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Beitrag vom 30.01.2024

spiegel.de

Sicherheitsexperte über Ecowas-Austritt

»Russland gewinnt den Kampf um Einfluss in Afrika«

Drei Staaten der Sahelzone haben ihren Ausstieg aus der westafrikanischen Staatengemeinschaft Ecowas angekündigt. Warum das eine gute Nachricht für Russland ist – und eine schlechte für Europa.

Ein Interview von Heiner Hoffmann

Es war ein Crash in Zeitlupe: In den vergangenen drei Jahren kam es in den drei Sahel-Ländern Mali, Burkina-Faso und Niger zum Putsch; Militärregierungen übernahmen die Macht. Die ehemalige Kolonialmacht Frankreich wurde immer offener angefeindet, gleichzeitig schwenkten Demonstranten russische Fahnen.

Die westafrikanische Staatengemeinschaft Ecowas versuchte noch, ein Machtwort zu sprechen, verhängte Sanktionen, suspendierte die Mitgliedschaft von Burkina Faso, Mali und Niger, letzterem drohte sie sogar mit einer militärischen Intervention an.

All das half nichts, der Streit eskalierte weiter: Nun haben die drei Sahel-Länder angekündigt, die Staatengemeinschaft zu verlassen. Sicherheitsexperte Ibrahim Yahaya Ibrahim von der International Crisis Group erklärt, was das für die Welt und für Europa bedeutet.

SPIEGEL: Niger, Burkina Faso und Mali haben ihren Ausstieg aus Ecowas angekündigt. Wie ordnen Sie das ein?

Ibrahim: Ich würde von einem politischen Erdbeben sprechen. Der Schritt kommt nicht völlig unerwartet, aber es ist eine folgenschwere Entscheidung.

SPIEGEL: Was bedeutet diese Entscheidung für Afrika?

Ibrahim: Spaltung. Die Ecowas war lange Zeit das Vorbild für regionale Integration auf dem Kontinent. Sie ist relativ gut organisiert, gilt als Erfolgsgeschichte. Ich habe als Bürger von Niger auch einen Ecowas-Pass. Wir haben Freizügigkeit wie in der EU, es gibt keine Visa. Wenn der Austritt der drei Länder nun durchgeht, können wir plötzlich nicht mehr frei reisen. Dabei sind die Menschen auf den grenzüberschreitenden Verkehr und Handel angewiesen. Dieser Schritt wird große wirtschaftliche Auswirkungen haben, das Leben der Menschen erheblich verändern und die Ecowas schwächen.

SPIEGEL: Und was würde das für den Westen, für Europa, bedeuten?

Ibrahim: Das sind definitiv schlechte Nachrichten. Die drei Länder haben bereits kontinuierlich ihre Beziehungen zum Westen zurückgefahren, angefangen mit Frankreich. Sie haben französische Militärs und Diplomaten des Landes verwiesen. Weitere Schritte dieser Art könnten folgen. Gleichzeitig haben sie die Beziehungen zu Russland, aber auch zum Iran, intensiviert. Die Entscheidung, Ecowas zu verlassen, ist ein weiterer Schritt, um den Westen zu verärgern.

SPIEGEL: Vor allem Niger war vor dem Putsch ein sehr enger Partner der Europäischen Union, unter anderem haben sie Migrantinnen und Migranten aus afrikanischen Ländern auf dem Weg nach Europa aufgehalten.

Ibrahim: Inzwischen hat Niger einen der Mechanismen, der die Migration Richtung Europa verlangsamen sollte, außer Kraft gesetzt. Das war nur einer der Schritte der Junta gegen den Westen und weitere sind in Vorbereitung. Sie haben bereits französische Truppen und einige Bürger rausgeschmissen. Andere Länder wie Italien, Deutschland, Belgien und die Vereinigten Staaten haben noch Militärkooperationen, haben Truppen in Niger stationiert. Die Junta macht aber deutlich, dass sie auch diese Verträge neu verhandeln will. Hinter vorgehaltener Hand ist zu hören, dass sie alle Länder auffordern will, ihre ausländischen Truppen abzuziehen.

SPIEGEL: Werden stattdessen mehr russische Truppen kommen?

Ibrahim: In Mali ist das bereits der Fall, dort sind russische Militärausbilder und Wagner-Leute, oder deren Nachfolger, vor Ort. In Burkina Faso gibt es russische Truppen. Auch Niger hat inzwischen eine militärische Zusammenarbeit mit Russland angekündigt. Die Juntas haben zwar noch nicht beschlossen, eine größere Anzahl russischer Soldaten anzufordern, aber es sind in der Sahelzone zahlreiche Militärexperten vor Ort, die mit den lokalen Armeen zusammenarbeiten.

SPIEGEL: Hat der Tod von Wagner-Chef Prigoschin und die offizielle Auflösung der Söldner-Truppe das militärische Engagement Russlands nicht ausgebremst?

Ibrahim: Nicht wirklich, das hatte kaum Auswirkungen vor Ort. Der russische Vize-Verteidigungsminister hat offenbar die Kontrolle über die Wagner-Operationen übernommen. Er ist jetzt für die Beziehungen zu den Sahel-Ländern zuständig. Der Austausch findet jetzt viel unmittelbarer mit der russischen Regierung selbst statt.

SPIEGEL: Wie wird Russland auf den Ecowas-Exit der drei Länder reagieren?

