Beitrag vom 12.08.2023
Trierischer Volksfreund
Warum die deutsche Entwicklungspolitik in Afrika mehr schadet als nützt
Fluchtbewegungen und Entwicklungspolitik stehen in Afrika in direktem Zusammenhang: Das sagt der Trierer Politikwissenschaftler Dr. Johannes Michael Nebe. In seinem Gastbeitrag für den Volksfreund erklärt er diese These am Beispiel des Niger.
Die westliche Entwicklungspolitik der letzten Jahrzehnte hat in vielen afrikanischen Ländern eher Entmündigung, Lähmung und Stillstand anstatt einer positiven wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung hervorgebracht. Schlechte Regierungsführung, keine effektive Korruptionsbekämpfung und das Fehlen von Rechtsstaatlichkeit sind die Hauptursachen, warum sich die Situation dort eher verschlimmert. Auch kleine Pflänzchen demokratischer Regierungen wie im westafrikanischen Niger sind nicht von Dauer gewesen.
Auch unsere Bundesrepublik hat in den letzten Jahrzehnten viele Entwicklungsminister wie Dirk Niebel (FDP), Gerd Müller (CSU) und zuletzt Svenja Schulze (SPD), die einfach das fortsetzen, was aus meiner Sicht immer falsch war: Die Entwicklungsgelder wurden und werden bis heute an die meist korrupten Regierungen in Afrika gegeben. Hier fehlt jede Einsicht, dass deren Politik nicht den regionalen und menschlichen Bedürfnissen entspricht. Es bleibt unverständlich, dass nicht das Engagement zivilgesellschaftlicher Akteure in Anspruch genommen wird: Sie wissen am ehesten, wo der Schuh drückt.
Kritiker sowohl aus Afrika als auch aus Deutschland haben wiederholt auf die Fehler der westlichen Entwicklungshilfe hingewiesen. Nach Ansicht von Experten wie Dambisa Moyo, Andrew M. Mwenda oder Volker Seitz, Kurt Gerhardt und Bartholomäus Grill ist die Entwicklungspolitik gescheitert. Entwicklungshilfe, die die Leistungsfähigkeit und Kreativität der Bevölkerung in Afrika nicht ausschöpft und ihr dies auch nicht zumutet, verletzt deren Würde. Diese Form der Entwicklungshilfe hat letztlich mehr Schaden als Segen gebracht.
Unglaublich, dass Kanzler Olaf Scholz den wohl korruptesten Präsidenten Kenias, William Ruto, nach Berlin einlädt Entwicklungspolitik und Entwicklungszusammenarbeit sind zwei kritische und semantisch stark aufgeladene Begriffe. Daraus nun Hoffnung für die aufzupäppelnde „Demokratiepflanze“ Zivilgesellschaft zu ziehen, ist sehr vermessen. Dieses Pflänzchen kann nur von innen wachsen und muss daher im Land selbst gezüchtet und gegossen werden. Dazu braucht es die Einsicht der Regierenden. Die allerdings wünschen sich eine Zivilgesellschaft nach ihren Vorstellungen und stutzen sie da zurecht, wo sie ihnen zu groß und als „Wildwuchs“ erscheint. Von außen also die afrikanischen Zivilgesellschaften finanziell zu unterstützen, würde voraussetzen, dass man die regierenden Eliten zu Reformen drängt.
Eine von vielen Geberländern zu beobachtende Appeasement-Politik gegenüber Afrikas Despoten hat das Gefälle zwischen einer kleinen politischen und ökonomischen Elite und einer in unsäglicher Armut und Perspektivlosigkeit lebenden breiten Bevölkerung regelrecht zementiert. Die Erfahrungen haben mir gezeigt, dass eher kluge Leute das Land verlassen als die Armen, die weder das Geld noch das Wissen haben, Europa zu erreichen. Daher bluten viele Länder an bürgerlicher Intelligenz aus, die sie vor allem benötigen.
Ein weiterer entscheidender Gesichtspunkt ist nahezu in fast allen afrikanischen Ländern die hohe Jugendarbeitslosigkeit, die als gefährlicher sozialpolitischer Sprengsatz explodieren kann, wenn sich die Verhältnisse nicht ändern. Den Eliten in Afrika muss deutlich gemacht werden, dass sie nicht nur Privilegien haben, sondern vor allem auch Verantwortung tragen.
Unsere westliche Entwicklungspolitik sollte sich mehr an dem Prinzip der „Hilfe zur Selbsthilfe“ orientieren, das sich davon leiten lässt, den Einzelnen nicht als Objekt zu behandeln, sondern ihn als Menschen achtet und an der Lösung der Probleme aktiv beteiligt. Festzustellen ist, dass sich in den westlichen Ländern eine regelrechte Entwicklungsindustrie in Milliardenhöhe herausgebildet hat. Die westliche Entwicklungshilfe behandelt Afrika heute immer noch als unmündigen Kontinent. Daher verkümmern Eigeninitiative und Innovationsfreudigkeit.
Es gilt, Fluchtursachen zu erkennen und diese ernsthaft zu bekämpfen. Dies könnte dazu beitragen, dass das Sterben von Tausenden Menschen im Mittelmeer verhindert werden könnte. Eine neue Entwicklungspolitik und Entwicklungszusammenarbeit zu konzipieren, könnte dem Kontinent Afrika nur von Nutzen sein.
Noch ein letzter kritischer Kommentar zur Bundesregierung: Unglaublich, dass Kanzler Olaf Scholz den wohl korruptesten Präsidenten Kenias, William Ruto, nach Berlin einladen konnte und ihn wenige Wochen später in Nairobi besuchte, um wirtschaftlicher Vorteile wegen. Wie kann ein demokratisch gewählter deutscher Bundeskanzler so etwas tun? Viele kenianische Studierende haben mir ihre Enttäuschungen darüber mitgeteilt. So untergräbt man in Kenia jeden demokratischen Fortschritt.
Wie der Presse kürzlich zu entnehmen war, macht die FDP-Politikerin Nicola Beer, Vizepräsidentin des Europaparlaments, einen Vorschlag, wie eine strategische Partnerschaft mit afrikanischen Ländern aussehen könnte: nachhaltiger Wissens- und Technologietransfer, verbesserte Ausbildung und Qualifizierung lokaler Arbeitskräfte mit verlässlichen Arbeits- und Einkommensbedingungen.
Sicherlich klingt das alles gut, aber wer die Realität in den afrikanischen Ländern kennt, wo Entwicklungsgelder nur den Eliten zugutekommen, für den bleibt dieser Vorschlag eine Illusion.
ZUR PERSON
Dr. Johannes Michael Nebe (Foto: Katja Bernardy), Jahrgang 1941, war von 1980 bis 2006 an der Universität Trier für die Lehre und Forschung im Fach Politikwissenschaft tätig. Auch nach seiner offiziellen Pensionierung blieb er dem Fach noch bis 2010 als „Seniorprofessor“ erhalten. Seit Mitte der 1990er Jahre engagiert sich Nebe für Afrika. 2014 gründete er gemeinsam mit anderen den Verein „Bildung fördert Entwicklung“. An 19 Projekten, die seitdem realisiert wurden, waren Studierende der Trierer Universität und der Kenyatta University in Nairobi beteiligt.