Beitrag vom 17.06.2022
NZZ
In Uganda sind Zwillinge etwas Besonderes
Man sagt in Uganda, dass Zwillinge Glück brächten und besondere Fähigkeiten besässen. Deshalb haben sie einen ganz besonderen Stellenwert. Es gibt sogar ein Twins Festival, und den Zwillingskult will man als Markenzeichen des Landes propagieren.
Felix Lill
Zwillinge, heisst es in Uganda, dürfe man nicht reizen, sonst könne einem Böses widerfahren. Man solle sie ehren. Ihre vereinte Kraft und die oft schier telepathische Verbindung, die sie zueinander haben, sind nicht nur für die Ehe der Eltern ein Segen. Wer ihr Wohlwollen geniesst, gilt im Leben generell als Sieger. Entsprechend ist in diesem ostafrikanischen 46-Millionen-Land der Zwillingskult weit verbreitet. Er stammt aus der vorkolonialen Zeit und ist älter als die Liebe der Menschen zu Fussball oder schwarzem Tee.
Barbara und Brenda Makumbi führen auf dem als «National Arts and Crafts Village» bekannten Marktplatz im Zentrum von Kampala einen Laden, eng behängt mit Souvenirs, Accessoires, Taschen und Körben. «In unserem Land sagt man Zwillingen nach, dass sie eine schützende Wirkung ausüben könnten», erklärt Brenda, die ein Spiegelbild ihrer Schwester Barbara ist: die gleichen Gesichtszüge, die gleiche Statur, das gleiche schulterlange Haar und die gleiche verspiegelte Sonnenbrille. Sogar das gleiche Kleid tragen die beiden, die eine in Beige, die andere in Türkis. Die 36-jährigen Schwestern aus Kampala pflegen ihr Zwillingsein.
Mondpreis für eine Skulptur
Der Bestseller im Geschäft von Barbara und Brenda Makumbi ist eine geschnitzte Zwillingsskulptur aus Hartholz. «Etwas vom wenigen, was auch in der Pandemie schnell verkauft wurde», sagt Barbara. Das hüfthohe Kunstwerk stellt eine Mutter dar, die links und rechts zwei kleine, sich zum Verwechseln ähnelnde Kinder auf dem Arm hält. Für 480 000 Shilling (rund 130 Franken) wird es verkauft. In Uganda, wo das durchschnittliche Jahreseinkommen kaum 1000 Franken erreicht, ist das ein Mondpreis.
«Solche Skulpturen sind hier etwas Besonderes», beteuert Barbara, klopft den auf dem Marktplatz allgegenwärtigen orangen Sandstaub von ihrem türkisfarbenen Kleid und grinst. «Und wenn man so ein Objekt hier bei uns kauft, ist es ja wohl erst recht speziell.» Sie umgreift ihre Schwester Brenda, drückt sie an sich, ehe diese spiegelverkehrt das Gleiche tut. «Stellen Sie sich vor, Sie kaufen eine Zwillingsskulptur in einem Geschäft, das von Zwillingen geführt wird!» Das müsse doch doppelt Glück bringen. Kaum irgendwo auf der Welt ergäbe so eine Aussage viel Sinn. In Uganda schon.
Drei Kilometer weiter nördlich, im Viertel Kitante, liegt das Uganda Museum. Es zeigt hauptsächlich Zeugnisse des kulturellen Erbes Ugandas. «Hier sehen wir eine Schale, in welche die Menschen schon vor Jahrhunderten Gaben gelegt haben», erklärt Hope, die Besucherinnen und Besucher durch die Räume führt. Sie zeigt auf einen flachen Korb aus Bast. «Wenn jemand im Dorf Zwillinge zur Welt brachte, legten die Nachbarn Geld in diese Schale.»
Der Behälter wurde dann unter das Bett der Neugeborenen gestellt. Das Geld darin durfte niemand anrühren. Wenn doch, drohte dem Übeltäter Unglück. Hope, die selbst aus einem Dorf in der Region Buganda stammt, erklärt die Hintergründe. «Die Gefahr, dass sich die Eltern an den Gaben bereichern, bestand nie. Sie werden ja beschenkt, indem sie Zwillinge haben.» Eine Frau, die Zwillinge zur Welt bringt, erhält den Ehrentitel Nalongo, der Vater wird zum Salongo. «Manchmal bete ich, dass ich auch eine Nalongo werde», gesteht Hope und lächelt. Bei Gebeten sei dies ein üblicher Wunsch.
Auf den ersten Blick haben Touristen, die Uganda besuchen, wenig Grund, in der Hauptstadt Kampala zu bleiben. Die Strassen sind holprig und staubig und durch die überall präsenten Strassenprediger überdies lärmig. Die Sehenswürdigkeiten des Landes finden sich anderswo: Kampala hat zwar einen Küstenstreifen am Viktoriasee, dem zweitgrössten Süsswassersee der Welt. Aber ruhiger, pittoresker ist dessen Ufer im westlich gelegenen Entebbe. Und wer Ugandas artenreiche Flora und Fauna sucht, fährt 370 Kilometer westwärts in den Queen Elizabeth National Park.
