Beitrag vom 06.08.2023
NZZ
China macht sich in Afrika breit – und überflügelt Glencore als weltgrössten Kobaltproduzenten
Kongo-Kinshasa ist der grösste Produzent von Kobalt. Das Metall ist wichtig für Elektrofahrzeuge. In dem afrikanischen Land zeigt sich der Kampf zwischen China und dem Westen um strategische Rohstoffe.
Gerald Hosp, Kolwezi
Neben der kongolesischen blau-rot-goldenen Flagge weht die rote Fahne Chinas mit den gelben Sternen. Am Flughafen der Kupfer- und Kobaltmine Tenke Fungurume begrüsst zudem ein Schild die Ankömmlinge viersprachig, chinesische Schriftzeichen sind selbstverständlich dabei. Die Abbaustätte liegt im Kupfergürtel von Kongo-Kinshasa, der sich bis nach Sambia erstreckt, und ist fest in chinesischer Hand.
Die Mine Tenke Fungurume gehört zum chinesischen Bergbauriesen China Molybdenum Company (CMOC) und erstreckt sich über ein riesiges Konzessionsgebiet, das knapp so gross wie der Kanton Zürich ist. In zehn Gruben werden derzeit Kupfer und Kobalt abgebaut. Im vergangenen Jahr machte die Produktion der Mine bereits 10 Prozent des weltweiten Kobaltangebots aus. Ab nächstem Jahr wird sie die grösste Kobaltmine der Welt sein.
Die chinesische Gefahr
Zusammen mit einer weiteren kongolesischen Mine kann CMOC dann die Produktionskapazität für den Stoff, der die Energiewende ermöglicht, auf knapp 70 000 Tonnen jährlich steigern. Zum Vergleich: Im vergangenen Jahr betrug die gesamte weltweite Produktion 190 000 Tonnen. Damit stösst CMOC den Schweizer Rohstoffkonzern Glencore vom Thron des grössten Kobaltproduzenten der Welt.
Der Grossteil der kongolesischen Kobaltminen ist derzeit in chinesischer Hand, auch weil westliche Unternehmen, ausser Glencore, das Land wegen des schwierigen Umfelds verlassen haben. Der chinesische Einfluss wiegt schwer: Im vergangenen Jahr kamen 70 Prozent des Kobalts aus Kongo-Kinshasa.
Um den Zugang zu Rohstoffen hat ein grosses Gerangel begonnen. Die USA, die EU und andere Industriestaaten haben Initiativen lanciert, um die Lieferketten für sogenannte strategische Rohstoffe zu sichern. Washington hat mit Kongo-Kinshasa und Sambia eine Absichtserklärung unterschrieben, um afrikanische Länder beim Aufbau einer Lieferkette für Batterien zu unterstützen.
Der Grund dafür ist klar: Grüne Technologien, vor allem Batterien für Elektrofahrzeuge, benötigen Unmengen an Mineralien. Die Internationale Energieagentur, eine Organisation der Industrieländer, geht davon aus, dass bis zum Jahr 2040 der Bedarf an Lithium 40-mal, jener an Grafit 25-mal und jener an Nickel und Kobalt 20-mal so hoch ist wie im Jahr 2020.
China hat emsig globale Lieferketten aufgebaut. Dies zeigt sich auch darin, dass die Welt bei vielen Rohstoffen von dessen Raffineriekapazitäten abhängig ist: So werden 70 Prozent des Kobalts in chinesischen Raffinerien aufbereitet. Amerikanische Parlamentarier haben deswegen jüngst Alarm geschlagen. In einem Gesetzesentwurf wird eine Strategie gefordert, um die Lieferketten für strategische Rohstoffe aus Kongo-Kinshasa zu sichern. China wird explizit als Bedrohung erwähnt.
Die Kobaltstapel in der Mine
In Tenke Fungurume fressen sich derweil Bagger in die langgestreckte Grube hinein und laden das Material in grossen Muldenkippern ab, die die Erze wegbringen. Man sieht nur wenige Arbeiter. Das ist grossindustrieller Bergbau. Es hat zwar den Anschein, als ob alles reibungslos laufe. Doch das Verhältnis zwischen der kongolesischen Regierung und den chinesischen Minenbetreibern ist getrübt.
Auffällig ist, dass sich auf dem Betriebsgelände an vielen Stellen mit Kobalterz gefüllte Säcke auftürmen. Zudem stapeln sich Kupferkathoden auf dem Lagerplatz. Dies ist das sichtbare Ergebnis eines Konflikts zwischen CMOC und Kinshasa.
