Beitrag vom 12.06.2022
FAZ
In Simbabwe heißt Widerstand leisten zu bleiben
VON TOBIAS RÜTHER
Die Schriftstellerin Tsitsi Dangarembga steht in ihrer Heimat Simbabwe vor Gericht. Jetzt ist sie erst einmal nach Europa geflogen. Das Urteil wird Ende Juni gefällt. Ihren Protest gibt die Friedenspreisträgerin nicht auf.
Donnerstagmittag dieser Woche, zwölf Uhr, die simbabwische Autorin Tsitsi Dangarembga hat es am Flughafen von Harare durch die Passkontrolle geschafft und ist eingecheckt auf ihren Flug Richtung Europa. Deswegen ist Dangarembgas deutsche Verlegerin, Annette Michael, etwas entspannter: Aber durchatmen, sagt sie am Telefon, werde sie erst, wenn das Flugzeug auch wirklich in der Luft ist. Und zwar mit Tsitsi Dangarembga an Bord.
Über Johannesburg soll die Reise für die Autorin erst nach Oslo gehen und am Montag weiter nach Berlin, wo Dangarembga mit ihrem Mann und einer der gemeinsamen Töchter zusammentreffen und im Literarischen Colloquium unterkommen wird. Ihr Mann, der Filmproduzent Olaf Koschke, bestätigt etwas später per Whatsapp aus Harare, dass seine Frau tatsächlich abgeflogen ist. Sie sei guten Mutes, schreibt er, auch dank der bislang gezeigten Solidarität. Aber der Stress sei groß und die Unsicherheit bleibe, wie es nun weitergeht.
Denn Tsitsi Dangarembga, international gefeierte Autorin und im letzten Jahr Friedenspreisträgerin des Deutschen Buchhandels, steht in ihrer Heimat Simbabwe vor Gericht. Die Anklage lautet, sie habe zu Gewalt aufgerufen, ihr wird Störung des Friedens und Bigotterie vorgeworfen: Am 31. Juli 2020 war Dangarembga gemeinsam mit der Aktivistin Julie Barnes auf einer Demonstration in Harare festgenommen worden.
Die beiden hatten sich einem größeren Protest in der Hauptstadt angeschlossen, bei dem vor allem gegen die verheerende Corona-Politik des autoritären Staatspräsidenten Emmerson Mnangagwa protestiert werden sollte. Dangarembga und Barnes hatten auf ihren Plakaten institutionelle Reformen gefordert, die Freilassung eingesperrter Journalistinnen und Journalisten – und schlicht und einfach „ein besseres Simbabwe“ verlangt.
Die Polizei hatte damals die Stadt weiträumig abzuriegeln versucht und auch andere festgesetzt, die zum Demonstrieren gekommen waren, Simbabwe befindet sich seit Jahrzehnten in einer politischen und wirtschaftlichen Dauerkrise. Fotos zeigen, wie Dangarembga und Barnes auf einen Polizeitransporter verfrachtet werden. Drei Tage zuvor war Dangarembgas Roman „This Mournable Body“ („Überleben“) für den Booker Prize nominiert worden. Ihre autobiographisch gefärbten Geschichten erzählen vom Alltagskampf weiblicher Figuren in Simbabwe, vom Bleiben, Durchbeißen und Weggehen – und sind Schullektüre. Dangarembga ist ein Literaturstar in ihrem Heimatland.
Seit diesem 31. Juli 2020 hatte sich die Autorin jetzt aber regelmäßig bei der Polizei melden müssen. Auch ihren Pass musste Dangarembga abgeben, bekam ihn aber dank des Einsatzes ihres Anwalts Christopher Mhike im Dezember 2021 wieder zurück. Mhike vertritt immer wieder in ähnlichen Fällen Angeklagte, die öffentlich gegen die Missstände in Simbabwe protestieren oder über sie berichten, und denen mit fadenscheinigen Begründungen der Prozess gemacht wird. Der gegen Dangarembga und Barnes war fast zwei Jahre lang immer wieder vertagt worden – bis er dann Anfang Juni jetzt doch begann.
