Beitrag vom 25.01.2023
FAZ
Militärpakt aufgekündigt
Russlands Vormarsch in Afrika
Nach Mali wendet sich Burkina Faso von Frankreich ab. Die Spezialkräfte sollen das Land verlassen. Marine Le Pen kritisiert „ein totales Scheitern“.
Von Claudia Bröll, Michaela Wiegel
Die Militärregierung in Burkina Faso hat den militärischen Beistandspakt mit Frankreich aufgekündigt, den beide Länder am 17. Dezember 2018 unterzeichnet haben. Im französischen Außenministerium wurde bestätigt, dass der französischen Botschaft in Ouagadougou die diplomatische Note über die Aufkündigung übermittelt worden sei. Man erwarte aber, dass Übergangspräsident Ibrahim Traoré „das Ausmaß“ dieser Entscheidung erläutere, sagte die Sprecherin des Außenministeriums, Anne-Claire Legendre.
Zuvor hatte Präsident Emmanuel Macron gefordert, Traoré solle sich öffentlich dazu bekennen, den Abzug der französischen Truppen verlangt zu haben. Wie französische Diplomaten erläutern, will Paris damit Vorwürfe vermeiden, es lasse die Bevölkerung im Stich. In Mali hatte das Militärregime Macron angeprangert, nachdem er eine Vereinbarung mit der russischen Wagner-Miliz als rote Linie bezeichnet und mit einem Truppenabzug gedroht hatte. Letztendlich war Paris machtlos und musste seine Soldaten aus dem Land abziehen. Allerdings ist die Militärpräsenz in Burkina Faso nicht vergleichbar. Während in Mali bis zu 5500 französische Soldaten engagiert waren, beläuft sich die Zahl in Burkina Faso auf 400. Macron fürchtet jedoch, dass nach Burkina Faso die antifranzösische Stimmung auch im Nachbarland Niger und den wirtschaftlich wesentlich wichtigeren Ländern Senegal und Elfenbeinküste überhandnehmen könnte. An diesem Mittwoch hat er den ivorischen Präsidenten Alassane Ouattara zu einem Krisengespräch in den Elysée-Palast eingeladen.
Frankreich wollte keine Waffen liefern
In Frankreich wird aufmerksam verfolgt, wie Russland seinen Einfluss in der krisengeschüttelten Region ausbaut. Die Regierung von Burkina Faso war unter dem gewählten Präsidenten Roch Marc Christian Kaboré (2015-2022) ein enger Verbündeter Frankreichs. Der im Januar vergangenen Jahres durch einen Putsch an die Macht gelangte Militärführer Paul-Henri Sandaogo Damiba galt als kooperationsbereit und nicht als russlandfreundlich. Nach einem zweiten Putsch im September aber hat sich der Kurs unter dem jetzigen Übergangspräsidenten, Hauptmann Ibrahim Traoré, deutlich geändert. Schon unmittelbar nach dem Umsturz zeigte die neue Militärregierung Sympathien für Russland. Seitdem orientiert sie sich klar an dem Beispiel des Nachbarlands Mali. Die Präsenz russischer Soldaten und von Söldnern der Wagner-Gruppe erschwert dort auch die Arbeit der noch verbliebenen Friedensmission der Vereinten Nationen (MINUSMA).
Im Dezember hat der burkinische Ministerpräsident Apollinaire de Tambèla eine nach seinen Worten „private Reise“ nach Moskau unternommen, um über eine Kooperation der beiden Länder zu sprechen. „Wir wollen, dass Russland ein Verbündeter im Kampf gegen den Terrorismus ist, wie alle unsere Partner“, sagte er in einem Interview mit Russia Today. „Wir wissen, dass Russland eine Großmacht ist, und wenn Russland will, kann es uns in diesem Bereich wirklich helfen.“ In der vergangenen Woche hat sich der Ministerpräsident mit dem russischen Botschafter in Ouagadougou getroffen und Russland eine „vernünftige Wahl“ genannt. „Wir glauben, dass sich unsere Partnerschaft verstärkt hat“, so de Tambèla. Die französische Armeeführung hat wiederholt Anfragen der burkinischen Armee für moderne Waffen mit hoher Schlagkraft mit Verweis auf Menschenrechtsverletzungen burkinischer Soldaten verweigert.
