Direkt zum Inhalt
Für eine andere Entwicklungspolitik!

Beitrag vom 30.12.2023

NZZ

Chaos folgt auf die Wahlen in Kongo-Kinshasa

Ist der Urnengang in dem riesigen Land regulär verlaufen? Die Bevölkerung wartet noch immer auf die Ergebnisse

Sarah Fluck, Kampala

«Ich wartete den ganzen Tag und die ganze Nacht, um meine Stimme abzugeben», berichtet Mama Maguy. Ohne Erfolg. Am Tag darauf kam die Meldung, dass aus «logistischen Gründen» keine weiteren Stimmen mehr abgegeben werden könnten. «Ich will mein Wahlrecht zurück – das ist dilettantisch», sagt Maguy am Telefon.

Am 20. Dezember brachte Mama Maguy ihre sechsmonatigen Zwillinge zu ihrer ältesten Tochter und begab sich zu dem ihr zugewiesenen Wahllokal in Ostkongos Provinzhauptstadt Goma. Dort hatte sich bereits ein Meer von Menschen versammelt. Sie alle wollten einen neuen Präsidenten für Kongo-Kinshasa sowie Abgeordnete auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene wählen.

Wachsende Unsicherheit

Maguy ist nicht die einzige Frustrierte. Auch neun Tage nach dem Wahltag wartet das Land von der Grösse Westeuropas auf die offiziellen Ergebnisse. Immer mehr der 44 Millionen Wählerinnen und Wähler hinterfragen die Integrität der Wahlen. Auch zahlreiche Mitglieder der politischen Opposition stellten den Wahlprozess infrage. Die wachsende Unsicherheit im Zusammenhang mit den Wahlen droht Kongo, in dessen Osten bereits mehr als hundert Rebellengruppen die Bevölkerung terrorisieren, weiter zu destabilisieren.

Wiederholung gefordert

Das Wahlkampfteam des Geschäftsmannes Moïse Katumbi, eines der aussichtsreichsten achtzehn Herausforderer des bisherigen Präsidenten Félix Tshisekedi, hat den Urnengang eine «geplante und orchestrierte Fälschung» genannt und eine Wiederholung gefordert.

Weitere fünf Oppositionsführer – unter ihnen der Arzt und Friedensnobelpreisträger Denis Mukwege sowie der frühere Spitzenmanager eines internationalen Erdölunternehmens Martin Fayulu – hatten für den vergangenen Mittwoch zu einer Kundgebung aufgerufen. «Wir werden gegen die Unregelmässigkeiten, die während der Wahl festgestellt wurden, protestieren», hielten sie in einem Schreiben an den Gouverneur der Hauptstadt Kinshasa fest. In einer offiziellen Stellungnahme spricht auch die Koalition «Gemeinsame Front für Kongo», die eng mit dem früheren Präsidenten Joseph Kabila verbunden ist und die Teilnahme an den Wahlen verweigert hatte, von der «Parodie einer Wahl»; sie verurteilte deren «chaotischen Verlauf».

Tausende unabhängige Beobachter aus verschiedenen Landesteilen dokumentierten mit Fotos und Videos Unregelmässigkeiten bei den Wahlen. Ein Bericht der Wahlbeobachtungsmission der mächtigen katholischen und protestantischen Kirchen fasst 5402 Meldungen über Zwischenfälle in Wahllokalen zusammen und betont, dass diese dokumentierten Fälle «die Integrität der Ergebnisse potenziell beeinträchtigen könnten».

In fast allen 75 000 Wahllokalen waren die Wählerlisten unvollständig, was zu Verzögerungen führte. Diese Probleme wurden durch verspätet eintreffendes Wahlmaterial und durch fehlende oder defekte Wahlmaschinen verschärft. Einige Wahlbüros öffneten erst Tage nach dem offiziellen Wahltag, in einigen Wahlkreisen wurde eine Woche später noch abgestimmt. In andern Wahllokalen war eine Abstimmung zwar möglich, aber es fehlten die verantwortlichen Wahlleiter.

Aus der Stadt Bunia und der Provinz Kasai gab es Berichte über gewaltsame Konflikte und die Zerstörung von Wahlbüros als Reaktion auf Wahlmaschinen, die einzig Präsident Tshisekedi als Kandidaten anzeigten. In Ostkongo wiederum konnten aus Sicherheitsgründen vielerorts gar keine Wahlen durchgeführt werden.

Selbst der Leiter der nationalen Wahlkommission, Denis Kadima, gab dieser Tage zu, dass es Probleme gegeben habe. In einem Interview mit lokalen Journalisten sagte er, dass wohl einige Wahlhelfer von Unzufriedenen als Geiseln festgesetzt worden seien. Es könne sein, dass die Ergebnisse in einigen Wahlbezirken nachträglich für ungültig erklärt werden müssten. Zugleich betonte er aber, dass solche Vorfälle nur vereinzelt vorgekommen seien.

Der Protest wird unterdrückt

Die Regierung lehnt indessen jegliche Forderung nach einer Wiederholung der Wahlen ab. Stattdessen ermutigt sie die Opposition, den Rechtsweg zu beschreiten. Den angekündigten Protestmarsch verbot sie ebenfalls und ging am Mittwoch in Kinshasa mit Tränengas gegen Demonstranten vor. Zudem umzingelte die Polizei das Hauptquartier von Martin Fayulu, wo sich die Protestierenden sammeln wollten.

In Teilergebnissen führt der Amtsinhaber Tshisekedi mit 76 Prozent der Stimmen aus etwa 12,5 Millionen ausgezählten Stimmzetteln. Kongos Wahlkommission hat noch keine Angaben zur Wahlbeteiligung gemacht. Das endgültige Wahlergebnis ist jetzt für den 31. Dezember angekündigt worden.