Beitrag vom 08.03.2023
ZEIT ONLINE
Kenias schlagende Großmütter
Eine Kolumne von Andrea Böhm
Andrea Böhm
Warum Afrikas Frauen nicht auf Retterinnen aus dem Westen warten. Und was wir von afrikanischen Feministinnen lernen können.
Einen schönen internationalen Frauentag wünsche ich Ihnen. Feiern wir ihn mal nicht auf den ritualisierten Demonstrationen in Berlin, Hamburg oder Stuttgart, sondern in einer Kirche. Der Church of the Lord Ministry in Korogocho. Korogocho ist einer der größten Slums in der kenianischen Hauptstadt Nairobi und die Church of the Lord Ministry ein Schuppen aus Holzplanken und Wellblech. Dort treffen sich jede Woche Frauen zwischen 55 und 90 Jahren, brüllen, treten und schlagen auf große Pratzen ein. Ihre Gruppe heißt Shosho Jikinge, was auf Swahili "Großmutter, schütz‘ Dich" bedeutet.
Korogocho weist eine hohe Verbrechensrate auf. Ältere Frauen werden besonders oft Opfer von Raubüberfällen, Vergewaltigungen und Einbrüchen. Die Mitglieder von Shosho Jikinge trainieren seit über 15 Jahren, wie frau sich wehrt. Dafür zahlt jede einen wöchentlichen Beitrag von umgerechnet 15 Cent in die Kasse ihres Sparclubs, Chama genannt. Mit den Rücklagen helfen sie Großmüttern, die gerade besonders klamm sind.
Keine der Frauen von Shosho Jikinge dürfte je von Simone de Beauvoir, Judith Butler oder von der Gendertheorie gehört haben. Oder von der inzwischen legendären Rede der nigerianischen Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie mit dem Titel "We should all be feminists". Aber was die Großmütter von Korogocho praktizieren, ist Feminismus vom Feinsten – mit einer sehr sympathischen physischen Komponente.
Stereotyp des ewigen Opfers
Es gibt unzählige Initiativen dieser Art auf dem Nachbarkontinent: Bäuerinnen im Senegal, die gemeinschaftlich Saatgut produzieren, und sich so von Agrarunternehmen unabhängiger machen. Straßenhändlerinnen in Kamerun, die mangels Bankkonten ähnlich wie die Großmütter in Korogocho Sparkooperativen betreiben. Lokale Gesundheitshelferinnen in Südafrika, die sich bezahlten Mutterschutz und bessere Löhne erkämpfen. Die Liste ließe sich fortsetzen.
Bloß tauchen diese Frauen in westlichen Medien fast nie als Feministinnen auf. Im besseren Fall kommen sie in Artikeln unter der Rubrik "Endlich-mal-gute-Nachrichten-aus-Afrika" vor, im schlechteren Fall als dankbare Empfängerinnen von genderbewusster Entwicklungshilfe. Unser weißer Blick auf Frauen in afrikanischen Gesellschaften ist immer noch geprägt vom Stereotyp des ewigen Opfers (vor allem afrikanischer Männer).
Niemand bestreitet, dass die globalen Krisen Frauen und Mädchen in Afrika besonders hart treffen. Laut Unicef ist die Zahl von Müttern mit Mangelernährung aufgrund der aktuellen Lebensmittelkrise seit 2020 um ein Viertel gestiegen. Betroffen sind Länder wie Äthiopien, Burkina Faso, Mali, Somalia. Sexualisierte Kriegsgewalt durch Soldaten und Milizionäre richtet weiterhin Verheerung an – vor allem im Ost-Kongo und in der nordäthiopischen Region Tigray. Bildungschancen für Mädchen und Frauen sind infolge der Pandemie und steigender Armut wieder geschrumpft.
Proteste in Sudan oder Nigeria waren von Frauen organisiert
Diese Katastrophenmeldungen dominieren die Berichterstattung über Mädchen und Frauen in Afrika, und die erzeugt in unseren Köpfen unweigerlich den Glauben, dass am Ende doch die weißen Retter kommen müssen. Oder die weißen Retterinnen mit einer feministischen Außenpolitik.
Dabei wächst die Bedeutung feministischer Bewegungen in afrikanischen Gesellschaften, ohne dass es dafür eines Anstoßes von außen bedürfte. In den vergangenen Jahren haben das eindrucksvoll die Aktivistinnen der sudanesischen Demokratiebewegung gezeigt, die bei den Protesten und beim Sturz des Diktators Omar al-Baschir eine tragende Rolle spielten – ähnlich den Frauen im Iran bei den Demonstrationen der vergangenen Monate gegen das Regime. Die Sudanesinnen können sich dabei auf eine historische Tradition des weiblichen Widerstands stützen.
In Nigeria waren Massenproteste junger Bürger:innen gegen Polizeigewalt in den vergangenen Jahren ein Katalysator für die enorme Mobilisierung von Jungwähler:innen bei den jüngsten Präsidentschafts- und Parlamentswahlen. Nichts davon wäre möglich gewesen ohne Feminist Coalition. Die Koalition ist ein Zusammenschluss junger Nigerianerinnen, die ihre Berufserfahrungen aus dem IT- und Finanzsektor nutzten, um Protestaktionen über soziale Medien zu organisieren und zu finanzieren.
Die weiße Frauenbewegung profitierte von kolonialer Ausbeutung
Die sudanesischen Aktivist:innen wie auch die Feminist Coalition haben heftige Rückschläge einstecken müssen: Vergewaltigungen, Verhaftungen, Hasskampagnen, Bedrohungen. Aber sie haben die politische Landschaft in patriarchalen Gesellschaften nachhaltig verändert. Für sie – und das stellt einen Unterschied zu aktuellen Debatten über Gender und Feminismus in westlichen Ländern dar – ist Feminismus meist untrennbar verbunden mit anderen politischen und sozialen Kämpfen. Gegen Armut, gegen staatliche Gewalt, gegen eine korrupte Elite, gegen den Klimawandel und die Folgen des Kolonialismus.
Das K-Wort ist in der westlichen feministischen Debatte übrigens immer noch heikel. Das Bekenntnis, dass die Kämpfe gegen Sexismus und Rassismus zusammengehören, kommt dieser Tage leicht über die Lippen. Viel unbequemer ist die Frage, wie sehr auch die weiße Frauenbewegung in der Geschichte der Industriestaaten von kolonialer Ausbeutung profitiert hat. Und wie sehr die Zementierung patriarchaler Strukturen in afrikanischen Gesellschaften mit der Politik der Kolonialmächte zu tun hat.
Die simbabwische Schriftstellerin Tsitsi Dangarembga beschreibt diese Mechanismen in ihrem jüngst erschienenen Essay-Band Schwarz und Frau – Gedanken zur postkolonialen Gesellschaft. Dangarembga, Trägerin des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels, ist eine der wichtigsten literarischen Stimmen des Kontinents. Eine, die inzwischen auch in Großbritannien und Deutschland gehört und gelesen wird.
Weiße Feministinnen, schreibt sie, stellten sich eine Welt vor, in der die Güter eines kapitalistischen Patriarchats nur umverteilt werden. Dagegen "stellen sich schwarze Feministinnen eine neue Welt vor, wie sie noch nie gesehen wurde". Das ist eine ebenso gewagte wie spannende These. Wie diese Welt aussehen könnte, darüber rede ich mit Tsitsi Dangarembga heute Abend bei einer ZEIT-Veranstaltung in der Frankfurter Goethe-Universität.
Wer zuhören und mitdiskutieren möchte, kann sich hier zum Livestream anmelden.
Happy Women’s Day!