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Beitrag vom 29.01.2022

Zeit Online

Schulen in Uganda

"13-jährige Mädchen sind jetzt schwanger oder verheiratet"

Zwei Jahre waren die Kinder in Uganda nicht in der Schule. Collin Naguyo ist Lehrer und befürchtet, dass noch mehr Jugendliche der Schule fernbleiben werden.

Interview: Parvin Sadigh

In Uganda waren die Schulen wegen Corona besonders lange geschlossen – 83 Wochen, also fast zwei Jahre lang. Etwa 15 Millionen Schülerinnen und Schüler sind im Januar in die Schulen zurückgekehrt. Doch etliche kommen nicht wieder. Collin Naguyo, 32, ist Biologielehrer in Kampala an zwei weiterführenden Schulen. Im Videogespräch erklärt er, warum in seinen Klassen vor allem die Mädchen fehlen.

ZEIT ONLINE: Herr Naguyo, wie haben Sie selbst die Zeit der Schulschließungen verbracht?

Collin Naguyo: Ich arbeite wie die meisten Lehrkräfte in Uganda an mehreren Schulen. Ich unterrichte an einer privaten und einer staatlichen. Außerdem kaufe ich nebenbei Mais von Bauern auf und verkaufe es wieder in Kampala. Während der Schulschließungen wurde das zu meiner Haupttätigkeit. Aber es war hart, die Maispreise sind gefallen.

ZEIT ONLINE: Das heißt, Sie haben Ihre Schüler fast zwei Jahre nicht gesehen?

Naguyo: Mit den meisten habe ich komplett den Kontakt verloren. Wenige Abschlussklassen durften zwischen März und September 2020 unterrichtet werden. Ab April 2021 sollten die nächsten folgen, aber dann kam die nächste Corona-Welle und die Schulen waren wieder zu. Die Jugendlichen konnten gerade mal zwei Wochen die Schule besuchen.

ZEIT ONLINE: Onlineunterricht gab es also nicht.

Naguyo: Nur sehr wenige Schulen in Kampala haben Onlineunterricht angeboten, sogar mit regulärem Stundenplan. Meine Schulen hatten dazu nicht die Mittel und die meisten Kinder verfügen zu Hause nicht über einen Internetanschluss. Zwar haben sich die Eltern von fünf Schülern aus der Privatschule zusammengetan und Onlineunterricht organisiert und bezahlt. Es sind aber 50 bis 60 Schüler in einer Klasse. Immerhin hat das Fernsehen Unterricht ausgestrahlt, aber den konnten in der Regel nur Kinder in den größeren Städten anschauen.

ZEIT ONLINE: Wie erleben Sie die Jugendlichen jetzt?

Naguyo: Viele haben sich sehr verändert. Sie sind nicht nur körperlich groß, sie sind auch frühzeitig erwachsen geworden. Viele mussten arbeiten, sie haben selbst Geld verdient. Ich sehe eine große Gruppe von Schülern, die jetzt glaubt, lernen sei nicht so wichtig. Ein 17-Jähriger etwa, dessen Familie eine Maismühle hat, war die ganze Zeit mein Kollege. Jetzt soll er wieder Schuluniform tragen und sich von mir unterrichten lassen, kein Geld verdienen. Ich fürchte, neben den vielen, die jetzt schon nicht wiedergekommen sind, werden noch weitere Jugendliche die Schule aufgeben. Ich hoffe, dass ich diesen einen Jungen überzeugt habe, zu bleiben, weil ich ihm erklärt habe, statt Verkäufer zu sein, könnte er Vorarbeiter oder Berater werden, wenn er einen Abschluss hat.

ZEIT ONLINE: Und die anderen?

Naguyo: Die andere große Gruppe ist sehr froh, endlich wieder lernen zu dürfen. Die meisten Mädchen gehören dazu. Die Schule in Uganda ist oft als Internat organisiert. Die Kinder bleiben für drei Monate dort und haben einen geschützten Raum. Während der Schulschließungen zu Hause und bei der Arbeit wurden viele Mädchen – oft von älteren Männern – zum Sex genötigt. Vor allem in den ländlichen Gebieten klären die Eltern ihre Töchter sexuell nicht auf. Deshalb sind viele Mädchen, auch wenn der Sex einvernehmlich war, schwanger geworden und kommen nun gar nicht zurück in die Schule. Andere wurden von ihren Familien früher verheiratet als sonst. Wenn eine Familie zehn Kinder hat, ist sie froh, ein Mädchen bei einem Mann versorgt zu wissen, damit sie es sich leisten kann, die anderen in die Schule zu schicken. Die Pandemie hat ihre Situation enorm verschärft. Ich kenne 13-jährige Mädchen, die jetzt entweder schwanger oder verheiratet sind.

Lehrer müssen besser bezahlt werden, damit sie sich mehr engagieren

ZEIT ONLINE: Nach zwei Jahren ohne Schule – wie sieht es mit dem Lernstoff aus?

Naguyo: 90 Prozent der Schüler und Schülerinnen haben nicht nur Schulstoff verpasst, sie haben viel von dem verlernt, was sie schon wussten. Das wird eine Riesenherausforderung. Wir müssen ganz weit zurückgehen im Stoff, viel wiederholen, bevor wir vorangehen können.

ZEIT ONLINE: Das heißt, eigentlich müssten alle Kinder die Klassen wiederholen?

Naguyo: Das ist das nächste Problem. Die Schulbehörde hat beschlossen, dass alle Schüler und Schülerinnen automatisch versetzt werden. Das heißt, wir müssen gleichzeitig nachholen und den aktuellen Stoff durchnehmen. Der Stoff wurde nicht einmal reduziert. Ich glaube, es wird sehr lange dauern, ich schätze vier Jahre, um wieder einen normalen Lernstand herzustellen. Den Nachteil werden die haben, die bald Prüfungen ablegen müssen.

ZEIT ONLINE: Bekommen Sie Hilfe vom Staat?

Naguyo: Immerhin wurde beschlossen, dass auch schwangere Mädchen zur Schule gehen sollen. Aber es gibt nicht mehr Geld oder Pädagogen. Was helfen würde, wäre eine bessere Bezahlung. Lehrer und Lehrerinnen verdienen sehr schlecht in Uganda und sind deshalb nicht besonders engagiert. Sie haben wie ich meistens noch einen anderen Job. Aber die Kinder bräuchten jetzt besonders großen Einsatz der Lehrkräfte.

ZEIT ONLINE: Gibt es etwas, das Ihnen Hoffnung macht?

Naguyo: Ja, die Schulbehörde hat noch vor der Pandemie ein neues Curriculum beschlossen. Darin geht es viel mehr als bisher darum, Probleme zu lösen. Statt ausschließlich auswendig zu lernen, zu schreiben und zu lesen, arbeiten Schüler und Schülerinnen auch in Projekten, etwa zu Ernährung oder zum Unternehmertum. Ich halte das für einen großen Vorteil, um die Schüler zu motivieren, weiter zu lernen. Sie erkennen besser, was sie davon haben, weiter zur Schule zu gehen und sie lernen, selbstständig zu arbeiten.