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Beitrag vom 27.04.2023

FAZ

KONFLIKT IN SUDAN

Eine Gefahr für die gesamte Region

Der Konflikt in Sudan könnte die gesamte Region destabilisieren. Einige Nachbarstaaten scheinen sich schon eingemischt zu haben – auch die russische Wagner-Miliz liefert wohl Waffen.

Von Franca Wittenbrink

Je länger die Kämpfe in Sudan andauern, desto größer wird die Sorge davor, dass der Konflikt in dem nordostafrikanischen Land sich zu einem anhaltenden Krieg entwickeln könnte. Hunderte Menschen sind seit der Eskalation zwischen der sudanesischen Armee und den „Schnellen Unterstützungskräften“ (RSF) vor elf Tagen getötet worden, Tausende wurden verletzt. Während Deutschland seine Evakuierungsmission in der Nacht zum Dienstag abgeschlossen hat, sitzen in der Hauptstadt Khartum und anderen umkämpften Gebieten weiter Millionen Sudanesen in ihren Häusern fest. Die Versorgungslage wird immer schlechter. Weder Armeechef Abd al-Fattah al-Burhan noch RSF-Anführer Mohammad Hamdan Dagalo, genannt Hemeti, machen Anstalten, den Konflikt in absehbarer Zeit beizulegen. „Nur im Sarg“ will Dagalo seinen Rivalen davonkommen lassen. Andersherum dürfte es ähnlich aussehen.

„Sudan befindet sich am Abgrund“, befand UN-Generalsekretär António Guterres am Dienstag – und warnte gleichzeitig davor, dass jede weitere Eskalation verheerende Folgen für die gesamte Region haben könnte. Auch der amerikanische Außenminister Antony Blinken warnte davor, dass die Unruhen auf Nachbarländer übergreifen könnten. Die Sorge wird von vielen internationalen Fachleuten geteilt.

Zum einen geht es dabei um Zehntausende Flüchtlinge, die sich schon jetzt auf den Weg gemacht haben, um den Kämpfen zu entkommen. Die UN-Flüchtlingsorganisation UNHCR bereitet sich eigenen Angaben zufolge auf 270.000 Menschen vor, die in den kommenden Tagen und Wochen aus Sudan in die Nachbarländer Tschad und Südsudan fliehen könnten – die Zahlen für die fünf weiteren Nachbarländer Sudans sind dabei noch nicht miteingerechnet.

Warnung vor „Dominoeffekt“

Dabei geht es einerseits um Sudanesen selbst, zum anderen um die eine Million Flüchtlinge in Sudan, von denen viele nun versuchen, in ihre Heimatländer zurückzukehren oder in andere Staaten weiterzufliehen. Im Nachbarland Tschad suchten seit Beginn der Kämpfe bereits mehr als 20.000 Menschen Schutz; schon davor hielten sich dort mehr als 400.000 Sudanesen in Flüchtlingscamps auf. An der Grenze zu Südsudan verzeichnete das UNHCR in den vergangenen Tagen fast 4000 südsudanesische Flüchtlinge, die zuvor in Sudan Schutz gesucht hatten – nun aber in das südliche Nachbarland zurückkehren wollten. Viele seien zu Fuß unterwegs. Insgesamt leben laut UN mehr als 800.000 Südsudanesen als Flüchtlinge in Sudan, ein Viertel von ihnen im umkämpften Khartum. Fachleute warnen davor, dass Tschad und Südsudan durch die großen Flüchtlingsströme massiv destabilisiert werden könnten. Die Staaten gehören zu den ärmsten der Welt – und sind selbst Schauplätze anhaltender bewaffneter Konflikte. Ähnlich sieht es mit den Nachbarstaaten Libyen, der Zentralafrikanischen Republik und Äthiopien aus.

„Im Grunde befindet sich jedes Land um Sudan herum schon jetzt in einem Zustand politischer Instabilität“, sagt Theodore Murphy, Direktor des Afrika-Programms des European Council on Foreign Relations (ECFR). „Wenn es dann so explodiert wie derzeit in Sudan, dann wirkt sich das zwangsläufig auch auf andere Teile der Region aus.“ So könnten bewaffnete Gruppen aus anderen Staaten Sudan als Rückzugsort nutzen, RSF-Kämpfer wiederum könnten sich in Nachbarländern niederlassen und sich mit dortigen Rebellengruppen und Widerstandsbewegungen verbünden. Hinzu kommen lange bestehende Konflikte um umstrittenes Territorium, die durch den Konflikt neu ausbrechen könnten.