Ibrahim: Die Situation ist auch für Russland schwierig; ich gehe von einer eher verhaltenen Antwort aus. Ja, Moskau ist ein starker Unterstützer der abtrünnigen Juntas. Gleichzeitig versucht es aber auch, seine Beziehungen zum übrigen Afrika zu stärken. Es will die verbliebenen Ecowas-Länder wie Nigeria, Ghana, die Elfenbeinküste und den Senegal nicht gegen sich aufbringen. Russland spielt dieses Spiel schon eine Weile, es heißt dann immer, dass man eine Verhandlungslösung unterstützt zwischen der Organisation und den abtrünnigen Staaten. Also sehr diplomatische Worte, die nicht viel bedeuten. Trotzdem ist klar, dass Russland davon profitiert, wenn sich afrikanische Länder aus westlich orientierten Bündnissen herauslösen und sich Russland stärker annähern. Dies liegt natürlich im Interesse Moskaus.

SPIEGEL: Der Westen macht vor allem die prorussische Propaganda für die antiwestlichen Stimmung in der Sahelzone verantwortlich. Stimmt das?

Ibrahim: Der Westen versucht so gut er kann, die russischen Narrative einzudämmen, der Desinformation mit eigenen Informationskampagnen etwas entgegenzusetzen. Aber er dringt bei den lokalen Akteuren damit nicht durch. Russland gewinnt den Kampf um Einfluss, wird vor Ort eindeutig als besserer Partner wahrgenommen. Das sieht man im öffentlichen Diskurs, und auch in den sozialen Medien.

SPIEGEL: Welche Fehler hat der Westen gemacht?

Ibrahim: Sie haben versucht, den Kampf gegen terroristische Gruppen militärisch zu unterstützen – ohne wirklichen Erfolg. Dieses vermeintliche Versagen und die hohe Anzahl ziviler Opfer haben zum großen Unmut der Bevölkerungen beigetragen. Und der Westen leidet sehr stark unter der Ablehnung der Ex-Kolonialmacht Frankreich in der Sahelzone. Die Menschen sind zuallererst wütend auf Frankreich, nicht unbedingt auf den gesamten Westen. Frankreich hat eine lange Geschichte des Kolonialismus, der Einmischung in die inneren Angelegenheiten dieser Länder. Es hat wirtschaftliche Beziehungen aufgebaut, die die Menschen bis heute als unfair bewerten.

SPIEGEL: In den sozialen Medien werden die Junta-Anführer wie Ibrahim Traoré als Freiheitskämpfer gefeiert.

Ibrahim: Das ist Teil des Desinformations-Diskurses. Sie werden als Helden gefeiert, weil sie Frankreich aus ihren Ländern vertrieben haben. Das wird von Teilen der lokalen Bevölkerung sehr begrüßt, auch wenn ihr Leben dadurch nicht unbedingt besser geworden ist. Dennoch glauben die meisten Menschen, mit denen ich gesprochen habe, dass solche Härte gegenüber Frankreich der richtige Weg ist.

SPIEGEL: Warum wollen die drei Juntas Ecowas nun verlassen? Um diese Härte zu beweisen?

Ibrahim: Sie beweisen, dass sie selbstständig entscheiden, ohne dass ihnen jemand reinredet. Ecowas hat die Militärregierungen kritisiert, hat Sanktionen verhängt, die Rückgabe der Macht an eine zivile Regierung gefordert. Daher brechen die drei Länder nun die Beziehungen zu der Staatengemeinschaft ab. Sie wollen keinen Druck mehr von außen. Außerdem wollen die Juntas dem radikalen Flügel ihrer Anhängerschaft entgegenkommen, der einen solchen Austritt gefordert hat. Am Sonntag wurde der Schritt bereits auf den Straßen von Nigers Hauptstadt Niamey gefeiert.

SPIEGEL: Ecowas hatte, als es im vergangenen Jahr zum Putsch in Niger kam, dem Land sogar mit einer militärischen Intervention gedroht, doch am Ende passierte nichts.

Ibrahim: Die Juntas profitieren von der Schwäche der Ecowas. Die Staatengemeinschaft ist ziemlich gespalten, schon vor dem angekündigten Austritt der drei Länder. Und die Juntas nutzten das aus, um die Organisation zu diskreditieren.

SPIEGEL: Wie sollte der Westen jetzt mit den Juntas umgehen? Weiter auf Gespräche setzen, in der Hoffnung, dass die Zusammenarbeit nicht ganz abbricht?

Ibrahim: Mit dieser Frage tue ich mich im Moment wirklich schwer. Bisher haben wir geraten, diese Länder nicht zu isolieren, sondern zu versuchen, weiter mit ihnen zusammenzuarbeiten. Ich weiß nicht, ob sich diese Linie nach dem angekündigten Ecowas-Exit noch durchziehen lässt. Der Ausstieg des Niger aus dem Migrationsabkommen hat bereits deutlich gemacht, dass die Juntas auf Konfrontation setzen. Sollte der Westen also bei jeder dieser Entscheidungen die Augen schließen und weiter auf Zusammenarbeit setzen? Was wäre der Preis dafür? Auf diese Fragen suche ich selbst noch eine Antwort.

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Ibrahim Yahaya Ibrahim ist Vizedirektor des Sahel-Projekts beim Thinktank International Crisis Group. Er ist zudem Mitgründer der Forschungsgruppe Sahel Research Group an der University of Florida. Er forscht vor allem zum Islam, politischen Systemen und Konflikten in der Sahelzone. Er stammt selbst aus Niger und hat dort vier Jahre lang für internationale Nichtregierungsorganisationen gearbeitet.

Dieser Beitrag gehört zum Projekt Globale Gesellschaft