Manipulierte Beweisstücke, einknickende Zeugen
Drei Prozesstage folgten seither, an denen die Staatsanwaltschaft manipulierte Beweisstücke präsentierte und Zeugen der Anklage diese Manipulation sogar bestätigten. Einer der Polizisten, die Dangarembga und Barnes damals verhafteten, zerlegte sich im Kreuzverhör mit Anwalt Mhike selbst und erklärte, dass auf den Plakaten der beiden Frauen nichts obszön gewesen sei oder zur Gewalt aufgerufen habe, so weit er sich daran überhaupt erinnern könne. Der Inspektor sagte dann noch, dass sich die beiden Frauen friedlich gezeigt und auch niemanden anderes angestachelt hätten – und dass nichts daran illegal sei, für eine bessere Gesellschaft oder Pressefreiheit einzutreten.
Die Illegitimität dieses Verfahrens war schon vor dem ersten Prozesstag offenbar gewesen, jetzt wurde es grotesk. Das Urteil soll am 27. Juni gesprochen werden. Es droht immer noch eine mehrjährige Haftstrafe für beide Frauen. Beide dürfen derzeit zu ihrem Fall nichts öffentlich sagen, so sieht es das Gesetz vor – beide aber äußern sich auf Twitter trotzdem weiter zu den katastrophalen Missständen und Menschenrechtsverletzungen in ihrem Heimatland. Weisen auf Vermisstenfälle prominenter Aktivistinnen hin. Verlinken Beiträge, in denen es um den unbezahlbaren Preis für einen Laib Brot geht, der momentan bei fast zwei US-Dollar liegt. Oder um die himmelschreienden Zustände in den Gefängnissen und Krankenhäusern Simbabwes. Dangarembga und Barnes äußern sich vielleicht nicht zu ihrem Prozess, aber sie schweigen trotzdem nicht.
Hinter Gerichtsprozessen wie diesem steckt nach Ansicht von Experten die Absicht des Regimes, oppositionelle Kräfte einzuschüchtern und zu zermürben, kritische Stimmen zum Verstummen zu bringen, sie auch finanziell zu schädigen: Für frei arbeitende Journalistinnen und Journalisten beispielsweise ist jeder Tag, an dem sie sich auf einen Prozess vorbereiten oder vor Gericht erscheinen, ein Tag, an dem sie nicht gearbeitet haben.
Auch Olaf Koschke berichtet vom großen Stress, dem seine Frau derzeit ausgesetzt ist: „Sie verbringt viel ungeplante Zeit mit den Prozesstagen und der Vorbereitung, es bleibt viel von ihrer eigentlichen Arbeit liegen: Die Fertigstellung ihres neues Essaybandes drängt, der im August bei Faber vorgestellt wird.“ Das ist der britische Verlag Dangarembgas, auf Deutsch erscheinen ihre Romane beim Berliner Verlag Orlanda, der Dangarembgas Debütroman „Aufbrechen“, jahrelang auf Deutsch vergriffen, vor einiger Zeit wieder aufgelegt hat.
„Und dann ist da natürlich eine große Unsicherheit, wie sich der Prozess noch weiterentwickeln kann“, sagt Koschke. Aber trotzdem twittert sie weiter gegen die Verhältnisse unter Präsident Mnangagwa an? „Wissen Sie“, antwortet Olaf Koschke da, „es gibt so viele Menschen aus allen Bereichen, auch viele Akademiker oder Journalisten, die es als ihre Pflicht ansehen, die Kleptokratie und Selbstherrlichkeit der Militärdiktatur hier anzuprangern. Da kann und will meine Frau nicht zurückstehen.“
Den Prozess gegen Barnes und Dangarembga beobachtet die deutsche Friedrich-Naumann-Stiftung, die sich in Simbabwe in der politischen Bildung engagiert – und eine Mitarbeiterin ins Gericht geschickt hat, Fungisai Sithole, deren Berichte die Farce in Worte fassen. Dass eine international so renommierte Autorin in ihrer Heimat der Prozess gemacht wird, hat im Rest der Welt für große Aufmerksamkeit gesorgt – in Simbabwe selbst sind solche Verfahren Alltag, erklärt Barbara Groeblinghoff, die Leiterin der Naumann-Niederlassung in Harare. Und dass aber ein Prozess gegen eine Prominente wie Tsitsi Dangarembga auch ein Signal an die übrige Bevölkerung sei, sich besser zu überlegen, was man sich traut – wenn doch schon so ein Star wie Dangarembga nicht davor gefeit ist, im Gefängnis landen zu können.