„Das wichtigste und vorrangige Ziel ist die Sicherung des Territoriums“
„Der erzwungene Abzug Frankreichs macht den Weg frei für eine Partnerschaft mit Russland. Burkina Faso braucht dringend Waffen, um eine neue paramilitärische Truppe von 50 000 Kämpfern auszurüsten“, sagt Ulf Laessing von der Konrad-Adenauer-Stiftung in Bamako. Moskau soll bereits einen Vertrag mit der Wagner-Gruppe und Waffen angeboten haben. Der Konflikt würde sich in jedem Fall verschärfen, wenn die neue paramilitärische Truppe mit russischen Waffen ausgestattet werde, so Laessing. Die burkinische Regierung hat im Oktober begonnen, 50 000 Zivilisten als freiwillige Kämpfer zu rekrutieren. Es handle sich nicht um eine Regierung „für Galadinner“, sagte Ministerpräsident Tambèla. „Das wichtigste und vorrangige Ziel ist die Sicherung des Territoriums.“ Die Kämpfer erhalten eine zwei Wochen lange Ausbildung, bevor sie bewaffnet und mit Kommunikationsmitteln ausgestattet werden.
Das nicht öffentliche Militärabkommen zwischen Paris und Ouagadougou regelte bislang die Antiterroreinsätze der 400 französischen Spezialkräfte, die auf dem Militärstützpunkt Kamboinsin nahe der Hauptstadt stationiert sind. Es erlaubt laut Angaben aus Paris auch in anderen afrikanischen Ländern stationierten französischen Soldaten, der burkinischen Armee im Notfall Beistand zu leisten. Der burkinische Regierungssprecher Jean-Emmanuel Ouédraogo bestätigte im französischen Auslandssender RFI, dass das Militärabkommen am 18. Januar aufgekündigt worden sei. Das sei laut Artikel 16 des Militärabkommens auch möglich. Die französische Armee habe nun eine Frist von einem Monat, um den Truppenabzug zu organisieren. „Das bedeutet nicht, dass wir unsere diplomatischen Beziehungen beenden“, sagte Ouédraogo, der während des Interviews Französisch sprach. Er bezeichnete die Abzugsforderung als „Opfer“, das die Übergangsregierung im Namen „der Unabhängigkeit“ und der „Befreiung des Staatsgebietes“ einzugehen bereit sei.
Demonstrationen vor der französischen Botschaft
In der Bevölkerung ist die Wut über die nicht endende Gewalt im Land groß. Seit mehreren Monaten ziehen in Burkina Faso immer wieder Bürger zu Protesten auf die Straße. Die Demonstranten werfen Frankreich vor, nicht genug gegen die Terroristen zu unternehmen oder sogar mit ihnen unter einer Decke zu stecken. Seit der Regierungsübernahme durch das Militär hat sich die Sicherheitslage weiter verschlechtert. In der vergangenen Woche wurden mehr als 60 Frauen und Kinder im Norden des Landes von bewaffneten Gruppen entführt. Die Frauen waren unterwegs, um Früchte, Blätter und Samen zu sammeln. Erst nach acht Tagen konnten sie von Sicherheitskräften befreit werden. Die französische Botschaft wurde wiederholt von feindseligen Demonstranten belagert und beschädigt. Der französische Botschafter Luc Hallade war von dem Militärregime schon zu Jahresbeginn zur Persona non grata erklärt worden. In einem Brief an das französische Außenministerium wurde die Ablösung des Botschafters verlangt, weil er Franzosen zu einer Umsiedlung nach Ouagadougou geraten hatte, da ihre Sicherheit in der drittgrößten Stadt Koudougou nicht mehr gewährleistet werden könne. Die französischen Spezialkräfte sind aufgrund der diplomatischen Krise in den vergangenen Wochen kaum noch aktiv gewesen. Ihr Abzug dürfte unter den im Land verbliebenen Ausländern Ängste schüren, weil sie den Flughafen in der Hauptstadt Ouagadougou bewachen. Hilfsorganisationen und Botschaften könnten ihr Personal verringern, wenn der Flughafen nicht mehr sicher ist.
Innenpolitisch wird Macron das Scheitern seiner Afrikapolitik angelastet. In einer Grundsatzrede zur Afrikapolitik in der Universität von Ouagadougou hatte der Präsident im November 2017 mehr Eigenverantwortung von Burkina Faso gefordert. „Ich gehöre einer Generation an, die Afrika nie als kolonisierten Kontinent angesehen hat“, sagte er damals. „Die Lösung kommt weder von außen noch vom Status quo alter Gewohnheiten.“ Marine Le Pen vom rechtspopulistischen Rassemblement National kritisierte am Dienstag, Frankreich habe nicht mehr die Wahl. „Wir können nicht gegen den Willen der Regierung in Burkina Faso bleiben. Das ist ein totales Scheitern, das auf das Scheitern in Mali folgt“, sagte sie.