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Beitrag vom 21.01.2022

FAZ

BUNDESWEHR IN MALI

Keine Überflugerlaubnis für deutschen Truppentransporter – naht das Ende des Mali-Einsatzes?
Das Militärregime geht gegen westliche und afrikanische Partner vor. Die Luftwaffe strandet auf den Kanaren

Von Peter Carstens

Der Flug des A400M war eigentlich eine Routineangelegenheit. Am Mittwochnachmittag war der Militärtransporter vom niedersächsischen Wunstorf aus gestartet, dem Standort des Lufttransportge­schwaders 62. An Bord waren 74 Soldaten, die sich seit Monaten auf Mali vorbereitet hatten: Mit Lehrgängen für den Einsatz in der Wüste, Vorbereitungen auf die schwierigen Umstände bei der gefährlichen Mission der Vereinten Nationen (Minusma) und der europäischen Ausbildungsmission (EUTM). Zuletzt mussten sie trotz drei­facher Impfung und aktueller Tests noch zwei Wochen in eine strikte Corona-Quarantäne in abgeschirmten Hotels, unter an­derem in Bonn. Eine Maßnahme, die von manchen auch schon als eher schikanös empfunden werden musste.

Dann endlich ging es los. Doch kurz vor Erreichen des malischen Luftraums grätschte am Abend die malische Militärregierung dazwischen. Sie verbot dem Luftwaffen-Airbus den Überflug. Eigentlich hätte der Transporter auf einem Stützpunkt in Niger landen sollen. Von dort sollte es weiter zum deutschen Camp bei Gao ge­hen. Stattdessen musste die Maschine ge­gen 20 Uhr abdrehen. Da es der A400M nicht mehr vermocht hätte, unbetankt die annähernd 5000 Kilometer zurückzufliegen, wich der Pilot nach Kontakt mit dem Einsatzführungskommando schließlich nach den Kanarischen Inseln vor Westafrika aus und landete auf dem Flughafen Gran Canaria. Soldaten und Besatzung wurden vorerst in Hotels und Appartements der spanischen Ferieninsel untergebracht.

Drohnen und Diplomatie

Stundenlang wurde am Donnerstag versucht, über diplomatische Kanäle sowohl des Verteidigungsministeriums als auch des Auswärtigen Amtes den Vorgang aufzuklären. Was zunächst misslang. Festzustellen war aber, dass es sich offenbar weder um einen Irrtum noch um ein Fehlverhalten niederer Stellen gehandelt hatte. Der Vorgang knüpft nahtlos an die sich seit Mo­naten stetig verschlechternde Lage und zu­nehmend zerrütteten Beziehungen an. Anfang der Woche war bekannt geworden, dass die Militärjunta in Bamako ein Flugverbot für Drohnen und wohl auch für Hubschrauber verhängt hatte. Bei der Bundeswehr in Mali sind solche Aufklärungsdrohnen Teil des Konzepts. Die Reaktion aus Berlin: Deutsche Patrouillen dürfen vorerst nicht mehr aus dem Feldlager bei Gao ausrücken. Auch die Hubschrauber bleiben am Boden, zumindest vorerst. Nach Angaben von Beobachtern hatte Russland die Regierung in Bamako zu diesem Schritt genötigt, um die Beobachtung der russischen Kräfte, teils reguläre, teils Söldner, im Norden des Landes einzuschränken.

Der Konflikt um die Anwesenheit rus­sischer Söldner belastet die Beziehungen schon seit Monaten schwer. Betroffen von der jüngsten Lageverschärfung ist auch die Rettungskette des Mali-Kontingents, denn ohne verlässliche Flugerlaubnis könnte auch der Medizinische Notfalltransporter (MedEvac) aus dem benachbarten Niger nicht mehr nach Gao fliegen. Die Bundeswehr hat aktuell 1277 Soldaten in Mali stationiert, so viele wie in keinem anderen Land.