Es gibt aber noch eine weitere akute Gefahr: die Einmischung anderer Staaten, Warlords und bewaffneter Milizen in den Konflikt. „Sudan ist umgeben von Ländern, die alle ein eigenes nationales Interesse am Ausgang dieses Krieges haben“, sagt Murphy. „Früher oder später werden sie in diesen Konflikt hineingezogen werden wie in ein schwarzes Loch.“ Und er warnt: Je mehr Verstrickungen es gebe, desto eher sähen sich weitere Staaten geneigt, ebenfalls einzugreifen, um den Konflikt in ihrem jeweiligen Interesse zu beeinflussen. Murphy spricht von einer Art „Dominoeffekt“, der sich schnell auf die gesamte Region ausweiten könne. Die Dynamik ist bereits aus Nachbarstaaten wie Libyen bekannt, wo Russland, die Türkei und die Vereinigten Arabischen Emirate aktiv in den Bürgerkrieg eingriffen.

Verstrickung Russlands

Beobachter sind sich einig, dass das sudanesische Paramilitär schon jetzt durch den libyschen General Chalifa Haftar unterstützt wird. Berichten zufolge soll Haftar seit Ausbruch der Kämpfe in Sudan mindestens ein Flugzeug mit militärischem Gerät an die RSF geliefert haben. Deren Anführer Hemeti wiederum wirft Ägypten vor, die sudanesische Armee mit Kampfflugzeugen und Soldaten zu unterstützen. Kairo begründet die Präsenz ägyptischer Truppen in Sudan offiziell mit einer Trainingsmission. Die ägyptische Führung unterhält allerdings seit Jahrzehnten enge Beziehungen zum sudanesischen Militär. Zudem begrüßt sie ein politisches System mit starker Armee, auch weil das dem eigenen ähnelt. Einer Niederlage der sudanesischen Armee würde Kairo daher wohl kaum tatenlos zusehen. „Das ist das, was bis jetzt an die Öffentlichkeit geraten ist“, sagt Murphy vom ECFR dazu. „Aber ich bin mir sicher, darüber hinaus ist schon sehr viel mehr im Gange.“

Bereits bekannt ist auch die Verstrickung Russlands in den Konflikt in Sudan. Moskau plant schon lange, in der Hafenstadt Port Sudan einen Marinestützpunkt zu errichten, um sich die Kontrolle über den Handel am Roten Meer und eine Verbindung nach Syrien zu sichern. Dafür ist es auf die Unterstützung von RSF-Anführer Hemeti angewiesen – und darauf, dass dieser den Krieg nicht verliert. Einem Bericht des Fernsehsenders CNN zufolge unterstützt es den General bereits mit Waffen für den Kampf gegen die sudanesische Armee. Die Söldnergruppe Wagner des Putin-Vertrauten Jewgenij Prigoschin habe demnach die RSF mit Luft-Boden-Raketen beliefert und die paramilitärischen Kämpfer damit erheblich gestärkt. Satellitenbilder dokumentierten dem CNN-Bericht zufolge entsprechende Aktivitäten auf Stützpunkten der Wagner-Miliz in Libyen. Die RSF bestritt in einem Tweet vom Wochenende jegliche Verbindung zu den russischen Söldnern. Während einer Pressekonferenz der Vereinten Nationen am Dienstagabend erklärte der russische Außenminister Sergej Lawrow allerdings, Sudan habe „das Recht, die Dienste der russischen privaten Militärgruppe Wagner in Anspruch zu nehmen“.

Theodore Murphy hält diese Entwicklung für äußerst gefährlich – auch mit Blick auf die Zeit nach dem Ende des Konfliktes. Sowohl Hemeti als auch al-Burhan wären aufgrund der durch ihre Truppen begangenen Menschenrechtsverbrechen vom Westen isoliert, besonders wenn sie sich dafür entschieden, der Zivilbevölkerung keine Rolle in der neuen Regierung zuzugestehen. Sollte Hemeti als Sieger aus dem Krieg hervorgehen, würde ihn das in Anbetracht seiner engen Beziehungen zu Russland noch stärker in die Arme Moskaus treiben. Laut Murphy wäre das „eines der schlimmsten Szenarien, die eintreten könnten“.