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Für eine andere Entwicklungspolitik!

Beitrag vom 10.07.2023

NZZ

Die Gruppe Wagner bringt Chaos nach Afrika

Der Kontinent hat in den letzten Jahren stark auf die russischen Kämpfer gesetzt. Das rächt sich nun.

Von Samuel Misteli, Nairobi

Ein Goldhändler in Bangui, der Hauptstadt der Republik Zentralafrika, inspiziert Goldnuggets. Die afrikanischen Länder geben Rohstoffe dafür, dass die Gruppe Wagner ihnen Kämpfer schickt. Das ist das simple Modell der paramilitärischen Truppe auf dem Kontinent. Siegfried Modola / Getty
Als am 23. Juni Jewgeni Prigoschins Wagner-Kämpfer ihre kurzlebige Revolte starteten, wurde diese auch in Afrika mit einiger Nervosität verfolgt. Seit mindestens fünf Jahren ist die Gruppe Wagner auf dem Kontinent aktiv, er ist gewissermassen ihr Wachstumsmarkt. Für die russische Aussenpolitik war die Truppe in dieser Zeit ein wichtiges Werkzeug. Russland hatte dem Kontinent nach dem Ende der Sowjetunion lange wenig Beachtung geschenkt, ihn aber jüngst neu entdeckt.

Nun, nach der Meuterei, ist es ein Rätsel, wie es mit der Gruppe Wagner in Afrika weitergehen soll. Bleibt sie in derselben Form tätig, womöglich unter dem Dach des russischen Verteidigungsministeriums? Verringert sie ihr Engagement? Oder wird sie zu einer unberechenbaren Kraft? Die potenziellen Folgen sind einschneidend – für mehrere afrikanische Regierungen, ihre Bevölkerung und für Russlands Politik in Afrika.

Was sich schon jetzt mit Sicherheit sagen lässt: Die Russen – ob als Diplomaten oder Paramilitärs – sind für afrikanische Staaten kein stabiler Partner. Afrikanische Regierungen haben mit Russland angebandelt, weil Moskau rasche, unzimperliche Militärhilfe verspricht, frei von Moralpredigten, wie sie der Westen hält. Doch die russische Unterstützung, das zeigt die Wagner-Rebellion, führt ins Chaos.

Das Labor Zentralafrika

Die Gruppe Wagner hat seit 2018 dieselbe Methode in mehreren afrikanischen Ländern angewendet: Sie unterstützt schwache, autoritäre Regierungen, indem sie russische Kämpfer schickt, afrikanische Soldaten ausbildet und Desinformationskampagnen organisiert. Im Gegenzug erhält sie Zugang zu Rohstoffen, die über mit der Truppe verbundene Firmen gefördert und exportiert werden.

Das Labor für das Engagement der Gruppe in Afrika ist die Republik Zentralafrika. Wagner-Kämpfer haben dem Präsidenten Faustin-Archange Touadéra geholfen, Rebellen zurückzuschlagen, sie erhielten dafür Zugang zu Diamanten- und Goldminen. Wagner-Kämpfer werden in Zentralafrika für extralegale Hinrichtungen und Vergewaltigungen verantwortlich gemacht. Nirgendwo sonst in Afrika ist der Einfluss der Gruppe Wagner so gross. Mehr als ein Dutzend mit ihr verbundene Firmen brauen unter anderem Bier und fällen Holz.

Wichtig für die Truppe ist auch Mali, wo rund 1500 Kämpfer stationiert sein sollen. Das Land ist einer der grössten Krisenherde der Welt, seine Putschregierung hat Teile des Landes an jihadistische Gruppen verloren. Wagner-Soldaten befinden sich seit Ende 2021 in Mali, die Junta holte sie ins Land, nachdem sie sich mit Frankreich zerstritten hatte. Französische Soldaten hatten die Jihadisten zuvor während zehn Jahren erfolglos bekämpft. Auch in Mali werden Wagner-Kämpfer für Kriegsverbrechen verantwortlich gemacht, unter anderem für ein Massaker an mindestens 500 Zivilisten im Ort Moura.

Weitere Wagner-Basen in Afrika sind Libyen, wo die Truppe den Warlord Khalifa Haftar unterstützt und Erdölinstallationen kontrolliert, sowie der Sudan. Dort fördern mit der Wagner-Gruppe verbundene Firmen Gold in Minen, die von Wagner-Kämpfern beschützt werden.

Die Interessen der Gruppe Wagner in Afrika waren bisher symbiotisch mit jenen des Kremls. Die russische Regierung hat Abkommen mit der Republik Zentralafrika und mit Mali abgeschlossen, sie liefert Waffen, kann aber gleichzeitig bestreiten, mit eigenen Soldaten in den Ländern präsent zu sein. Jewgeni Prigoschins Einfluss basierte vor dem Ukraine-Krieg auch auf seiner erfolgreichen Arbeit in Afrika.

Der Ukraine-Krieg hat am Engagement der Gruppe Wagner in Afrika wenig geändert. Laut einem Ende Juni veröffentlichten Bericht der Nichtregierungsorganisation The Sentry, die multinationale kriminelle Netzwerke untersucht, hat die Miliz ihre Aktivitäten in der Republik Zentralafrika während des Kriegs ausgebaut. Laut Schätzungen sollen zurzeit rund 5000 Wagner-Kämpfer in Afrika stationiert sein.

Was passiert nun mit ihnen? Was der Kreml will, ist klar: Wagner unter seine direkte Kontrolle bringen. Wladimir Putin gab den Wagner-Kämpfern nach der Meuterei drei Möglichkeiten: entweder nach Weissrussland zu gehen, nach Hause oder sich in die reguläre Armee einzugliedern. So weit, so simpel. Nur: In Afrika ist die Situation komplizierter. Hauptsächlich aus zwei Gründen.

