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Beitrag vom 01.02.2023

FAZ

Papstreise nach Afrika

Friedenspilger in einem friedlosen Land

Nach fast 40 Jahren besucht erstmals wieder ein Papst die Demokratische Republik Kongo. Es ist ein Großereignis, doch nicht alle freuen sich darauf.

Von Claudia Bröll

Schon auf Kinshasas internationalem N’djili-Flughafen winkt der Papst den Ankommenden entgegen, auf riesigen Plakaten von drei Seiten. Seit Tagen hängen die gelb-weißen Fähnchen des Vatikans entlang des achtspurigen Boulevards Lumumba, der vom Flughafen in das Stadtzentrum führt. Normalerweise ist der Verkehr chaotisch. Autos stehen in den alltäglichen Staus nicht Stoßstange an Stoßstange hintereinander, sondern wild ineinander verkeilt, in verschiedenen Richtungen. Doch der hohe Besuch aus Rom hat am Dienstag freie Fahrt: In einem Papamobil, begleitet von einem Motorrad- und Autokorso, fährt Papst Franziskus nach seiner Landung zum Palais de la Nation, der Residenz des Präsidenten, flankiert von Soldaten und jubelnden Menschen entlang der 26 Kilometer langen Strecke. Auch viele Fahnen politischer Parteien sind zu sehen.

Die Demokratische Republik Kongo gehört zu den afrikanischen Ländern mit den größten katholischen Gemeinden. Nach Angaben der dortigen Bischofskonferenz sind 40 Prozent der etwa 90 Millionen Einwohner katholisch. Wie viele Einwohner das Land genau hat, weiß niemand, die letzte Volkszählung liegt lange zurück. 37 Jahre ist es her, seit ein Papst – Johannes Paul II. – einen Besuch abgestattet hat, damals hieß Kongo noch Zaire. Die Ankunft von Franziskus ist daher das Ereignis schlechthin. Am Wochenende teilte die Regierung mit, der Mittwochmorgen sei arbeitsfrei, damit die Gläubigen die Messe des Papstes besuchen können. Auch alle Schulen sind geschlossen.

Eine Million Menschen erwartet

In der 17-Millionen-Einwohner-Metropole liefen die Vorbereitungen bis kurz vor der Landung des Papstes auf Hochtouren. In der Kathedrale „Notre-Dame“ – auch „Kathedrale Unserer Lieben Frau vom Kongo“ genannt – kletterten Arbeiter am Wochenende auf ein turmhohes Gerüst, um ein großes Willkommensplakat aufzuhängen. Drinnen musste neuer roter Filz um den Altar ausgelegt werden, draußen hatten Händler bereits ihre Stände mit Papst-T-Shirts, Kappen, Trinkflaschen und Tassen aufgestellt. Großer Trubel herrschte vor dem N’Dolo-Stadtflughafen, wo schon am Sonntag Hunderte freiwillige Helfer in glühender Hitze in einer Warteschlange ausharrten. Fast jeder hatte sich festlich zurechtgemacht, in bunten Gewändern mit christlichen Symbolen, Bibelzitaten und Porträts des Papstes.

Der Flughafen ist in die Jahre gekommen, das Gras steht hoch, Propellermaschinen rosten vor sich hin. Am Mittwoch aber werden dort für die Messe des Papstes mehr als eine Million Menschen erwartet. Es ist der einzige Ort in Kinshasa, an dem sich so viele Menschen versammeln können. Eine zwölf Meter hohe Tribüne wurde errichtet, 22 Großbildschirme sind geplant sowie 28 Eintrittstore mit Zugangswegen, 30 mobile Gesundheitszentren und ein Flugzeug für medizinische Notfälle. Noch Anfang der Woche wurde rund um die Uhr gearbeitet.

Patrick Mbo Bilamay ist ein „Ministre extraordinaire“ seiner Gemeinde St. Nicolas. Mit einer großen Gruppe ist er schon frühmorgens angekommen. Wie die meisten Freiwilligen soll er helfen, am Mittwoch die heilige Kommunion auszuteilen. „Ego sum panis vitae“ (ich bin das Brot des Lebens) steht auf seinem gemusterten Hemd. „Der Papstbesuch wird viel verändern“, ist er überzeugt, „jeder konzentriert sich auf dieses Ereignis, auch in der weiteren Umgebung. Der Besuch wird uns die Härten vergessen lassen, er wird Freude bringen, da bin ich sicher.“