Kampalas Charme ist subtiler. Er findet sich in der Freundlichkeit seiner Menschen und eben in den besonderen Dingen, welche diese würdigen und feiern. Sieben Kilometer nördlich vom Nationalmuseum etwa führt ein Mann namens Carlos die «Twins Bar», eine schmucklose Gaststätte, die günstige Betten anbietet, Bier und das Gericht «Rolex»: ein Wrap mit Eiern. Ausserdem gibt es getrocknete Grashüpfer oder Flugameisen.
«Der Vorbesitzer, der diesen Laden gegründet hat, war ein Salongo», erklärt Carlos mit respektvollem Ton. «Deswegen nannte er ihn ‹Twins Bar›.» Carlos hat zwar keine Zwillinge, schmückt sich aber mit dem Titel. «Jede Andeutung in die Richtung kommt gut an!» Auch anderswo in Kampala geben sich Bars, Restaurants oder Cafés gern einen entsprechenden Namenszusatz. Und überall hört man die gleiche Begründung: Man wolle Glück für sich, sein Geschäft und die Kunden.
Gerade im afrikanischen Kontext ist das Ausmass bemerkenswert, in dem die Ugander ihren Zwillingen huldigen. Anderswo, etwa in gewissen Gegenden Nigerias, werden diese bis heute als schlechtes Omen angesehen, manchmal sogar getötet. In Teilen des Inselstaats Madagaskar erwartet man von der Mutter, sich für einen der Zwillinge zu entscheiden und den anderen zu verlassen, um Unheil von der Gemeinde abzuwenden. Auch in Kenya gelten Zwillinge mancherorts als Fluch.
Das Zwillingsfestival ist populär
In Uganda scheint man dagegen der Meinung zu sein, Zwillinge könnten das ganze Land in neue Höhen treiben. Seit 2016 steigt am östlichen Rand von Kampala, im 42 000 Zuschauer fassenden Namboole-Stadion, jährlich das Twins Festival. Was mit 19 Geschwisterpärchen begann, hatte schon im Jahr 2018 mehr als 6000 Teilnehmende. Es kamen eineiige wie zweieiige Zwillinge aus ganz Uganda, aber auch aus Tansania, Kenya und Simbabwe.
Das Fest, das sich über einen Tag erstreckt, wird live im Fernsehen übertragen. Das Publikum feuert alte und junge Zwillinge bei Gesangs- und Tanzwettbewerben an, bestaunt sie beim Catwalk oder hört zu, wie sie Interviews über ihr Leben geben und Witze erzählen. Auch Covid-19 konnte das Festival nicht ganz totkriegen: Es wanderte in den digitalen Raum. Aber jetzt, wo das Ende der Pandemie nahe scheint, soll es grösser werden als je zuvor.
«Diesen August soll es wieder in Präsenz stattfinden», sagt Barbara Kaija, Chefredaktorin von «New Vision», einer führenden staatseigenen Zeitung. Die ältere Frau, die ihre Haare raspelkurz trägt, hatte vor einigen Jahren die Idee für das Festival. Im Moment laufen die Planungen für eine neue Ausgabe. Man wolle diverser werden, internationaler, zugleich aber universeller. «Das Festival soll eine Wertschätzung der Zwillinge sein, gutes Entertainment bieten und einen interkulturellen Austausch.»
«Als Kind war ich immer ein bisschen neidisch auf die Zwillinge in meiner Klasse», gesteht die Journalistin und schmunzelt, als sie sich hinter ihren Schreibtisch gesetzt hat. «Wenn sie laut waren, wurden sie nie zur Ordnung gerufen. Aber wir Kinder haben das verstanden. Sie verdienten ja eine Sonderbehandlung.» Weil Zwillinge in Uganda so positiv besetzt sind, wollte Barbara Kaija ihnen ein Fest widmen. Ursprünglich war die Idee allerdings nicht ganz uneigennützig: Das Festival war als PR-Aktion gedacht, zur Bindung der Leser an Kaijas Zeitung.
Aber das Twins Festival wurde im Land schnell derart populär, dass auch die Tourismusbehörden darauf aufmerksam wurden. «Kurz vor der Pandemie war die Regierung so weit, Mittel bereitzustellen, um Zwillinge aus anderen Ländern einzufliegen.» Den Zwillingskult wollte man als Markenzeichen Ugandas propagieren. Nun sollen solche Gespräche für die Zeit nach der Pandemie erneut in Angriff genommen werden.
In Kampala ist die Vorfreude auf das nächste Twins Festival schon gross. «Wir wollen auf jeden Fall wieder teilnehmen», sagen Brenda und Barbara Makumbi in ihrem Kunsthandwerksgeschäft. Das im Land mittlerweile bekannte Paar plant auch schon einen besonderen Auftritt, will dessen Details aber noch nicht verraten.
Und falls das Festival auch dieses Jahr Corona-bedingt noch nicht wieder zur grossen Party werden dürfe, sei der grosse internationale Durchbruch des Events damit bloss verschoben. «Alle möglichen Zwillinge unterstützen diese Party», erklärt Barbara Makumbi und scheint wortlos die Frage hinterherzuschieben: Woran soll es dann noch scheitern?