weissen Fremden wegwarfen, und schnitten sich die Hände. Sie halfen den Fremden, Säcke zu verladen und die Land Rover zu schieben, wenn diese stecken blieben. «Wir lebten glücklich damals», sagt Chief Eric. Manchmal fuhren sie für Wochen mit dem Boot aufs nahe Meer hinaus und fischten. Sie schliefen im Boot, trockneten den gefangenen Fisch und verkauften ihn später.

Die Ogoni waren Bauern und Fischer. Ihr Land war tropisch grün und fruchtbar, sie pflanzten Cassava und Mais. Palmen und Mangobäume wuchsen. Flüsse kringelten sich durch die Gegend.

Doch die Idylle war vergänglich. Die Adern, die Öl durch die Gegend pumpten, funktionierten unabhängig vom Land, das sie umschloss. In den 1990er Jahren wurde Shell vom Faszinosum zum Feindbild.

Laut offiziellen Zahlen liefen zwischen 1976 und 1991 bei 2976 Lecks mehr als zwei Millionen Fässer Öl in Ogoniland aus. Das waren 40 Prozent aller Lecks bei Shell-Anlagen weltweit. 1990 gründeten Ogoni-Gemeindevertreter das «Movement for the Survival of the Ogoni People» (Mosop). Sie veröffentlichten eine «Bill of Rights» und schrieben: In den vergangenen drei Jahrzehnten sei in Ogoniland Öl im Wert von 30 Milliarden Dollar gefördert worden. Die Ogoni hätten davon nichts gesehen.

Anfang 1993 nahmen 300 000 Ogoni teil an Protesten gegen die Verschmutzung, die Ölfirmen und die nigerianische Regierung. Die Armee marschierte ein, stürmte Dörfer, tötete Hunderte von Ogoni, vertrieb Zehntausende. Shell gab die Förderung von Öl in Ogoniland im selben Jahr auf, betrieb aber die Pipelines weiter.

Und die Röhren lecken weiter. Allein 2021 zählt die zuständige staatliche Behörde bis anhin über 200 Lecks im Nigerdelta. Sie entstehen durch Sabotage und illegales Abzapfen; und weil manche Pipelines alt und rostig sind. Ogoniland ist die am meisten verschmutzte Region in einem Landesteil von Nigeria, der verschmutzt ist wie wenige auf der Welt.

Als das Imperium von Goi fiel

Das Dorf Goi fiel ein Jahrzehnt nachdem sich Shell aus Ogoniland zurückgezogen hatte. Was genau passierte, steht im Urteil, das die niederländischen Richter Ende Januar gefällt haben:

«Am 10. Oktober 2004 spritzte Öl aus einer Pipeline, sie lag eineinhalb Kilometer entfernt von Goi. Die Pipeline war 60 Zentimeter dick, sie war 1964 verlegt worden und lag etwas mehr als einen Meter unter Boden. Das Öl strömte aus einer 46 Zentimeter langen Öffnung, es ist unklar, wie sie entstand.»

Chief Eric erzählt es so:

«Arbeiter meines Vaters riefen mich, sie sagten, Öl fliesse den Fluss hinunter. Ich holte meine Kamera und suchte die Quelle des Lecks. Eine Fontäne spritzte, ich schoss Bilder davon. Dann ging ich zum Polizeiposten, um Alarm zu schlagen. Ich rief den Shell-Mitarbeiter an, der für die Beziehungen zu den Gemeinden zuständig war. Es hiess, er sei nicht da, ich solle eine andere Person anrufen. Shell kam erst, als das Leck schon die ganze Umgebung verschmutzt hatte, sogar den Schrein im Dorf.»

Im Urteil steht:

«Die Meldung wurde am 11. Oktober 2004 durch einen Helikopter bestätigt, der die Stelle des Lecks überflog. Am selben Tag brach in Goi, wohin das Öl inzwischen geflossen war, ein Feuer aus.»

Chief Eric sagt:

«Das Feuer wurde durch eine Bäuerin ausgelöst, die in ihrer Hütte kochte. Das Öl war auf ihr Grundstück geflossen und entzündete sich. Es brannte zwei Tage lang, bis ein starker Regen es wieder löschte. Die Frau flüchtete rechtzeitig.»

Als das Leck nach drei Tagen geschlossen wurde, war Öl auf einer Fläche ausgelaufen, die 50 Fussballfeldern entsprach. Es begann, die Mangroven zu ersticken.