Der westafrikanische Staat, viele Jahrzehnte lang relativ friedlich und von französischem Einfluss bestimmt, ist seit 2012 immer tiefer in ethnische Konflikte, islamistischen Terror und nun auch noch ein Ringen zwischen westlichen und russischen Kräften geraten. Bamako, Anfang des vorigen Jahrzehnts noch quirlige Stadt am ebenso gewaltigen wie meist gemächlichen Niger-Fluss, ist zum Schauplatz des Ringens zwischen Zivilgesellschaft und Mi­litärs geworden. Derzeit regiert eine Junta unter einem Oberst, dem 39 Jahre alten Assimi Goita. Der Offizier hat zweimal mi­litärische Lehrgänge in Deutschland be­sucht, außerdem etwas Deutsch gelernt. Das ändert allerdings nichts daran, dass die Schwierigkeiten, die das Militärregime nicht nur dem malischen Volk, sondern auch der Bundeswehr bringt, immer größer werden. Der Putsch Goitas im vorigen Jahr war der dritte Staatsstreich des Militärs seit 2012. Kürzlich wurden die angekündigten Wahlen um bis zu fünf Jahre verschoben.

Begonnen hatte alles mit dem Vormarsch einer gemischten Truppe aus rebellischen Tuareg und Islamisten, vor denen die nationale malische Armee floh. Er konnte erst kurz vor der Hauptstadt von rasch eingeflogenen französischen Fallschirmjägern und Fremdenlegionären ge­stoppt werden, die „Operation Seval“. In Bamako putschte unterdessen das Militär, das Land ist seither immer instabiler ge­worden. Eine große, rund 15 000 Mann starke Mission der Vereinten Nationen wurde in immer neue Anschläge und Überfälle verwickelt. Mehr als 250 Blauhelm­soldaten sind seit 2013 gefallen.

In Deutschland wachsen seit Monaten die Bedenken gegen eine Fortsetzung des Einsatzes bei Minusma, aber auch die Teilnahme an der EUTM ist nicht mehr unumstritten. Während die Wehrbeauftragte Eva Högl, die als eine der wenigen Vertreter des Bundestages nach Mali reisen konnte, „gro­ße Fragezeichen“ setzte und eine lange Mängelliste von ihrem Besuch mitbrachte, fasste der frühere SPD-Abgeordnete und stets wohlbedachte Verteidigungspolitiker Fritz Felgentreu am Donnerstag die Sache in einem Twitter-Nachricht so zusammen: „Time to leave“ - Zeit zu gehen.

Auch Militärfachleute raten inzwischen zu äußerster Skepsis. In einer noch nicht veröffentlichten Studie für die Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS) schreibt Philipp Münch: „In Mali ist nach dem dritten Militärputsch seit 2012 ebenso kein gefestigtes politisches Zentrum in Sicht. Es ist nicht erkennbar, dass die wechselnden Regierungen bisher die Korruption begrenzten oder bemüht waren, eine eigene Streitkräfte-Struktur durchzusetzen, die stärker auf die lokalen wirtschaftlichen und personellen Verhältnisse zugeschnitten wäre.“ Ein gefestigtes Zentrum, das auch schon in Afghanistan gefehlt habe, gilt ihm aber als Voraussetzung für erfolgreiche Ertüchtigung örtlicher Streitkräfte.

Münch, Projektleiter an der Bundes­akademie und zuvor Dozent an der Führungsakademie der Bundeswehr, hebt in seiner Arbeit zum „Zusammenbruch der Afghanischen Armee. Folgerungen für den Aufbau von Partnerstreitkräften“ mehrere Parallelen zwischen der Lage am Hindukusch und der in Mali hervor: „Was sind typische Warnzeichen mangelnder poli­tischer Stabilität? Besonders deutlich zeigt ein intensiver innerstaatlicher bewaffneter Konflikt, dass das politische Zentrum heftig umkämpft, also nicht gefestigt ist. Gleiches gilt für häufige, insbesondere gewaltsame Regierungswechsel in jüngster Zeit.“

Hinzu kommen auffällig viele Ministerien, Vetternwirtschaft in den Streitkräften, Korruption im Land und ein zentralistisches Konzept der Armee, das nicht zu den Regional- und Stammesverhältnissen im Land passt, sondern lediglich das Abzweigen ausländischer Gelder erleichtert. All das sieht die BAKS-Studie auch für Mali.

