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Für eine andere Entwicklungspolitik!

Beitrag vom 28.02.2023

FuW Finanz und Wirtschaft, Zürich

Europa braucht eine nüchterne Afrikastrategie

Eine strikt idealistische Afrikapolitik benachteiligt europäische Unternehmen gegenüber chinesischen. Der Mangel an Realismus schadet Europas Interessen auf dem Nachbarkontinent.

Wolfgang Drechsler

Lange Jahre war Afrika in der europäischen Politik und Öffentlichkeit wenig mehr als eine Fussnote. Das Augenmerk lag auf den Umbrüchen in Osteuropa, dem islamistischen Terror und dem Aufstieg Chinas. Wenn überhaupt, spielte Afrika als Quelle unkontrollierter Flüchtlingsströme eine Rolle im politischen Diskurs.

Doch spätestens seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine und dem damit verbundenen Ausfall Russlands als verlässlicher Energielieferant hat sich das Bild drastisch gewandelt. Plötzlich gilt ausgerechnet der wirtschaftlich zurückgefallene Nachbarkontinent im Süden mit seinem Reichtum an Rohstoffen als neuer Hoffnungsträger – sowohl als Energielieferant wie auch als möglicher Absatzmarkt.

Eine neue Afrikastrategie soll nun die Beziehungen Europas zu Afrika und seinen 1,4 Mrd. Menschen auf eine angepasste Grundlage stellen. Das Ziel: die Konsequenzen aus dem Scheitern der bisherigen Entwicklungspolitik ziehen, die alte Abhängigkeiten eher noch zementiert hat und, vor allem, China, das in den vergangenen zwanzig Jahren in Afrika beispiellos expandiert hat und zum mit Abstand grössten Einzelinvestor und Handelspartner aufgestiegen ist, auf dem Kontinent Paroli zu bieten.
«Neue Seidenstrasse» reicht bis Afrika

Dazu hat die Europäische Union eine Strategie unter dem klangvollen Namen Global Gateway entworfen. Bis zu 150 Mrd. € will sie damit bis 2027 an Investitionen allein in Afrika mobilisieren – als Gegenstück zu Chinas erfolgreicher «Neuer Seidenstrasse», über die Staatschef Xi Jinping Südost- und Zentralasien mit Europa sowie Teilen Afrikas verbinden will.

Der Unterschied in den Strategien der beiden Rivalen könnte grösser kaum sein: Während China als Gegenleistung für Afrikas Rohstoffe dort massiv Infrastrukturprojekte vorantreibt, sich dabei aber nicht in die internen Belange der oft autokratisch regierten Länder einmischt, scheint die EU den eigenen Fokus weit stärker auf die Menschenrechte und eine «Partnerschaft unter Gleichen» zu legen. Auch das Positionspapier des Eidgenössischen Departements für Auswärtige Angelegenheiten (EDA) zu Subsahara-Afrika für die Jahre 2021 bis 2024 hat zum Teil diese Prägung, wenn auch weit weniger dogmatisch als die neue deutsche Afrika- und Entwicklungspolitik. Bezeichnenderweise spricht diese in Einklang mit dem gegenwärtigen Zeitgeist von einer vertieften «Reflexion der Folgen der Kolonialzeit».

In diesem Zusammenhang steht auch das neue Lieferkettengesetz, das es deutschen Unternehmen seit Jahresbeginn zur Auflage macht, in Afrika strikt deutsche Standards einzuhalten, und das in gleicher oder ähnlicher Form auf die EU ausgedehnt werden soll – eine herkulische Aufgabe, die bislang nicht einmal der deutsche Staat bei seinen eigenen Projekten im Rahmen der Entwicklungshilfe erfüllen kann. Dabei ist es eine Binsenweisheit, dass immer mehr Regulierung am Ende nur Investitionen verhindert, zumal wenn die Konkurrenz davon verschont ist. Dass noch immer kaum 2% der deutschen und der europäischen Auslandinvestitionen nach Afrika gehen, ist eben kein Zufall und nicht der Blindheit seiner Unternehmer geschuldet, wie oft behauptet wird.

Der Musterfall Strabag

Was bei einer solchen Überregulierung und einem zu starken Nachdruck auf moralischen Kriterien passiert, zeigt exemplarisch der österreichische Baukonzern Strabag. Für ein Bauprojekt mit zwei Jahren Laufzeit braucht er nach eigenen Angaben rund tausend Produkte wie Ersatzteile oder Baumaterialien unterschiedlicher Lieferanten, die oft lokal zugekauft werden. Um ihre genaue Herkunft zu ermitteln, müsste Strabag fortan zusätzliches Personal einstellen, das sich allein um diesen Aspekt kümmert. Doch genau das macht sie am Ende nicht etwa wettbewerbsfähiger gegen die Konkurrenz aus China, der Türkei oder Brasilien, sondern nur teurer.

