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Beitrag vom 07.06.2023

NZZ

«Boomendes Geschäft» mit Menschen: 22 Schwangere aus Babyfabrik in Nigeria gerettet

Der Handel mit Babys gilt im bevölkerungsreichsten Land Afrikas als dritthäufigstes Verbrechen. Immer wieder entdecken die Behörden sogenannte Fabriken, in denen Teenager gebären. Nun wurden 22 junge Frauen gerettet.

Max Sprick

In Nigeria sind mehr als 20 schwangere Frauen und zwei Säuglinge aus einer sogenannten Babyfabrik gerettet worden. Das Militär teilte Anfang der Woche mit, dass die Einrichtung in Ohafia, im Gliedstaat Abia im Südosten des Landes, durchsucht worden sei, nachdem es Hinweise über einen Verkauf von Kindern «an Kriminelle für rituelle Zwecke sowie für Kinderschmuggel» gegeben habe. 21 der 22 geretteten Frauen waren laut den Angaben schwanger. Fotos von der Einrichtung zeigen einen eingeschossigen, heruntergekommenen Bau mit wenigen Fenstern. Die Besitzerin war zunächst flüchtig und wurde am Dienstag vorläufig festgenommen.

Sogenannte Babyfabriken fliegen in Nigeria immer wieder auf. Ein Junge kostet in dem bevölkerungsreichsten Land Afrikas zwischen umgerechnet 1300 Franken und 2000 Franken, ein Mädchen rund 1300 Franken. «Buben sind im Babyverkaufsgeschäft teurer als Mädchen», sagte die Leiterin einer nigerianischen Antimenschenhandelsbehörde vor zwei Jahren al-Jazeera. Auch damals gab es in Nigeria immer wieder Fälle von Babyhandel, was dazu beitrug, dass 2006 die Unesco den Menschenhandel dort als dritthäufigstes Verbrechen, nach Drogenhandel und Finanzbetrug, bezeichnete.

Der Verkauf von Kleinkindern als «boomendes Geschäft»

Es gibt sie, weil für viele Nigerianerinnen und Nigerianer eine Ehe ohne Kinder unvorstellbar ist, Unfruchtbarkeit wird stigmatisiert. Das sei der Hauptgrund dafür, dass gerade im Süden und Südosten Nigerias der Verkauf von Kleinkindern ein «boomendes Geschäft» sei, schrieb die nigerianische Zeitung «The Guardian».

Allerdings werden die in den «Fabriken» geborenen Säuglinge nicht nur zur Adoption vermittelt, sondern auch an Banden verkauft. Einige Kinder werden ins Ausland geschmuggelt, andere landen bei Käufern, die sie sogar bei Opferritualen töten.

Oft sind die Babyfabriken als wohltätige Anlaufstellen für arme junge Frauen getarnt. In der Realität werden Hilfesuchende dort festgehalten und auch vergewaltigt. Häufig sind die Opfer ungewollt schwangere Teenager, die von zu Hause weglaufen. Es gibt auch Babyhändler, die sich als Geistliche tarnen und den Namen ihrer Kirche nutzen, um schwangere Mädchen bei sich unterzubringen.

Für viele von ihnen ist die Schwangerschaft eine relativ einfache Möglichkeit, Geld zum Überleben zu verdienen. Zwei Drittel der Gesamtbevölkerung Nigerias leben unterhalb der Armutsgrenze. 1999 kehrte das Land nach drei Jahrzehnten aus kurzlebigen Demokratien, Militärputschen und Gegenputschen zur Demokratie zurück, gerade hat es eine umstrittene Wahl mit Manipulationsvorwürfen hinter sich. Noch heute gibt es blutige Zusammenstösse und Überfälle bewaffneter Banden in vielen Regionen. Ein fruchtbarer Boden für Menschenrechtsverletzungen und politische und soziale Krisen.

Teenager sollen zurück zu ihren Familien

Der Staat versucht seit einiger Zeit, dem Babyhandel entgegenzuwirken. Seit dem Jahr 2015 stellt ein Gesetz Menschenhandel ausdrücklich unter Strafe, seit 2018 gibt es eine App, mit der Nutzer lokale Behörden auf Vorfälle von Menschenhandel aufmerksam machen können. Gemeinnützige Organisationen betreiben Aufklärung vor Ort und helfen Hilfsbedürftigen.

Offizielle Daten darüber, wie viele Babys in Nigeria jährlich gekauft und verkauft werden, gibt es nicht. Schätzungen der Vereinten Nationen gehen davon aus, dass jedes Jahr etwa 750 000 bis eine Million Menschen in Nigeria Opfer von Menschenhandel werden. Sie werden für häusliche Dienste bis hin zu sexueller Ausbeutung, für den Einsatz als Kindersoldaten, zur Organentnahme und eben für erzwungene Leihmutterschaft gehandelt.

Die in Ohafia geretteten Frauen, die sich in unterschiedlichen Stadien ihrer Schwangerschaft befinden, gaben laut «The Guardian» an, bereits schwanger in das Zentrum gekommen zu sein. Sie widersprachen damit Berichten, die behauptet hatten, die Frauen seien erst dort geschwängert worden.

Nun befinden sie sich in der Obhut der Behörden. Ein Sprecher sagte, dass der Staat die notwendige medizinische Versorgung bereitstelle. Die Teenager sollen wieder mit ihren Familien zusammengeführt werden.