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Beitrag vom 01.11.2023

Handelsblatt

Warum Tansanias Präsidentin zur Hoffnungsträgerin Afrikas wird

Bundespräsident Steinmeier trifft in Daressalam Tansanias erste Präsidentin. Gemeinsam wollen sie die koloniale Vergangenheit aufarbeiten.

Wolfgang Drechsler

Kapstadt. Der Bundespräsident sprach über Freundschaft – und über die koloniale Vergangenheit. Während es Kanzler Olaf Scholz bei seinem aktuellen Besuch in Nigeria und Ghana vor allem um Rohstoffe und die Rückführung illegaler Migranten ging, war Frank-Walter Steinmeier am Dienstag auf dem gleichen Kontinent in einer anderen Mission unterwegs.

Er reiste in die ehemalige deutsche Kolonie Tansania, sprach mit der ersten muslimischen Präsidentin des afrikanischen Kontinents: Samia Suluhu Hassan. Bei einem Treffen der beiden in der Hauptstadt Daressalam erklärte Steinmeier, es sei ihm wichtig, dieses dunkle Kapitel gemeinsam mit seiner Gastgeberin aufzuarbeiten. Die Präsidentin lobte im Gegenzug die gute Zusammenarbeit beider Länder in den 60 Jahren seit der Unabhängigkeit Tansanias und nannte Deutschland ebenso diplomatisch einen „verlässlichen Freund und Partner“.

Die 63-Jährige gilt aus Berliner Sicht als Hoffnungsträgerin. Nach dem autokratischen Kurs ihres Vorgängers John Magufuli wählte sie einen liberaleren Weg. So wurde beispielsweise das jahrelang geltende Demonstrationsverbot aufgehoben, Zeitungen erhielten ihre Lizenzen zurück, inhaftierte Oppositionsführer wurden freigelassen.

Nicht wenige Beobachter sind überrascht, dass Suluhu auch 30 Monate nach ihrem Amtsantritt noch immer an der Spitze des ostafrikanischen Staates steht. Als sie im März 2021 ihren kurz zuvor verstorbenen Vorgänger Magufuli im Präsidentenamt beerbte, glaubten viele zunächst nur an eine Übergangslösung.

Zwar war klar, dass sie als Vizin ihres bei den Armen beliebten Vorgängers automatisch an die Staatsspitze aufrücken würde. Doch galt sie vielen als zu blass und wenig durchsetzungsfähig. Zumal an der Staatsspitze viele Christen das Sagen haben, denen die Führung des Landes durch eine Muslima weniger zu behagen schien.

Hinzu kamen die Vorbehalte auf dem tansanischen Festland: Die Präsidentin stammt von der kleinen, halbautonomen Insel Sansibar, die in der Politik des Landes seit der Unabhängigkeit eine Sonderstellung hat. Auch wurde Suluhu nachgesagt, als „Quotenfrau“ keine echte Hausmacht in einer Staatspartei zu haben, die seit der Unabhängigkeit im Jahre 1961 ununterbrochen die Regierung anführt.

Suluhu bekämpfte die Coronapandemie konsequent

Was ihr nach ihrem Machtantritt jedoch sehr zugutekam, war ihr Bemühen, in der stark umstrittenen Coronapolitik des Landes sofort den Weg der Vernunft einzuschlagen und die Seuche mit strikten Richtlinien einzudämmen. Ihr Vorgänger, ausgerechnet ein gelernter Chemiker, hatte die Pandemie von Beginn an geleugnet und verärgert die Zusammenarbeit mit der Weltgesundheitsorganisation gestoppt.

Auch lehnte er Schutzmasken, Distanzregeln und Impfstoffe rigoros ab, setzte stattdessen auf Gebete und Heilkräuter. Vieles deutet darauf hin, dass Magufuli am Ende ausgerechnet an dem Virus starb, dessen Existenz er stets leugnete, auch wenn offiziell eine Herzerkrankung als Todesursache vermerkt wurde.

Suluhus radikale Kehrtwende in der Coronapolitik verschaffte ihr nicht nur im Land selbst, sondern auch international frühzeitig Respekt. Ein weiterer populärer Schritt der Präsidentin bestand später darin, schwangere Mädchen, die unter ihrem Vorgänger von den Schulen verbannt worden waren, wieder zum Unterricht zuzulassen.

Seitdem hat sich die vierfache Mutter, die an der Universität Manchester Wirtschaftswissenschaft studierte und danach in der Regierungspartei von einer Sachbearbeiterin zur Ministerin aufstieg, in der Familienpolitik neu positioniert. Während ihr Amtsvorgänger stets offensiv für mehr Geburten warb und Benutzer von Verhütungsmitteln als „faul“ beschimpfte, setzt Suluhu auf Familienplanung.

Was keinen Moment zu früh kommt: Erst im vergangenen Jahr bestätigte eine Volkszählung eine UN-Vorhersage, wonach Tansania zu jenen insgesamt acht Ländern zählt, die bis 2050 für die Hälfte des weltweiten Bevölkerungswachstums verantwortlich sein dürften. Fast alle davon liegen in Afrika. So ist die tansanische Bevölkerung allein in den vergangenen zehn Jahren von 45 Millionen auf derzeit rund 60 Millionen gewachsen. Schon 2040 könnte Tansania mehr als 100 Millionen Menschen zählen.