Gegenwärtig arbeitet Strabag in West- und Ostafrika an insgesamt drei Projekten mit einem Umsatz von 35 Mio. € – ein verschwindend geringer Anteil am Konzernumsatz von 16 Mrd. €. Zugleich können jedoch die Auswirkungen, die ein Verstoss gegen das Lieferkettengesetz haben kann, drastische Folgen haben. Wenn dem Unternehmen ein Vergehen nachgewiesen werden kann, könnte dies für Strabag im schlimmsten Fall beispielsweise bedeuten, von allen deutschen Ausschreibungen für Bauprojekte ausgeschlossen zu werden. Ein kleiner Auftrag in Uganda könnte Strabag somit in Deutschland für weit grössere Projekte disqualifizieren. Deshalb wird sie die bereits begonnenen Projekte in Afrika nun abarbeiten, aber sich danach nicht mehr um neue Ausschreibungen auf dem Kontinent bewerben, wie vergangenes Jahr bekanntgegeben wurde. Es wäre für Strabag das Ende des klassischen Baugeschäfts in Afrika.

Währenddessen können chinesische Unternehmen problemlos nach ihren eigenen Vorgaben bauen und sich sogar um von der EU finanzierte Projekte bewerben, ohne das nur für EU-Konzerne gültige Lieferkettengesetz mit all seinen bürokratischen Auflagen einhalten zu müssen. Kein Wunder, dass viele Kreditverträge chinesischer Geldgeber bis heute bewusst wenig transparent sind. Einer davon etwa betrifft den Bau einer stark überteuerten Bahnstrecke von Kenias Hauptstadt Nairobi zur Küstenstadt Mombasa im Wert von 3,6 Mrd. $. Der Fall lässt erahnen, warum Peking derartige Verträge gerne vertraulich behandelt. Eine rechtmässige Bauausschreibung gab es nicht. Wenn die chinesischen Anbieter dann auch noch Zugang zu oft erheblich günstigeren Finanzierungskosten durch ihren Staat haben, sind europäische Unternehmen wie Strabag fast immer chancenlos.

Mehr Balance und Pragmatismus

Weit sinnvoller wäre es deshalb, zumindest einen Teil der hohen Unternehmensrisiken in Afrika staatlich abzusichern. Zu diesem Zweck könnten auch Entwicklungsgelder eingesetzt werden, deren Verwendung für privatwirtschaftliche Zwecke bislang jedoch zumindest in Deutschland als Sakrileg gilt.

Notwendig sind beim Blick auf Afrika mehr Balance und vor allem ein grösserer Pragmatismus. Zumal die westlichen Unternehmen dort bereits jetzt oft als vorbildliche Arbeitgeber gelten – im Gegensatz zur chinesischen Konkurrenz, die eher für lange Arbeitszeiten und niedrige Löhne bekannt ist. Ein Indiz dafür ist, dass der Tonfall in Afrikas politischer Debatte gegenüber China zuletzt spürbar rauer geworden ist, auch weil China beim Schuldenerlass knausert. Anders als der Westen, der 2005 durch eine einseitige Schuldabschreibung die Auslandverbindlichkeiten der afrikanischen Empfängerländer mit einem Schlag von 100 auf 40% ihres Bruttoinlandprodukts (BIP) reduziert hat, zeigt sich China bis heute weit weniger kulant. Manche sprechen, wie Sambias Staatschef, sogar von einer neuen Kolonisierung des Kontinents durch Peking.

Weg von falschen Erwartungen

Daneben fordert zumindest die neue deutsche Afrikastrategie, fortan grüne Energieträger wie Wasserstoff bevorzugt zu fördern. Europa dürfte hier bald nachziehen. Doch auch hier sollte man sich dringend vor zu viel Ideologie hüten. Etwa dadurch, den Afrikanern die Finanzierung ihrer eigenen (und dringend benötigten) fossilen Energieprojekte zu verweigern, wie dies ab diesem Jahr geplant ist.

So attraktiv der Gedanke einer von Menschenrechten und grüner Energie geleiteten Afrikapolitik vielerorts in Europa auch sein mag, so falsch sind die Erwartungen dahinter: Investitionsentscheidungen werden nicht von ehrgeizigen Regierungsplänen, sondern von anderen Faktoren bestimmt. Dazu gehören eine adäquate Marktgrösse, Rechtssicherheit, wenig Korruption und vor allem funktionierende Verwaltungen und Gerichte, wie sie in Afrika leider noch immer die Ausnahme sind.