Schreckensnachrichten aus dem Osten des Landes

Mit der „weiteren Umgebung“ meint er den krisengeschüttelten Osten des Landes. Mehr als 120 Rebellengruppen sind dort seit Jahren aktiv. Weder Staat noch Militär noch die Friedenstruppe der Vereinten Nationen (MONUSCO) schaffen es, für Sicherheit zu sorgen. Auch während der Vorbereitungen auf den Papstbesuch im 2600 Kilometer entfernten Kinshasa reißen die Schreckensnachrichten nicht ab. Vor zwei Wochen starben Besucher eines Gottesdienstes in einer Kirche bei einem Anschlag, vor vier Tagen explodierte in einem anderen Ort eine Bombe auf einem Markt. Die größte Aufmerksamkeit zieht derzeit die Rebellengruppe M23 auf sich, die Ende 2021 wieder auftauchte. Seitdem nehmen die Spannungen zwischen Kongo und Ruanda wieder zu. Die Regierung in Kinshasa beschuldigt Ruanda, die M23 zu unterstützen. In Kigali wird das bestritten, und der Regierung des großen Nachbarlandes wird vorgeworfen, hinter einer anderen Rebellengruppe zu stehen. Ein unlängst vollmundig verkündetes angebliches Friedensabkommen zeigt bisher keine Wirkung. Vor Kurzem entging ein kongolesisches Kampfflugzeug im Grenzgebiet nur knapp dem Beschuss durch das ruandische Militär.

In den „Malewas“ von Kinshasa, wo man sich abends zu dunklem Bier, Hühnchen in Mayonnaise, Maniok und gebratenen Bananen trifft, ist die Lage in Ostkongo denn auch das Hauptthema. Hier und da kann man an den Tischen markige Kommentare über „Balkanisierung“, „Kampfflugzeuge“ und „den Griff zu den Waffen“ aufschnappen. Auch die sozialen Netzwerke sind voll davon. Die Wut in der Hauptstadt richtet sich klar gegen das Nachbarland Ruanda, obwohl die Gründe für die nicht endende Gewalt vielfältig, verworren und aus der Ferne schwer zu durchschauen sind. Das Säbelrasseln beschränkt sich nicht mehr nur auf die Wirtshäuser. „Jeder weiß, dass es diesem Land nicht an Männern mangelt, um unsere nationale territoriale Integrität zu verteidigen“, zitierte der Radiosender Okapi einen Oppositionspolitiker. Der Präsident Félix Tshisekedi bezeichnete den Beschuss des Militärflugzeugs als „Kriegshandlung“.

Für Papst Franziskus ist es somit eine schwierige „Friedenspilgerreise“. Er hege die Hoffnung, „dass die Gewalt im Osten des Landes aufhört und sich der Weg des Dialogs und der Wille, sich für Sicherheit und das Gemeinwohl einzusetzen, durchsetzt“, hatte er Anfang Januar vor dem Diplomatischen Korps erklärt. Ursprünglich wollte er auch Goma, eine Provinzhauptstadt im Osten, besuchen, doch der Abstecher wurde abgesagt. Es habe nichts mit Angst um die eigene Sicherheit zu tun, sagte der Papst der spanischen Zeitschrift „Mundo Negro“, sondern mit der Sorge um die Menschen dort. Guerilla-Kämpfer könnten in dieser Atmosphäre eine Bombe in ein Stadion werfen und viele Menschen töten. Jetzt wird der Papst Flüchtlinge aus Ostkongo in Kinshasa treffen.

Die Bischöfe sind auch politisch eine wichtige Kraft

Das zentralafrikanische Land, dem immer noch der Titel des Joseph-Conrad-Romans „Herz der Finsternis“ anhaftet, ist nicht gerade als Ferienparadies bekannt. Die Papstvisite hat nun auch ausländische Besucher in Scharen angelockt. Die Luxushotels im Diplomatenviertel Gombe, wo Gäste ohne Zögern sieben Dollar für einen Cappuccino und 20 Dollar für eine simple Pasta bezahlen, sind so gut wie ausgebucht. Der Papst wohnt ganz in der Nähe, in der Nuntiatur des Vatikans, einem imposanten Anwesen hinter hohen schattenspendenden Bäumen. An vielen Kreuzungen sind jetzt Straßensperren errichtet. Soldaten in abgewetzten Tarnuniformen sitzen daneben auf Plastikstühlen. So mancher Autofahrer steckt ihnen einen in der Hand versteckten, zusammengerollten Geldschein zu. Es ist eine routinierte, sekundenschnelle Handbewegung; es sieht wie Bestechung aus, könnte aber auch ein Almosen sein. Niedrigere Staatsbedienstete und Mitglieder des Militärs erhalten bekanntlich ein Salär, von dem sie kaum leben können, häufig fallen die Zahlungen monatelang aus, weil der Staat angeblich klamm ist.
Einige Straßenhändler hoffen auf ein gutes Geschäft mit Papst-Souvenirs.
Einige Straßenhändler hoffen auf ein gutes Geschäft mit Papst-Souvenirs. Claudia Bröll

