Beitrag vom 08.05.2023
FAZ
WELTERBE BENIN-BRONZEN
Bedingungslose Übergabe an Privat
Wer Kunst nach Afrika restituiert, kann sie nicht mehr vor partikularen Interessen schützen. Das ist die Lehre, die die deutsche Politik aus der Rückgabe der Benin-Bronzen ziehen muss.
Von Andreas Kilb
Der entscheidende Unterschied zwischen einem Palast und einem Museum liegt in der Zugänglichkeit. Ein Museum ist öffentlich, ein Palast privat. In ein Museum gelangt man mit einer Eintrittskarte, in einen Palast mit einer Einladung. Museen sind Orte der Inklusion, Paläste solche der Exklusion. Wer die Benin-Bronzen in Zukunft an ihrem Entstehungsort in Nigeria sehen will, wird diesen Unterschied zu spüren bekommen.
Der scheidende nigerianische Staatspräsident Buhari hat das Eigentumsrecht an allen Benin-Bronzen – jenen, die sich bereits in Nigeria befinden, und jenen, die noch dorthin gelangen werden – an den Oba Ewuare II. übertragen, den real existierenden König des Titularkönigtums Benin (F.A.Z. vom 6. Mai). Die deutschen Museen wiederum haben ihren gesamten Bestand an Benin-Bronzen im vergangenen Jahr an Nigeria überschrieben. Nach jetzigem Stand gehören damit sämtliche Benin-Artefakte aus Deutschland dem Königspalast in Benin City. In dessen Räumlichkeiten gibt es zwar ein kleines Museum, aber den Zugang dazu kontrolliert der Hofstaat des Oba, der nigerianische Staat hat dort nichts zu suchen.
Reichtum und Stolz
Wenn Kunstwerke privatisiert werden, wird auch ihre Deutung privat. Die intellektuelle Elite Westafrikas und die postkolonialen Aktivisten in Europa und Nordamerika fordern seit den Sechzigerjahren die Restitution der Benin-Bronzen, weil sich in ihnen der Reichtum und Stolz der afrikanischen Kultur verkörpert. Der Oba, dessen Familie ebenfalls seit Jahrzehnten auf Rückgabe der Bronzen pocht, hat dagegen ein anderes Interesse. Ihm geht es um den Ruhm seines Hauses, in dessen Auftrag die Kunstwerke entstanden sind. Entsprechend haben seine Publicity-Gesandten und Hofhistoriker die in Deutschland gezeigten Bronzen systematisch neu gedeutet, zuletzt in der Abschiedsausstellung für die Benin-Sammlung des Hamburger Museums am Rothenbaum im vergangenen Jahr.
Von der realen Geschichte des Königreichs Benin, das in der frühen Neuzeit ein besonders erfolgreicher Räuberstaat unter anderen, weniger erfolgreichen war, weil es unter anderem vom transatlantischen Sklavenhandel profitierte und die von den Portugiesen erworbenen Waffen für seine Kriegszüge nutzen konnte, ist in diesem historischen Narrativ kaum die Rede. Auch über die Menschenopfer, die noch im Jahr 1897, zum Zeitpunkt der britischen Militärexpedition, welche die Unabhängigkeit des Königreichs beendete, gang und gäbe waren, erfährt man darin wenig. Stattdessen geht es um das hohe Niveau der militärischen und gesellschaftlichen Organisation Benins, um die Pracht seiner Kunst und Architektur. Diese Einseitigkeit ist vom Standpunkt des Oba aus verständlich, so wie es auch verständlich ist, dass etwa die ehemalige deutsche Herrscherfamilie der Hohenzollern an die ruhmloseren Taten ihrer Vorväter nicht gern erinnert werden möchte. Mit einem wissenschaftlich objektiven, allgemeingültigen Blick auf menschliche Geschichte und Kultur, wie man ihn von westeuropäischen Museen erwarten darf, hat sie nichts zu tun.
