Beitrag vom 25.09.2024
Der Standard
EU-Prüfer: Fünf Milliarden aus Nothilfefonds für Afrika nicht immer nachvollziehbar
Der Rechnungshof der Europäischen Union spricht in seinem aktuellen Bericht von einem "Gießkannenprinzip", nach dem die Gelder gegen irreguläre Migration verteilt werden
Bianca Blei
Rund fünf Milliarden Euro schwer war im Endeffekt jener Nothilfefonds, mit dem die Europäische Union die Wurzeln der irregulären Migration bekämpfen und Menschen in afrikanischen Ländern helfen wollte, sich auf dem Kontinent selbst ein Leben aufzubauen. Ende des kommenden Jahres endet das Förderinstrument mit dem sperrigen Namen "Nothilfe-Treuhandfonds der Europäischen Union zur Unterstützung der Stabilität und zur Bekämpfung der Ursachen von irregulärer Migration und Vertreibungen in Afrika" – kurz EUTF Afrika –, und es hagelt Kritik von den Prüferinnen und Prüfern des Europäischen Rechnungshofs.
"Nach vielen Jahren schafft es die EU-Kommission noch immer nicht, die Gründe für irreguläre Migration zu identifizieren und klare Maßnahmen zu definieren", sagt Bettina Jakobsen, Mitglied des Rechnungshofs, bei der Präsentation des Berichts vor Medienvertreterinnen und -vertretern. Bereits vor sechs Jahren, kurz nach dem Start des Nothilfefonds, attestierte das Kontrollorgan der Kommission, dass die Ziele des EUTF Afrika zu breit definiert sind und demnach so ziemlich alle Projekte, die nur irgendwie unter die Überschriften "Migration" oder "Sicherheit" fallen, finanziert werden können. Geändert hat sich nicht wirklich etwas. Im jetzt vorliegenden Bericht beschreiben die Prüfenden etwa die Anschaffung von Küchengeräten wie Mixern für Schulen, in denen es gar keine Elektrizität gibt, oder die Restaurierung des römischen Theaters in der libyschen Stadt Sabrata.
Fehlende Rechnungen oder Belege
Insgesamt wurden durch den Notfallfonds drei Regionen in Afrika unterstützt: Jeweils zu rund 40 Prozent flossen die Mittel in die Regionen Sahelzone/Tschadbecken sowie Horn von Afrika. Rund zwanzig Prozent standen für den Norden Afrikas bereit.
Wie die durch den Fonds bezahlten Mittel schließlich vor Ort eingesetzt werden, wird von der Kommission nicht immer nachverfolgt. In einigen Projekten, die stichprobenartig untersucht wurden, konnten keine Rechnungen oder Belege dafür gefunden werden, dass die finanzierten Maßnahmen auch tatsächlich umgesetzt wurden. So lieferte die Europäische Union bereits 2021 Ausrüstungsgegenstände für eine Leitstelle zur Koordination der Seenotrettung (MRCC) in Libyen. Eine solche braucht es, um Menschen in Seenot in einer definierten Such- und Rettungszone vor Libyen in Sicherheit zu bringen. Die Materialien befanden sich beim Besuch der EU-Prüferinnen und -Prüfer im Dezember 2023 noch immer in den gelieferten Containern, wie eine leitende Prüferin angibt. Bis zum Sommer wurden zumindest grundlegende Strukturen aufgebaut, doch noch immer fehle etwa ein Funkturm.
Auch der Zugang zu den Auffanglagern für Menschen, die die libysche Küstenwache am Mittelmeer aufgreift, wurde den Mitarbeitenden des Kontrollorgans versagt. Sie erhielten auch keine Auskunft darüber, wer denn nun jene Gebäude betreibt, die die EU als Auffanglager finanziert hat, die aber mittlerweile durch die libyschen Behörden geschlossen wurden. Anhand von Libyen erörterten die Prüfenden auch die oft fehlenden Strukturen, um Menschenrechtsverletzungen zu melden. Projektpartnerinnen und -partner vor Ort wüssten oft nicht, an wen sie sich wenden könnten. In einem Feedback an den Rechnungshof erzählten Mitarbeitende, dass sie zehn mögliche Verstöße gegen Menschenrechte gemeldet hätten. Laut Prüfenden sei aber nur eine Meldung auf Kommissionsebene dokumentiert gewesen. "Es braucht eine Person, die sich des Themas annimmt und Meldungen entgegennimmt und auch nachverfolgt", sagte eine leitende Prüferin. Nachverfolgt werden nämlich nur die seltensten Fälle.
Kein Entzug von Fördergeldern
Menschenrechtsverletzungen, die mit den Geldern aus den EU-Hilfen finanziert würden – und es gibt immer wieder Vorwürfe, dass Partnerländer Ausrüstungsgegenstände für illegale Pushbacks von Migrantinnen und Migranten einsetzen –, können zum Entzug von Fördergeldern führen. Die EU-Kommission versicherte dem Rechnungshof, dass es diesen Mechanismus gibt. Wenngleich er auch nie ausgelöst wurde. Welche Voraussetzungen dafür tatsächlich erfüllt sein müssen, ist aber laut den Prüfenden nicht konkret definiert. Die Kommission nannte daraufhin Beispiele für Situationen, doch obwohl laut Rechnungshof eine genannte Situation eingetreten war, wurden die Fördergelder nicht entzogen.
Eines der großen Ziele des Fonds war auch die faktenbasierte Hilfe vor Ort. Deshalb wurden etwa 100 Studien und forschungsbasierte Aufsätze unterstützt, die untersuchen sollten, wie Hilfe am nachhaltigsten eingesetzt werden kann. Das Ergebnis: Die meisten der finanzierten Arbeiten wurden erst fertiggestellt, als fast das gesamte Geld auf Projekte verteilt worden war. Als Beispiel nennen die Prüferinnen und Prüfer, dass eine Untersuchung zu dem Schluss gekommen ist, dass Jobkurse für die Menschen in den betroffenen Regionen zwar helfen, aber nicht nachhaltig. Erst wenn man sie selbst aktiv werden lässt und sie etwa bei der Gründung einer kleinen Farm oder einem Geschäft unterstützt, profitieren die Menschen und machen sich weniger auf den gefährlichen Weg nach Europa. Einzug hat diese Erkenntnis in die aktuellen Projekte nicht mehr gefunden.
In einer ersten Stellungnahme begrüßte die Kommission den Sonderbericht des Europäischen Rechnungshofs und gelobte Besserung – vor allem im Hinblick auf die künftige Programmplanung des EUTF-Afrika-Nachfolgers, des "Instruments für Nachbarschaft, Entwicklungszusammenarbeit und internationale Zusammenarbeit (NDICI)" bis 2027. Im Zusammenhang mit möglichen Menschenrechtsverletzungen stellt die Kommission fest, dass es eine Prüfung in Einzelfällen gebe, diese jedoch "weiter gestärkt und formell dokumentiert werden sollte".