Bevor europäische Richter die Verwüstung von Ogoniland in Urteilen beschrieben, taten es Rechercheure der Vereinten Nationen. Es gibt einen Bericht des Uno-Umweltprogramms (Unep) von 2011, den sie in Ogoniland so häufig zitieren wie die Bibel. Denn er hat mehr dazu beigetragen, den Anliegen der Ogoni Glaubwürdigkeit zu verschaffen, als alle Proteste.

Der Bericht hat 262 Seiten und einen nüchternen Titel: «Umweltprüfung von Ogoniland». Die Rechercheure sammelten 4000 Boden- und Wasserproben, sie lasen 5000 medizinische Berichte und prüften 122 Kilometer Pipelines. Sie schrieben: Der Unterhalt der Pipelines sei mangelhaft, die Mangroven an vielen Orten zerstört, die Lebensqualität von fast einer Million Menschen schwer beeinträchtigt.

Die Berichterstatter schlussfolgerten: Es könne 25 bis 30 Jahre dauern, um Ogoniland zu säubern. Sie empfahlen der nigerianischen Regierung, eine Behörde einzurichten, die mit der Sanierung betraut würde. Ihr Anfangskapital sollte eine Milliarde Dollar sein, finanziert von den Ölfirmen und der Regierung.

Die Behörde gibt es, sie heisst Hyprep (Hydrocarbon Pollution Remediation Project). Sie wurde 2012 gegründet, doch erst 2019 begann sie mit den Sanierungsarbeiten, an zehn Standorten. Man sieht die Orte, wenn man durch Ogoniland fährt: Hinter Zäunen liegen Haufen rotbrauner Erde, ausgehoben mit Baggern. Die Erde wird mit Mikroorganismen versetzt, diese binden die Kohlenwasserstoffe und wandeln sie um in harmlose Nebenprodukte. Später wird die gereinigte Erde zurückgeschaufelt.

Es ist eine der teuersten Reinigungsaktionen der Welt. Und sie ist bisher ein Desaster.

Die Unep, die das Projekt begleitet, schrieb Ende 2019: «Hyprep ist nicht entsprechend aufgestellt, um ein Projekt umzusetzen, das so komplex und umfangreich ist wie die Ogoniland-Sanierung.» Wenn Hyprep im selben Tempo weiterarbeite, werde die Behörde hundert Jahre brauchen, um ihr Fünf-Jahres-Budget zu verwenden.

«Gott hat die Richter die Wahrheit sehen lassen»

Die Gemeinde in Ogoniland, die die Sanierung am dringendsten brauchen würde, heisst Ogale. Die Uno-Berichterstatter schrieben 2011, die Bewohner von Ogale würden Wasser trinken, das Benzol enthalte. Benzol verursacht Krebs. Die gemessene Menge übertraf den von der Weltgesundheitsorganisation festgelegten Maximalwert um das 900-Fache. Auf dem Grundwasser trieb eine 8 Zentimeter dicke Ölschicht.

Ogale hat 50 000 Einwohner und einen König. Der König heisst Okpabi, er ist einer von sechs Königen in Ogoniland, es ist die oberste Stufe der traditionellen Hierarchie.

An diesem Sonntag ist Okpabi unterwegs in die Kirche. Die Klimaanlage bläst kalte Luft durch den Toyota Landcruiser und auf die Sitze mit Louis-Vuitton-Logo. Ein Spiritual läuft im Radio, doch der Fahrer hat auf lautlos gedreht. Das Auto schaukelt durch tiefe Pfützen, und der König sagt: «Wir haben zu viel Fäulnis unter unseren Anführern. Wir haben Unsicherheit hier, Kriminalität, Kidnappings – so sollte es nicht sein.»

Okpabi reist in diesen Wochen durch sein kleines Reich, von Kirche zu Kirche. Er verkündet, dass er das Land symbolisch dem Heiligen Geist übergibt, damit dieser Ogale rettet. Okpabi nennt es seine «partnership mission», es steht so in einem Extrablatt, das er verteilen lässt.

Der Landcruiser stoppt neben einer Kirche – zwei hellblau getünchte Säulen am Eingang, ein Dach aus Wellblech. Eine Menschentraube drängt sich vor das Fenster. Okpabi tupft sich ein bisschen Parfum auf den Hals, greift nach Stock und Zylinder, dann öffnet er die Tür.