Streit über Verwaltung
Ebendiesen Museumsstandard aber hatten die deutsche Außenministerin und die Kulturstaatsministerin im Sinn, als sie im vergangenen Dezember die Restitution mit einem feierlichen Akt und der Übergabe von zwanzig mitgebrachten Benin-Bronzen in Abuja besiegelten. Ihr Vertragspartner war die nigerianische Museumskommission NCMM, die nach dem dortigen Kulturgutschutzgesetz für die Aufbewahrung aller historischen Kulturgüter in Nigeria zuständig ist. Die NCMM will die Bronzen im staatlichen Edo Museum of West African Art in Benin City unterbringen, dessen Bau von der deutschen Regierung mit mehr als drei Millionen Euro unterstützt wird. Der Oba Ewuare möchte das nicht. Er sei der einzige legitime Verwalter („legitimate custodian“) sämtlicher Benin-Artefakte, ließ er vor zwei Jahren in einer offiziellen Verlautbarung mitteilen.
Bliebe es bei der Eigentumsübertragung an den Oba, würde das neue Museum zu einem Haus ohne Inhalt – und die nigerianische Museumskommission zu einer Behörde ohne Macht. Auf diesen Widerspruch zwischen Planungsstand, Rechtslage und präsidialer Verfügung richten sich nun die Hoffnungen der deutschen Kulturpolitik. Der Erlass des scheidenden Präsidenten sei „keine Änderung des NCMM-Gesetzes“ und auch nicht das letzte Wort zur Sache, erklärt der Amtsleiter von Claudia Roth, Andreas Görgen, im Gespräch mit der F.A.Z. Barbara Plankensteiner, die Direktorin des Hamburger Museums am Rothenbaum und Leiterin der Benin Dialogue Group, welche die Rückgabe der Bronzen koordiniert, sieht „Klärungsbedarf vor Ort“. Man habe bisher keine offizielle Mitteilung aus Nigeria erhalten. Allerdings, so Plankensteiner, seien die Bronzen eben „bedingungslos“ übergeben worden – also auch ohne Einschränkungen, was ihren Aufstellungsort betrifft.
Kein Druck aus Nigeria
Für Hermann Parzinger, den Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, ist der Konflikt über die Verteilung des Weltkulturerbes „eine innernigerianische Angelegenheit“. Vorerst seien ohnehin „keine weiteren physischen Rückgaben“ geplant. Nigeria mache keinen Druck: „Wir halten nichts zurück.“ Entscheidend sei nun, was die staatliche Seite sage, mit ihr habe man einen Vertrag geschlossen. Und wenn Buharis Erlass von seinem Nachfolger Bola Tinubu bestätigt wird? „Dann wären alle weiteren Fragen mit dem Oba zu klären.“
Nach echter Zuversicht klingt das nicht. Offenbar setzt man hierzulande darauf, dass sich die Museumskommission im innernigerianischen Tauziehen am Ende durchsetzen wird. Die Eigentumsübertragung, heißt es, sei ein Geschenk an den Oba für dessen Wahlhilfe für den neuen Präsidenten, Buharis Parteifreund, gewesen. Dann aber wäre eine Revision des Erlasses noch unwahrscheinlicher. Eher müsste man mit einem Kompromiss rechnen, bei dem die Benin-Bronzen im Besitz des Oba blieben, der einen Teil von ihnen leihweise dem Staat überließe. Das neue Museum in Benin City würde zur privaten Institution mit staatlichem Etikett.
So oder so ist die Vorstellung, durch die Restitution würden alle historischen Wunden geheilt, krachend an der Wirklichkeit gescheitert. In den Vielvölkerstaaten Afrikas geraten auch Kunstwerke, und gerade die kostbarsten, in den Sog partikularer Interessen. Der Kampf um die Benin-Bronzen hat gerade erst begonnen. Darin steckt eine Lektion für die deutsche Politik. Die Frage ist nur, ob sie sie erkennt.