Erstens werden die afrikanischen Einsätze von einigen der ältesten Verbündeten Prigoschins geleitet. Sie führen Kämpfer, die zur älteren Wagner-Generation gehören. Diese hat einen starken Korpsgeist und ist loyal zu Prigoschin. In die Armee oder einen anderen Verbund eingegliedert zu werden, wäre für sie mit einem Prestigeverlust verbunden. Die Armee bezahlt zudem weniger Sold als die Truppe Wagner.

Zweitens ist das Wirtschaftsimperium der Truppe in Afrika ähnlich schwierig unter Kontrolle zu bringen wie die Kämpfer. Es besteht aus einer Vielzahl von Firmen, die laut dem «Wall Street Journal» jedes Jahr Hunderte Millionen Dollar verdienen. Viele der Firmen sind zwar mit dem Kreml verbandelt. Doch Wagners Geflecht in Afrika ist so unüberschaubar, dass sich ein Teil der Firmen verselbständigen könnte.

Kommen bald Mozart-Truppen?

Es wird eine Weile dauern, bis der Status der Wagner-Kämpfer in Afrika geklärt ist. Die von Moskau angestrebten Änderungen werden kaum reibungslos umgesetzt werden, zumal die afrikanischen Einsatzgebiete weit weg sind. Es ist denkbar, dass Teile der Wagner-Truppen in Afrika nicht länger als Werkzeug des Kremls funktionieren werden, sondern als kriminelles Netzwerk – oder mehrere kriminelle Organisationen.

Der Kreml hat nach der Meuterei einiges unternommen, um die afrikanischen Partner zu beruhigen. Aussenminister Sergei Lawrow sagte, die Arbeit in Mali und der Republik Zentralafrika werde weitergeführt. Auf afrikanischer Seite gab man sich betont gelassen. Ein Präsidentenberater in der Republik Zentralafrika sagte der «Financial Times»: «Wenn Moskau die Wagners abziehen und uns stattdessen die Beethovens und die Mozarts schicken will, nehmen wir auch die.» Das klang gut gelaunt. Vielleicht war es eher Pfeifen im Dunkeln. Denn die Nervosität ist offensichtlich. Das gewöhnlich gut informierte Magazin «Jeune Afrique» berichtete, Malis Verteidigungsminister, ein Architekt des dortigen Wagner-Einsatzes, sei am Tag der Meuterei unter Druck gewesen, «beinahe fiebrig».

Das ist naheliegend. Denn sowohl für Russland als auch für die afrikanischen Partner steht viel auf dem Spiel. Für den Kreml wäre es mit einem grossen Prestigeverlust verbunden, wenn sein nützlichstes Werkzeug in Afrika nicht mehr funktionieren würde wie bis anhin. Die russische Propagandamaschinerie in Afrika – die wesentlich von Prigoschin in Schwung gehalten wurde – hat zum Beispiel den französischen Abzug aus Mali gründlich ausgekostet. Auch auf die wirtschaftlichen Vorzüge des Wagner-Engagements wird der Kreml nicht verzichten wollen, etwa auf das Gold aus dem Sudan.

Auf afrikanischer Seite droht ein Sicherheitsvakuum – im schlimmsten Fall der staatliche Zusammenbruch. Mit dem höchsten Einsatz spielt die Putschregierung in Mali: Sie verlangte im Juni, dass rund 13 000 Soldaten der Uno-Friedensmission abziehen. Laut der amerikanischen Regierung spielte die Gruppe Wagner eine wichtige Rolle bei dieser Forderung. Ende Juni – wenige Tage nach der Wagner-Meuterei – ist der Uno-Sicherheitsrat dem Wunsch nachgekommen; die Uno-Truppen ziehen bis Ende Jahr ab. Malis Junta begibt sich damit vollends in die Hände von Wagner. Kämpfen die russischen Paramilitärs nicht wie bisher zusammen mit der schlecht ausgerüsteten malischen Armee, droht die Situation im Land komplett ausser Kontrolle zu geraten.

Eine Chance für den Westen?

Experten und Diplomaten glauben, dass die ungewisse Zukunft der Truppe in Afrika den USA und anderen westlichen Staaten eine Chance eröffnet. Eine Expertin der Denkfabrik Center for Strategic and International Studies in Washington schrieb in einem Kommentar: «Die USA und verbündete Entscheidungsträger haben eine flüchtige Gelegenheit, alternative, stabile Formen der Hilfe zu präsentieren und so den wachsenden Einfluss von Moskau einzuschränken.»

Doch wie sollte diese Hilfe aussehen, die zudem autoritären Staatsführern zugutekäme? Westliche Staaten und die Uno waren (oder sind) in der Republik Zentralafrika und Mali aktiv. Doch das russische Engagement hat diese Staaten weiter korrumpiert. Beide Länder werden von Regierungen geführt, die mit russischer Hilfe Krieg führen gegen Teile ihrer Bevölkerung.

Nun zeigt sich, wie hohl das russische Versprechen war, Ordnung zu schaffen, wo der schwächliche Westen versagt habe. Es basierte darauf, dass Russland Kämpfer und Geschäftsleute schickte, die Krieg gegen Zivilisten führten und gleichzeitig die Ressourcen der Länder plünderten. Also Kriminelle. Wahrscheinlich werden die Regierungen, welche auf die russischen Kämpfer gesetzt haben, dies bald bereuen.