Zudem führen die unübersichtlichen Strukturen zu kulturellem Missverstehen der EU- oder auch der Bundeswehraus­bilder: „Die Ertüchtigenden hingegen können kaum die kulturelle Kompatibilität herstellen, sondern neigen auch aufgrund mangelnden Wissens dazu, ihre eigenen Streitkräftestrukturen zu reproduzieren.“ Die Konsequenz aus Sicht der Militär-Analysten ist recht eindeutig: „Je weniger stabil das politische Zentrum eines Staates ist, umso weniger erfolgversprechend sind die Bemühungen Externer, seine Streitkräfte zu ertüchtigen.“

Die politische Antwort, in schwachen Staaten die Sicherheitskräfte vor Ort zu er­tüchtigen oder gar komplett neu aufzustellen, sei „bisher in fragilen Staaten wenig erfolgreich“, wie der Autor am Beispiel des Irak oder auch früher Vietnams schildert. Man solle sich eher für Wirtschaftshilfe oder Investitionen in politische Bildung und die Unterstützung beim Aufbau des Rechtsstaates entscheiden. Tatsächlich in­vestiert die Bundesregierung massiv in Entwicklungszusammenarbeit.

Doch während sich die Bundeswehr und andere Europäer scheinbar vor den Problemen mit dem Goita-Regime bislang eher wegducken, hat sich das Entwicklungshilfeministerium bereits unter dem Vorgänger der nunmehr amtierenden Svenja Schulze (SPD) deutlich von der Kooperation mit dem Regime in Bamako distanziert. Seit dem Putsch im August 2020 – also dem vorletzten – arbeite man nur noch „regierungsfern“. Laufende Programme würden nicht mit der Übergangsregierung, sondern mit privaten Firmen, der Bevölkerung vor Ort und lokalen Partnern abgewickelt. Vor dem nächsten Putsch habe man allerdings in Regierungsverhandlungen noch 69 Millionen Euro zugesagt. Klar gestellt wird von Schulzes Haus aber auch: „Von den neu zugesagten Mitteln wurde bisher nichts aus­gezahlt. Es wurden keine neuen Vorhaben gestartet. Voraussetzung für die weitere Zusammenarbeit ist, dass bis März 2022 freie und faire Wahlen in Mali stattfinden.“

Im Verteidigungsministerium, diplomatisch eher zweitrangig, ist man von solcher Klarheit noch weit entfernt. Die neue Mi­nisterin plant für demnächst ihre erste Reise in das Land und orientiert sich noch. Der Vorfall mit dem deutschen Militärtransport hat den politischen Spielraum verengt. Allerdings muss Christine Lam­brecht (SPD) Rücksicht auf das in Mali stark engagierte Frankreich nehmen.

Das gilt insbesondere, seit Lambrecht gleich während ihrer ersten Amtswochen das bereits fest geschnürte Tornado-Nachfolgepaket wieder geöffnet hatte, was Paris um die Zukunft des deutsch-französischen Flugzeugprojekts der nächsten Generation fürchten lässt. Besorgte Anrufe in Berlin waren sofortige Folge der Lambrecht-Äußerungen. Ein Abzug aus Mali ohne deutsch-französisches Einvernehmen kä­me da sehr unpassend. Bundesregierung und Bundestag müssen bald entscheiden, En­de Mai läuft das aktuelle Mandat aus.