Die katholische Kirche spielt nicht nur im sozialen, humanitären und schulischen Bereich eine zentrale Rolle in Kongo. Die Bischöfe sind auch politisch die womöglich stärkste treibende Kraft, 2018 beispielsweise riefen sie zu Demonstrationen für demokratische Wahlen auf, als sich der frühere Staatspräsident Joseph Kabila weigerte, zurückzutreten. Trotzdem löste der Papstbesuch nicht bei allen in Kinshasa Vorfreude aus. Anhänger der Opposition beispielsweise äußerten vorab Kritik, der Papstbesuch werde vom Präsidenten zu Wahlkampfzwecken genutzt. Überall in der Stadt hängen große Plakate, auf denen Tshisekedi und der Heilige Vater händeschüttelnd oder lächelnd nebeneinander zu sehen sind. Ende dieses Jahres wird in Kongo gewählt. In Kinshasa sind viele überzeugt, dass der Empfang des Papstes die Chancen des Präsidenten steigern wird.

In einem Land, das laut der Weltbank zu den fünf ärmsten der Welt gehört, in dem fast zwei Drittel der Menschen von weniger als zwei Dollar am Tag leben und sich Stadtstraßen bei Regen in Schlammpisten verwandeln, kommen auch Berichte über den Bau von Tribünen, Zugangswegen und schönen Kulissen für die Fernsehkameras nicht überall gut an.

Verkäufer am Straßenrand müssen weichen

Jonathan Balosa schweißt Metallfenster. Normalerweise befindet sich sein Arbeitsplatz im Freien, genau an der Straße, auf der der Papst am Dienstag zum Präsidenten fuhr. Jetzt hat er sich einige Straßen entfernt niedergelassen und blickt wütend durch seine auf die Nasenspitze gerutschte Brille. In der vergangenen Woche seien die Bulldozer gekommen. Ohne Vorankündigung hätten sie alles am Straßenrand niedergewalzt. Fertige Fenster und seine Materialien seien zerstört. Er selbst musste den „öffentlichen Raum“ verlassen.

„Ich interessiere mich überhaupt nicht für diesen Mann“, faucht er über einen Fensterrahmen gebeugt. „Unsere Landsleute sterben in Ostkongo, die Soldaten werden dort verbraten wie Fisch, und mir sagt man: ‚Der Papst kommt.‘.“ Vielen Händlern, Handwerkern oder den Betreibern der unzähligen improvisierten Bars und Imbissbuden am Straßenrand sei es genauso ergangen wie ihm mit den Bulldozern. „Das Leben ist extrem hart in Kongo, es gibt kaum Jobs, wir arbeiten nur, um unsere Kinder zu füttern, und dann scheucht man uns davon und erwartet, dass wir glücklich sind über den Papst?“

Noch drastischere Worte findet eine Influencerin in einem Video, das auf Tiktok kurz vor der Ankunft zu einem Hit wurde. „Diese Botschaft ist für den Vorsitzenden des Vatikans, Herrn Franziskus, den Papst“, beginnt die elf Minuten lange Aufnahme. Die junge Frau in Militäruniform nennt die „Tausenden Toten durch Massaker und Vergewaltigungen im Osten des Landes“, die vielen Familien, die in Flüchtlingslagern im eigenen Land leben müssten, die Opfer von Überschwemmungen, die alle keine staatliche Unterstützung erhielten. „Aber für Ihre Ankunft, Herr Franziskus, wird ein 1440 Quadratmeter großes Podium mit Aufzug und Luxustoiletten gebaut.“ Die Arbeiten an den Zubringerstraßen hätten zum Abriss von Geschäften und zu Landenteignung geführt. Der vier Tage lange Besuch koste den kongolesischen Staat viele Millionen Dollar, aber für Kranke gebe es kein Geld für Blutkonserven. Das Video endet mit dem Aufruf, nicht zur Messe und zu den Veranstaltungen zu gehen. „Und wenn Sie gehen, vergessen Sie die Tomaten nicht.“