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Beitrag vom 14.09.2023

welt.de

Deutsche Physiker bauen Kernreaktor in Ruanda

Von Norbert Lossau
Chefkorrespondent Wissenschaft

Physiker haben ein Konzept für Kernreaktoren entwickelt, das einen sicheren Betrieb und das „Verbrennen“ von Atommüll ermöglichen soll. Ein erster Demonstrationsreaktor soll im afrikanischen Ruanda gebaut werden. Der Vertrag wurde jetzt in Kigali unterzeichnet.

„Das Thema Kernkraft ist in Deutschland ein totes Pferd“, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) Anfang September, um die aufflackernde Debatte über die künftige Rolle der Kernenergie im Keim zu ersticken. Das hält deutsche Physiker aber nicht davon ab, neuartige Kernreaktoren zu entwickeln, die in anderen Ländern gleichsam „lebendige Pferde“ werden könnten.

Die Wissenschaftler des Unternehmens „Dual Fluid“ haben ein Reaktorkonzept entwickelt, dass nicht nur einen sicheren Betrieb ermöglichen soll, sondern sich sogar zum „Verbrennen“ von Atommüll eignet, wie er beim Betrieb von klassischen Atomkraftwerken anfällt. Damit könnte das Problem der Endlagerung deutlich entschärft werden.
Weil die Umsetzung ihrer Ideen derzeit in Deutschland illusorisch ist, hat Dual Fluid 2021 seinen Sitz nach Kanada gelegt und verfolgt dort ein Genehmigungsverfahren für den Bau eines Reaktors nach dem „Dual Fluid“-Prinzips. Der Kernbrennstoff liegt dabei nicht in fester Form in Brennstäben vor, sondern ist flüssig. Diese eine Flüssigkeit im Reaktorkern ist von einem weiteren, nämlich flüssigen Blei umgeben, das die Wärme nach außen abführt. So entstand der Name „Zwei-Flüssigkeiten-Reaktor“ oder „Dual Fluid Reactor“.

Betriebsbeginn in zwei bis drei Jahren

Die theoretischen Konzepte zum Dual-Fluid-Reaktor wurden in Berlin entwickelt. Dort betreiben die Forscher auch ein Labor für begleitende Experimente. Neben Berlin und Vancouver in Kanada wird Dual Fluid künftig einen dritten Standort haben – auf einem weiteren Kontinent. In Kigali, der Hauptstadt von Ruanda wurde am Dienstag ein Vertrag zwischen dem Unternehmen und der Atomenergiebehörde des Landes unterzeichnet, der den Bau und Betrieb eines Dual-Fluid-Demonstrationsreaktors vorsieht. Mit den dort gewonnenen
Daten soll das Genehmigungsverfahren in Kanada beschleunigt werden, erklärt Götz Ruprecht, der CEO von Dual Fluid.

„Der Demonstrationsreaktor soll in zwei bis drei Jahren in Betrieb gehen“, sagt Ruprecht, „er ist nur so groß wie eine Waschmaschine und wird in einer Halle stehen, die der Fläche von drei Tennisplätzen entspricht. Im Dual Fluid Minireaktor wird sogenanntes HALEU (High-Assay Low-Enriched Uranium) zum Einsatz kommen, dass einen Anreicherungsgrad von unter 20 Prozent hat. „Wir gehen davon aus, dass die Lieferung des benötigten Brennstoffs kein limitierender Faktor oder Problem sein wird, denn wir sind in engem Kontakt mit einem international anerkannten, zertifizierten Lieferanten.“

Das Uran wird sich in 19 senkrechten Röhren befinden und soll während des Betriebs flüssig sein. „Um die Schmelztemperatur des Urans deutlich unter 1000 Grad Celsius abzusenken, wird eine kleine Menge Chrom beigemischt“, erklärt der Physiker Götz Ruprecht. Der Reaktorkern aus Röhren ist umgeben von einem Gefäß mit circa zwei Meter Durchmesser, in dem flüssiges Blei die Wärme aufnimmt. „Zum Start des Experiments muss das Blei zunächst einmal induktiv aufgeheizt und verflüssigt werden“, sagt Ruprecht“, „dazu wird eine Menge elektrischer Energie benötigt. Im Betrieb bleibt das Blei durch die Abwärme aus dem Reaktor flüssig.“
Dieser Reaktor reguliert sich selbst

Mit dem Demonstrator, der rund eine Autostunde von Kigali entfernt aufgebaut werden soll, wollen die Wissenschaftler von Dual Fluid zum einen beweisen, dass der Reaktor sich tatsächlich so verhält, wie es die theoretischen Berechnungen vorhersagen. Weil der Brennstoff im Dual Fluid Reaktor nicht in festen Brennstäben, sondern in einer Flüssigkeit vorliegt, soll er die Eigenschaft der Selbstregulierung besitzen.
Das bedeutet: Steigt die Temperatur in der Reaktorflüssigkeit an, so dehnt sie sich aus und die Abstände zwischen den Atomen werden größer. Das wiederum reduziert den Neutronenstrom, die Reaktionsrate sinkt und es wird weniger Wärme produziert. Dieser Mechanismus verleiht dem Reaktor besondere Sicherheitseigenschaften – er kann nicht durchgehen. Unglücke wie in Tschernobyl oder Fukushima wären damit grundsätzlich unmöglich. Dass dem so ist, davon sind die Forscher felsenfest überzeugt.

„Wir brauchen 40 neue Kernkraftwerke“
Zum anderen geht es in Ruanda um die Erforschung von Materialeigenschaften. Nach voraussichtlich zwei Jahren Betriebszeit soll der Reaktor auseinandergenommen werden, um zu sehen, ob es irgendwo zur Korrosion gekommen ist oder ob der aus Keramik bestehende Reaktorkern optimiert werden muss. Solche Daten sind für die Genehmigung eines großen Leistungsreaktors von Bedeutung.

Das auf knapp zwanzig Prozent Uran-235 angereicherte HALEU wird nur für den Demonstrationsreaktor gebraucht. Bei diesem wird es während der Betriebszeit keinen Brennstoffwechsel geben. Der spätere Leistungsreaktor benötigt hingegen zum Start nur noch auf rund zehn Prozent angereichertes Uran. „Und wenn dieser erst einmal läuft, kann er mit gewöhnlichem Reaktoruran, ja sogar abgereichertem Uran und Atommüllabfällen betrieben werden“, sagt Ruprecht, „das ist ja der Clou dieses Konzepts. Der Dual Fluid Reaktor ist ein waste burner.“