Beitrag vom 20.11.2023
NZZ
Ein demokratischer Lichtblick in Liberia
Der ehemalige Weltfussballer George Weah wird als Präsident abgewählt – und akzeptiert die Niederlage
SAMUEL MISTELI, NAIROBI
Am späten Freitagabend hat der frühere
Weltfussballer und amtierende Präsident
von Liberia, George Weah, in einer
Radioansprache eingestanden, die Stichwahl
um das Präsidentenamt im kleinen
westafrikanischen Land verloren
zu haben. Zuvor hatte die Wahlkommission
verkündet, dass Weahs Herausforderer
Joseph Boakai nach Auszählung
fast aller Stimmen mit 50,89 Prozent
vor Weah mit 49,11 Prozent liege.
«Das liberianische Volk hat gesprochen,
und wir haben seine Stimme gehört
», sagte Weah, der Liberia die letzten
sechs Jahre regiert hat. Er gratulierte
seinem Konkurrenten und sagte:
«Es ist Zeit, die Interessen des Landes
über jene von Parteien und Patriotismus
über persönliche Interessen zu stellen.»
Weah, der unter anderem für die AC
Milan und Paris St-Germain stürmte
und 1995 von der Fifa als bisher einziger
Afrikaner zum weltbesten Fussballer
gekürt wurde, hat mit der Niederlage
möglicherweise auch das Ende seiner
Zweitkarriere als Politiker verkündet.
Diese verlief weniger glanzvoll als
die des Fussballers Weah. Und dennoch
dürfte auch der Politiker in Erinnerung
bleiben: weil er in der Niederlage
Grösse zeigte auf einem Kontinent, auf
dem dies gerade sehr ungewöhnlich ist.
Putsche in sieben Ländern
Weahs Eingeständnis ist bemerkenswert,
für Afrika und für Liberia: für das Land,
weil erst vor zwanzig Jahren ein Bürgerkrieg
endete, der mehr als 250 000 Tote
und ein verwüstetes Liberia zurückliess.
Für den Kontinent, weil in den vergangenen
Jahren nicht funktionierende Wahlen,
sondern eine lange Reihe von Staatsstreichen
für Schlagzeilen sorgten.
Seit 2020 haben Militärs in sieben afrikanischen
Ländern erfolgreich geputscht,
zuletzt in Niger und in Gabon. Die Soldaten
reagierten auf schwere Sicherheitskrisen
oder auf Versuche von Präsidenten,
sich durch Tricksereien an der Macht
zu halten.Wenn in Afrika in den vergangenen
Jahren kompetitive Wahlen stattfanden,
warfen die Unterlegenen den Siegern
häufig Betrug vor und lösten so Unruhe
aus – in diesem Jahr zum Beispiel in
Nigeria, im Jahr zuvor in Kenya.
In Liberia zeichnet sich nun ein friedlicher
Machtwechsel ab. Das Land hat
seit dem Ende des Bürgerkriegs 2003,
in dem Rebellengruppen unter anderem
um Macht und die Kontrolle von
Diamantenminen kämpften, einiges erreicht.
Der Frieden hat gehalten, die
Bürger haben inzwischen viermal demokratisch
gewählt – und dabei der Regierungspartei
zum zweiten Mal in Folge
eine Niederlage beschert.
Liberia verdankt seine demokratischen
Fortschritte unter anderem seinen
politischen Führern, die seit dem Bürgerkrieg
verantwortungsvoller handelten
als jene andernorts in Afrika. Ellen
Johnson Sirleaf zum Beispiel, Präsidentin
von 2006 bis 2018, erhielt 2011 den
Friedensnobelpreis. Zudem setzte sich
eine neue Generation zivilgesellschaftlicher
Aktivisten für Menschenrechte
und gegen Korruption ein.
Skandalfreier Wahlsieger
Wenige hätten George Weah vor dem
Wochenende zu Liberias verantwortungsvollen
Politikern gezählt. Weah
hatte 2017, als er mit grossem Vorsprung
zum Präsidenten gewählt wurde, versprochen,
die Korruption zu bekämpfen
und Stellen für die vielen jungen
Arbeitslosen zu schaffen. Er hielt wenig.
In seine Regierungszeit fallen mehrere
Korruptionsskandale, dazu kämpfen
die knapp fünf Millionen Liberianer
mit stark gestiegenen Preisen. Die
Mehrheit der Bevölkerung überlebt mit
weniger als zwei Dollar pro Tag. Mit
der Abwahl hat der 57-jährige Weah die
Quittung erhalten.
Doch dafür, dass er seine Niederlage
eingestand, gab es Lob. Die USA
zum Beispiel gratulierten Joseph Boakai
zum Sieg und Weah dazu, die Niederlage
friedlich akzeptiert zu haben.
Der neue Präsident Boakai wird sein
Amt im Januar antreten. Boakai ist bereits
78, er war Vizepräsident unter Ellen
Johnson Sirleaf. Boakai gilt als bescheiden
und skandalfrei, er hat versprochen,
die «Misswirtschaft» der
Weah-Präsidentschaft zu beenden. Vorerst
sandte aber auch er nach Bekanntgabe
des Resultats demokratische Töne.
«Vor allem anderen», sagte er, «wollen
wir eine Botschaft von Frieden und Versöhnung
verbreiten."