Vor einem Jahr wurde der Mine Tenke Fungurume die Erlaubnis entzogen, Kupfer und Kobalt zu exportieren, das Unternehmen wurde unter Zwangsverwaltung gestellt. Das Staatsunternehmen Gécamines sagte, dass der chinesische Konzern die Reserven zu niedrig ausweise. Es würden deshalb zu geringe Konzessionsabgaben bezahlt. Gécamines hält 20 Prozent an Tenke Fungurume.
Der Konflikt wurde beigelegt, nach 10 Monaten durfte wieder exportiert werden. Bis zu 16 000 Tonnen Kobalt lagerten vor wenigen Wochen noch in der Mine, was rund drei Viertel der Jahresproduktion entspricht. CMOC einigte sich darauf, insgesamt bis zu 2 Milliarden Dollar zu zahlen, um den Konflikt beizulegen.
Die kongolesische Regierung drängt darauf, frühere Vereinbarungen mit Minenunternehmen neu zu verhandeln. Nach jahrelangen kriegerischen Auseinandersetzungen war im Jahr 2007 die Regierung unter Präsident Joseph Kabila an die Macht gekommen. Der Bergbausektor lag darnieder, Kabila versuchte, internationale Konzerne ins Land zu holen. Aus dieser Zeit bestehen noch einige Verträge, die als intransparent und ungünstig für Kongo-Kinshasa gelten. Korruptionsvorwürfe stehen im Raum.
Die Bedeutung der Bodenschätze für Kongo-Kinshasa ist nicht zu überschätzen: Der Rohstoffsektor sorgt durchschnittlich für mehr als 95 Prozent der Exporte, für 23 Prozent der Staatseinnahmen und für mehr als ein Fünftel der gesamten Wirtschaftsleistung. Präsident Félix Tshisekedi, der seit dem Jahr 2019 regiert, versucht, noch mehr Einnahmen aus dem Bergbausektor zu holen, und nimmt deshalb besonders Investitionen aus China unter die Lupe.
Kongo-Kinshasa ist aber an China gekettet, auch weil Peking zu den grössten Investoren im Land aufgestiegen ist. Politische Instabilität, Rechtsunsicherheit, Korruption oder prekäre Arbeitsverhältnisse in informellen Minen hielten chinesische Unternehmen nicht davon ab, Geld ins zentralafrikanische Land zu pumpen.
CMOC nutzte das Vakuum, das europäische und amerikanische Unternehmen hinterlassen hatten, und kaufte 2016 Tenke Fungurume und vier Jahre später die Mine Kisanfu – ausgerechnet vom amerikanischen Kupferproduzenten Freeport-McMoRan. In den USA wird es mittlerweile als grosser Fehler betrachtet, dass Washington dies damals zugelassen habe.
Die Vision vom respektierten Konzern
CMOC ist ein Beispiel dafür, wie chinesische Unternehmen die Lieferketten immer mehr ausweiten. Im vergangenen Jahr beteiligte sich CATL, der weltgrösste Batterienhersteller aus China, mit 25 Prozent am Bergbaukonzern. Das Unternehmen CATL zählt Tesla, Ford, Volkswagen und BMW zu seinen Kunden. Auf der Suche nach Rohstoffen streckt der Konzern seine Fühler nach Bolivien für Lithium oder nach Indonesien für Nickel aus. CMOC ist ein Vehikel dafür, Zugang zu den notwendigen Rohstoffen zu erhalten.
Der Bergbaukonzern ist sich bewusst, dass er nach internationalen Regeln spielen muss, um auch westliche Abnehmer direkt beliefern zu können. Als Vision gibt CMOC an, ein respektiertes, erstklassiges und modernes Rohstoffunternehmen zu werden. Der Unternehmenschef Ruiwen Sun räumt aber im Jahresbericht ein, es sei noch ein weiter Weg.
Der chinesische Konzern will eine transparente Lieferkette aufbauen, und er fördert in Kongo-Kinshasa soziale Projekte. Die Belegschaft von Tenke Fungurume besteht zu 90 Prozent aus Kongolesen. Den Problemen des Landes kann CMOC aber trotzdem nicht entkommen.
So ist es unmöglich, den illegalen Abbau von Kleinschürfern auf dem riesigen Konzessionsgebiet zu verhindern. Für eine Mauer ist die Fläche zu gross. In 15 Jahren stieg die Zahl von Personen, die sich auf dem Gebiet der Chinesen angesiedelt haben, von 30 000 auf 400 000.
