Beitrag vom 14.04.2023
NZZ
Viel Geld für die Ukraine, weniger für die Ärmsten
Der Krieg in Europa treibt die globalen Aufwendungen für Entwicklungshilfe in die Höhe
Fabian Urech
Die Industriestaaten haben im vergangenen Jahr so viel Geld in die Entwicklungszusammenarbeit gesteckt wie noch nie. Die entsprechenden Ausgaben beliefen sich 2022 auf rund 204 Milliarden Dollar, ein Anstieg von knapp 14 Prozent. Dies hat die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) bekanntgegeben.
Der Anstieg hängt vor allem mit dem Ukraine-Krieg zusammen. Erstens sind durch die Millionen von ukrainischen Flüchtlingen die Asylkosten in vielen europäischen Staaten massiv angewachsen. Die OECD-Regeln erlauben es, diese Ausgaben zu einem grossen Teil als öffentliche Entwicklungshilfe zu verbuchen. Die 38 OECD-Mitgliedstaaten gaben in diesem Bereich 2022 über 30 Milliarden Dollar aus; im Vorjahr waren es 13 Milliarden Dollar gewesen.
Zweitens stieg die Ukraine 2022 zum weltweit grössten Empfänger von Entwicklungs- und Nothilfe auf. Insgesamt erhielt das Land 16,1 Milliarden Dollar an Hilfsgeldern. Im Jahr vor Ausbruch des Krieges hatte dieser Betrag noch bei rund 900 Millionen Dollar gelegen.
Für manche Weltregionen war die Unterstützung jedoch rückläufig. In die 46 am wenigsten entwickelten Länder flossen 2022 etwas weniger Hilfsgelder als im Vorjahr. Besonders deutlich war der Rückgang für Subsahara-Afrika: Hier gingen die Hilfszahlungen um über 2,5 Milliarden Dollar (8 Prozent) zurück. Die vielen Entwicklungshilfe-Milliarden, die in die Ukraine fliessen, scheinen an anderer Stelle abgezweigt zu werden – auch bei den ärmsten Ländern.
Auch in der Schweiz zeigte sich dieser Verdrängungseffekt: Zwar nahm die Entwicklungshilfe laut den OECD-Kriterien um 16 Prozent zu. Der Grund dafür waren aber einzig die gestiegenen Asylkosten. Die Ausgaben für die Hilfe im Ausland gingen um rund 170 Millionen Franken zurück. Anders machte es Deutschland: Auch hier stiegen 2022 die Asylkosten massiv an. Zugleich erhöhte Berlin aber auch seine Ausgaben für die klassische Entwicklungszusammenarbeit. Insgesamt blieben die USA 2022 das grösste Geberland der Welt, es folgten Deutschland, Japan und Frankreich.