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Beitrag vom 21.03.2023

NZZ

Eine Welle der Homophobie schwappt über Afrika

Kenya will Schulbücher auf LGBT-Inhalte prüfen, in Uganda soll allein die Identifikation als Homosexueller ins Gefängnis führen

Samuel Misteli, Nairobi

In den vergangenen Wochen mussten sich Homosexuelle in mehreren afrikanischen Ländern einiges anhören von ihren Präsidenten. «Homosexuelle sind eine Abweichung von der Norm», sagte der ugandische Präsident Yoweri Museveni, 78-jährig und im Amt seit 1986. In Uganda – wo homosexueller Geschlechtsverkehr schon heute illegal ist – könnte in den nächsten Tagen ein Gesetz verabschiedet werden, das bis zu 10 Jahre Gefängnis allein dafür vorsieht, sich öffentlich als schwul, lesbisch oder transsexuell zu identifizieren.

«Homosexuelle müssen verbannt werden, sie sind Parias in unserem Land», sagte Evariste Ndayishimiye, der Präsident von Burundi, wo gleichgeschlechtlicher Sex seit 2009 unter Strafe steht. Anfang März klagte ein burundisches Gericht 24 Personen wegen «homosexueller Praktiken» an. Sie hatten an einem Seminar zur HIV-Prävention teilgenommen. Kenyas Präsident William Ruto wiederum schwor, er werde verhindern, dass die gleichgeschlechtliche Ehe je legalisiert werde, denn «sie widerspricht der Kultur und den religiösen Überzeugungen des Landes». Kenyas streng fromme First Lady rief zu landesweiten Gebeten gegen Homosexualität auf. Diese sei eine Bedrohung für die Familie.

Reaktion auf kleine Fortschritte

Es schwappt gerade eine homophobe Welle über Teile Afrikas. Es sind vor allem Politiker und Eiferer in den sozialen Netzwerken, die sie anstossen. Sie sind sich des Applauses gewiss, denn eine grosse Mehrheit der Bevölkerung in ihren Ländern lehnt Homosexualität ab. Doch gleichzeitig reagieren die Zündler auch auf bescheidene Fortschritte in der Wahrnehmung und der rechtlichen Stellung der LGBT-Gemeinde.

Die Aufregung in Kenya, mit 55 Millionen Einwohnern ein afrikanisches Schwergewicht, wurde durch ein Gerichtsurteil ausgelöst. Das Oberste Gericht entschied Ende Februar, dass die Registrierungsstelle für Nichtregierungsorganisationen der National Gay and Lesbian Human Rights Commission die Registrierung nicht hätte verweigern dürfen. Das Urteil löste heftige Reaktionen aus, insbesondere bei evangelikalen Kirchen. Inzwischen ist daraus eine Kampagne geworden: Das Bildungsministerium gab bekannt, man habe ein Komitee gegründet, das sich LGBT-Fragen in Schulen annehmen solle. Es könnte unter anderem Schulbücher darauf prüfen, ob diese gleichgeschlechtliche Partnerschaften propagierten. Leiten soll das Komitee ein Erzbischof der anglikanischen Kirche Kenyas.

Der Gesetzesvorschlag im benachbarten Uganda ist ebenfalls eine Reaktion auf einen Gerichtsentscheid. 2014 stoppte ein ugandisches Gericht ein Gesetz, das Präsident Museveni bereits unterzeichnet hatte. Es sah lebenslängliche Haftstrafen für homosexuelle Handlungen vor. Das neue Gesetz, über das das ugandische Parlament in diesen Tagen abstimmen könnte, ist eine aufdatierte Version – die noch weiter geht, weil sie jede Person mit Gefängnis bedroht, «die sich als lesbisch, schwul, transgender, queer oder jeder anderen Geschlechtsidentität zugehörig bezeichnet, die im Widerspruch steht zu den binären Kategorien Männlich und Weiblich».

Für Politiker in vielen afrikanischen Ländern sind homophobe Vorstösse ein einfach bedienbares populistisches Instrument, mit dem sie sich als gute Christen und Bewahrer einer traditionellen Ordnung inszenieren können. Annette Otieno, eine Sprecherin der National Gay and Lesbian Human Rights Commission in Kenya, sagt: «Sie versuchen sich auf Kosten der queeren Bevölkerung als moralische Menschen zu inszenieren.»

Koloniales Erbe wiegt schwer

In 32 afrikanischen Ländern, fast der Hälfte der Staaten auf dem Kontinent, sind homosexuelle Handlungen gesetzlich verboten. Die Gesetze sind oft Relikte aus der britischen Kolonialzeit. In Grossbritannien selber wurden die Sodomiegesetze erst 1967 abgeschafft.

Afrikanische Politiker und Kirchenvertreter erkennen koloniale Bezüge aber oft nicht in den Gesetzen, sondern in der Homosexualität. Westlichen Regierungen und Hilfsorganisationen wird vorgeworfen, sie würden Homosexualität fördern. Ugandas Präsident Museveni sagte vergangene Woche: «Westliche Länder sollten die Zeit der Menschheit nicht länger damit verschwenden, ihre Praktiken anderen Leuten aufzuzwingen.» Es war eine Antwort auf Kritik am geplanten Gesetz.

Die homophoben Gesetzesvorstösse lassen leicht vergessen, dass es auch Fortschritte gibt. Ein Gericht in Botswana stützte 2019 die Legalisierung von homosexuellem Geschlechtsverkehr und argumentierte, solche Gesetze gehörten «ins Museum oder ins Archiv». Angola legalisierte gleichgeschlechtlichen Sex 2021. Südafrika kennt seit 2006 die gleichgeschlechtliche Ehe.

Studien haben in den letzten Jahren auch festgestellt, dass sich gesellschaftliche Einstellungen gegenüber Homosexualität verändern. Eine Studie von 2020 stellte zum Beispiel fest, dass in Kenya eine grosse Mehrheit der Befragten Homosexualität nach wie vor ablehnt. Zwischen 2002 und 2019 stieg die Akzeptanz aber von einem Prozent auf 14 Prozent. Eine andere Studie untersuchte 41 afrikanische Länder und hielt fest, die Akzeptanz sexueller Minderheiten sei am grössten bei Frauen, bei Leuten, die häufig das Internet nutzen, sowie bei Stadtbewohnern.

In vielen afrikanischen Ländern sind LGBT-Aktivisten tatsächlich deutlich sichtbarer als noch vor einigen Jahren. Auch Annette Otieno von der National Gay and Lesbian Human Commission beobachtete das. Sie sagt: «Es fühlte sich an, als ob die Akzeptanz wachsen würde. Doch die neusten Ereignisse lassen mich zweifeln, ob das tatsächlich so war.»