Glencore profitiert von der Geopolitik
Die Mine Mutanda des Konkurrenten Glencore ist nur unweit von Tenke Fungurume entfernt. Die Schattierung geht von Kupferrot über Ockertöne bis hin zu allen Brauntönen, die man sich vorstellen kann. In der nördlichen Grube, einer von drei Abbaustätten in der Mine Mutanda, geht es steil und tief in Stufen nach unten. Die Förderung in der einst grössten Kobaltmine der Welt wurde 2019 eingestellt, wegen Wartungsarbeiten, wie es hiess. Ein wichtiger Grund dürfte aber der damals niedrige Kobaltpreis gewesen sein.
In der Zwischenzeit wurden aber weiter Kupfer und Kobalt aus den Erzvorräten produziert, die bereits gefördert worden waren. Ab nächstem Jahr sollen der Abbau und die Aufbereitung wieder auf voller Kapazität laufen. Neben Mutanda betreibt Glencore auch noch die Kupfer- und Kobaltmine Katanga in Kongo-Kinshasa.
Der Glencore-Konzern hat derzeit die Geopolitik auf seiner Seite: Washington, Brüssel oder Berlin dürfte es nicht entgangen sein, dass Glencore als so gut wie einziges westliches Unternehmen Zugang zum kongolesischen Kupfer und Kobalt hat. Das Schweizer Unternehmen nutzt die Gunst der Stunde und hat in den vergangenen Monaten Firmenvertreter möglicher Abnehmer in die kongolesischen Minen eingeladen.
Die Glencore-Manager beteuern, dass die Minen im zentralafrikanischen Land nach den gleichen Standards wie die Abbaustätten in Australien oder in Kanada betrieben werden. Kongo-Kinshasa hat weiterhin wegen Menschenrechtsverletzungen, Konfliktmineralien und Misswirtschaft einen schlechten Ruf. So pocht der Automobilbauer BMW darauf, von Glencore mit Kobalt aus Australien beliefert zu werden.
Die Charmeoffensive hängt auch damit zusammen, dass einige Probleme der Vergangenheit mit Kinshasa aus dem Weg geräumt werden konnten: Im vergangenen Jahr verlängerte die kongolesische Regierung die Lizenz für Mutanda um 15 Jahre, jedoch mit der Auflage, dass der Staatskonzern Gécamines 5 Prozent am Betreiberunternehmen erhält.
Über Mutanda und Katanga lasteten jedoch lange Zeit Korruptionsvorwürfe im Zusammenhang mit dem Kauf der kongolesischen Minen. Glencore erwarb die Minen teilweise über den israelischen Geschäftsmann Dan Gertler, der ein guter Freund des früheren Präsidenten Kabila sein soll. Die USA warfen Gertler Korruption und dunkle Geschäfte zum Schaden des kongolesischen Staates vor.
Die Regierung von Präsident Tshisekedi einigte sich vor kurzem mit Gertler darauf, dass dieser seine Bergbau- und Förderlizenzen, die er noch im Land hat, abgibt. Gertler erhält dafür 260 Millionen Dollar. Auch mit Glencore kam es zu einem Reinemachen: Mit einer Zahlung von 180 Millionen Dollar entledigte sich der Konzern aller weiteren Ansprüche des afrikanischen Staates im Zusammenhang mit Korruptionsfällen.
Der bekannte Konkurrent
CMOC und Glencore sind zwar Konkurrenten. Sie arbeiten aber auch zusammen, wenn es gilt, den Ruf von Kongo-Kinshasa als Bergbaustandort zu heben. Beide Unternehmen kennen sich zudem gut: Glencores Verwaltungsratspräsident Kalidas Madhavpeddi hatte bis 2018 zehn Jahre lang den internationalen Arm des chinesischen Unternehmens geleitet. In diese Zeit fiel auch die Entscheidung für das Engagement in Kongo-Kinshasa.
Auf der anderen Seite steht seit kurzem Kenny Ives an der Spitze von IXM Trading, der Genfer Rohstoffhandelstochter von CMOC. Ives war 23 Jahre bei Glencore tätig gewesen und verliess das Unternehmen, nachdem er sich vergeblich um den Chefposten beworben hatte. Der chinesische Konzern beschreibt die Verbindung von Bergbau und Handel als neues Geschäftsmodell für einen modernen Rohstoffkonzern. Für Glencore ist dies alles andere als neu, die Kombination liegt dem Unternehmen vielmehr in den Genen. Der geopolitische Kampf um die Rohstoffe wird damit von Erzrivalen ausgetragen, die einander ähnlicher sind, als man denken würde.