Das Regime will durchgreifen und hat es nicht im Griff
Der Prozess zeige jedoch zugleich, wie das Regime nach all den Jahren der Dauerkrise zwar versuche, hart durchzugreifen, aber eben nicht in der Lage sei, alles im Griff zu haben – was den Auftritt des Polizei-Inspektors am dritten Prozesstag erkläre, der unvorbereitet und überfordert vor den Fragen des Anwalts Christopher Mhike einknickte. Das Regime verschärfe zwar Gesetze, die es dann aber nicht konsequent anwenden könne, weil die Ressourcen dazu fehlten. Dass es aber deswegen trotzdem irgendwie immer noch rechtsstaatlich zugehe in Simbabwe, darauf könne man sich nicht verlassen. Tsitsi Dangarembgas Rolle als international bekannte Schriftstellerin biete ihr zwar einen gewissen Schutz, mache sie aber auch angreifbar für Diffamierung.
„Tsitsi Dangarembga wird immer mehr zu einem Vorbild für mich. Sie ist furchtlos und absolut unerschrocken, wenn es darum geht, für die Wahrheit einzutreten“, erklärt die Bachmann-Preisträgerin Sharon Dodua Otoo gegenüber der F.A.S., Otoo hatte sofort nach Bekanntwerden des Prozessbeginns in den sozialen Medien dazu aufgerufen, maximal aufmerksam zu verfolgen, was passiert.
„Die internationale Gemeinschaft muss sich in diesen Zeiten mit Tsitsi Dangarembga solidarisch zeigen“, fügt sie dann noch an, „denn hier geht es ausdrücklich darum, die Meinungsfreiheit zu verteidigen. Vielleicht ist dies die erste große Bewährungsprobe für die beiden PEN-Organisationen in Deutschland seit ihrem sehr öffentlichen Konflikt? Können sie sich in dieser dringenden Angelegenheit zusammenschließen und Tsitsi Dangarembga in ihrer Not unterstützen? Ich hoffe es sehr.“
Gerade junge Frauen begehren gegen die Verhältnisse auf
Dass es um eine Schriftstellerin geht, der hier der Prozess gemacht werde, um sie einzuschüchtern und zum Verstummen zu bringen, sei kein Zufall, sagt Barbara Groeblinghoff von der Naumann-Stiftung, die seit Mitte der Achtzigerjahre im südlichen Afrika lebt und vor allem die rechtspolitische Entwicklung in den dortigen Staaten verfolgt. Simbabwe sei ein zutiefst patriarchalisch geprägter Staat – was aber dazu führe, dass es gerade junge Frauen seien, die gegen die Verhältnisse aufbegehren, weil sie nichts zu verlieren hätten. Im Mai des Jahres 2020, waren drei junge Oppositionspolitikerinnen auf einer Demonstration in Harare verschleppt und vergewaltigt worden, nur Wochen vor der Verhaftung von Barnes und Dangarembga.
Tsitsi Dangarembga hat in ihren Romanen von Frauen berichtet, die im Kampf, ein selbstbestimmtes Leben zu führen, irgendwann aber doch ihr Land verlassen, um es anderswo zu versuchen: Es ist auch, jedenfalls in Teilen, ihre eigene Geschichte. Und die ihrer Kollegin NoViolet Bulawayo, die inzwischen in Stanford lebt und vor bald zehn Jahren in ihrem epochalen Roman „Wir brauchen neue Namen“ davon erzählt hat. Die Bedeutung solcher Autorinnen, die zwischen den Welten hin- und herwechseln, sei für die Zivilgesellschaft Simbabwes gar nicht hoch genug zu bemessen, sagt Barbara Groeblinghoff: Weil sie Erfahrung sammelten und teilten.
Widerstand durch Dableiben
Dass es im Kalkül des Regimes liegt, Tsitsi Dangarembga könne ihre Heimat für immer verlassen, ist plausibel. „Wir wissen nicht genau, wie wir ihre zukünftigen Engagements planen können“, sagt Olaf Koschke, „und das scheint ja wohl auch genau die Absicht des Regimes hier zu sein, Kritiker mit möglichst viel Unsicherheit zu überziehen.“ Falls Tsitsi Dangarembga freigesprochen wird, sagt auch Barbara Groeblinghoff von der Naumann-Stiftung, „aber anschließend erklärt, dass sie in Simbabwe bleiben und nicht ins Exil gehen wird: Dann ist das die größte Form des Widerstands.“ Am 27. Juni um 11.15 Uhr wird das Urteil gefällt.