Wenn es jemand in der Hand hätte, Ogoniland zu retten, dann eigentlich König Okpabi. Denn auch Okpabi hat einen Prozess gewonnen. Im Februar entschieden Richter am britischen Supreme Court, dass Okpabis Gemeinde in Grossbritannien gegen Shell klagen könne. Es lasse sich plausibel argumentieren, dass Shell für Ölverschmutzung in Ogale haftbar gemacht werden könne. Shell hatte argumentiert, britische Gerichte seien nicht zuständig, die Pipelines in Ogoniland fielen in die Verantwortung der nigerianischen Tochterfirma. Doch wie in Chief Erics Prozess urteilten die Richter, die Muttergesellschaft Royal Dutch Shell habe eine Sorgfaltspflicht, was die Aktivitäten der Tochterfirma betreffe.

Der britische Fall trägt Okpabis Namen, er heisst: «Okpabi and others v Royal Dutch Shell».

Einer von Okpabis Anwälten sagte, das Urteil sei ein Wendepunkt, was die juristische Verantwortung multinationaler Unternehmen betreffe. König Okpabi sagt: «Gott hat die Richter die Wahrheit sehen lassen.»

Okpabi hätte es noch aus einem anderen Grund in der Hand, Ogoniland zu retten: Er sitzt im Aufsichtsrat von Hyprep. Er ist mitverantwortlich für die Sanierung, die nicht vorankommt. Er ist einer der mächtigsten Männer in dieser Gegend, und ein Beispiel dafür, dass es in Ogoniland keine Helden gibt.

Zwei Stunden nachdem die Messe begonnen hat, steht Okpabi mit dem Mikrofon in der Hand vor der Gemeinde. Der Ventilator bläht Okpabis purpurnen Umhang, vor dem König sitzen achtzig Gläubige auf Plastikstühlen, die Männer in bunten Hemden, die Frauen in bestickten Gewändern.

«Es gibt zu viele Lügen hier, zu viel Unterdrückung», sagt Okpabi. «Firmen machen sich auf unserem Land breit, und wir sehen keine Dividenden.» Das Mikrofon quietscht.

«Deshalb geben wir die Gemeinde dem Heiligen Geist zurück, und dann wird sie wieder ein guter Ort sein.»

«Ameeeen», antwortet der Saal, der Pastor ballt die Faust zum Jubel.

«Unsere Kinder werden wieder einen Grund sehen, ein gutes Leben zu leben und grossartige Männer und Frauen zu werden», sagt Okpabi. «Es wird Wohlstand geben hier, Liebe und Eintracht.»

Auf Okpabis kahlem Kopf glänzt Schweiss, seine Augen sind geweitet. Er verspricht der Kirche eine halbe Million Naira zu spenden bis Ende Jahr, das sind 1000 Franken.

Der Pastor trägt ein Ketchup-rotes Gewand, er sagt: «Bye-bye zum Versagen, bye-bye zur Rückständigkeit.» Er dankt Okpabi für seine Weisheit. Er sagt: Der König sei ein Mann Gottes. Wie Moses sei er.

Doch in Ogoniland gibt es keine Propheten. Es gibt nur Mächtige und Ohnmächtige. Und ein paar Ohnmächtige, die mächtig werden.

Die Rolle des Nigeria-Faktors

Auch Okpabi leckte als Kind Konservenbüchsen aus, die die Shell-Mitarbeiter weggeworfen hatten. Er sagt, der einzige hell erleuchtete Ort im Dorf sei damals die Gasflamme der Förderstelle gewesen. «Wir hatten Angst vor den Weissen», sagt Okpabi. «Aber wir liebten sie.»

Nach der Schule ging Okpabi in die Armee, Anfang der 1980er Jahre mit dem Ersparten in die USA. Er studierte Kriminologie in Texas, daneben fuhr er Taxi, er kellnerte, arbeitete für die Fast-Food-Ketten Taco Bell und McDonald’s, er war Sicherheitsangestellter, schliesslich Bewährungshelfer.

Anfang der 1990er kehrte Okpabi zurück in ein verwandeltes Ogoniland. Er war kein König, er war ein Rückkehrer, der sich inmitten der Unruhen eine Existenz als Unternehmer aufbaute. Okpabi war nicht Teil der Proteste, er war nicht einmal ein Verbündeter – denn er arbeitete für den Ölsektor. Seine Firma handelte mit Ersatzteilen, sie stellte Arbeiter zur Verfügung, führte Bauarbeiten aus. Okpabi war auch Berater.

Er suchte die Nähe zur Politik – mit Erfolg: Er wurde Vorsitzender der staatlichen Rundfunkgesellschaft im Teilstaat Rivers, er beriet den Gouverneur bei der Katastrophenhilfe, er stand der Strassenverkehrsbehörde vor. Er trat auch zu Wahlen an und verlor. Er sagt: «Die guten Leute werden selten gewählt in Nigeria.»

Das änderte sich 2008. Okpabi, nun ein vermögender Mann, wurde ein hochrangiger Chief. Er wurde gewählt – so vergeben die Ogoni hohe traditionelle Ämter. Okpabi war nun ein Gewinner in einer Gegend von Verlierern. Er ist es bis heute.

Das Problem mit der Sanierungsbehörde Hyprep, sagt Okpabi, sei das Tempo: Die Behörde sei zu bürokratisch, sie vergebe ihre Aufträge zu langsam.

Andere glauben, dass Hyprep eher an einem sehr nigerianischen Problem krankt: an Korruption. Im Korruptions-Ranking der regierungsunabhängigen Organisation Transparency International lag Nigeria zuletzt auf Rang 149 von 180 Ländern. Niemand in Nigeria glaubt ernsthaft, dass ein Milliardenprojekt wie Hyprep von Korruption verschont bleibt.

Prince Biira, der Präsident der Ogoni-Organisation Mosop, hat einen Begriff für das Problem, er sagt: «Wir sind uns alle bewusst, dass der Nigeria-Faktor eine Rolle spielt.» 360 Millionen Dollar seien bisher an Hyprep geflossen, doch es sei unklar, wofür das Geld verwendet werde. Wo angeblich gereinigt wurde, würden keine Kontrollmessungen durchgeführt; noch immer werde kein sauberes Trinkwasser zur Verfügung gestellt.

Eine nigerianische Zeitung recherchierte, dass nur eine der 16 Firmen, die mit den Sanierungsarbeiten betraut sind, zuvor in diesem Bereich gearbeitet hatte. Stattdessen wiesen die Auftragnehmer Erfahrung im Autohandel auf oder in der Herstellung von Palmölprodukten. Die Firmen tragen Namen wie Amazing Environmental Solutions International Ltd oder Earthpro Unique Integrated Ltd.

Der Mosop-Präsident Prince Biira sagt, seine Organisation werde jene identifizieren, die die Hyprep-Millionen veruntreut hätten, «wir werden sie alle verhaften, so Gott will». Er sagt das, und dann fängt er an zu kichern – als ob es eine allzu verrückte Vorstellung wäre, dass die nigerianische Justiz jene zur Rechenschaft ziehen könnte, die mächtig genug sind, um Millionen verschwinden zu lassen.

Chief Eric will das Imperium wieder errichten
Wer also soll dafür sorgen, dass sich die Hoffnungen in Ogoniland nicht ein weiteres Mal zerschlagen?

Die nigerianische Regierung? Sie hat Ende August angekündigt, in Ogoniland nach drei Jahrzehnten wieder Öl zu fördern. Es sei zum Wohl der Nation und der Ogoni.

Shell? Der Konzern will sein Onshore-Geschäft in Nigeria abstossen. Es heisst, die Lizenzen seien 2,3 Milliarden Dollar wert.

Nigerias Justiz? Ihr Ruf ist in den letzten Jahrzehnten nicht besser geworden.

Also vielleicht doch europäische Richter. In Okpabis Fall könnte es 2023 weitergehen, in Ogale hoffen sie, nicht bis dann warten zu müssen, um sauberes Trinkwasser zu erhalten.

Auch Chief Eric hofft. Seine Anwälte verhandeln mit Shell, er fordert über 100 Millionen Dollar – nicht für sich allein, sondern für ganz Goi.

Als Chief Eric die Überreste von Goi besichtigt, knacken Äste unter seinen Füssen. Er geht vorbei an einem der Teiche, in dem ein paar träge Tilapia schwimmen. Chief Eric will die Fische nicht entfernen, er sagt: «Sie bleiben im Gefängnis, bis diese Sache geregelt ist.»

Dann betritt der Chief die ehemalige Bäckerei. Teile des Dachs sind auf igluförmige Steinöfen gestürzt, gleissendes Licht fällt ein. «Ich werde einen Gasofen kaufen», sagt Chief Eric. «Ich werde ordentliches Brot backen», sagt er und fuchtelt mit seinem Stock durch den zerstörten Raum. «Ich werde Stellen schaffen.» Er will die Hühnerfarm und die Fischteiche wieder herrichten, die Schule wieder aufbauen, vielleicht ein Hotel gründen.

Er will das Imperium des Vaters wieder errichten.